vereinigt finden. Der Verfasser aber war so glücklich, einen Standpunkt zu haben, der ihm in das Innere und Aeußere einen gleich freien Blick gewährte, und die Erforschung des Einzelnen wie die Uebersicht des Ganzen erleichterte; und wenn er auch die wärmste Theilnahme bekannte, so durfte er sich doch von allen Vorurtheilen frei fühlen, welche grade hier den Sinn so vielfältig befangen hielten. Wer selbst eingeweiht ist in dem ganzen Zusammenhang, wird leicht erkennen, wie fern der Verfasser es ist; wer aber bloß Augen¬ zeuge der Erscheinungen war, der möge von der Wahr¬ heit ihrer Darstellung einen günstigen Schluß auf die Wahrheit der andern Angaben machen, welche der Prü¬ fung minder offen stehen.
Die Spannung, in welcher der Anfang des Jahres 1813 die Gemüther durch das ganze nördliche Deutsch¬ land fand, hatte in rascher Stufenfolge sich auf's höchste gesteigert, aus der dumpfen Erwartung mußten heftige Bewegungen hervorbrechen. Der Haß gegen die fran¬ zösische Herrschaft war durch alle ersinnliche Maßregeln der Strenge, der Beschränkung, der Arglist und Ver¬ führung, mehr genährt als zurückgedrängt worden, und zeigte sich offner und unruhiger, je näher die jammer¬ vollen Reste des in Rußland untergegangnen Heeres
vereinigt finden. Der Verfaſſer aber war ſo gluͤcklich, einen Standpunkt zu haben, der ihm in das Innere und Aeußere einen gleich freien Blick gewaͤhrte, und die Erforſchung des Einzelnen wie die Ueberſicht des Ganzen erleichterte; und wenn er auch die waͤrmſte Theilnahme bekannte, ſo durfte er ſich doch von allen Vorurtheilen frei fuͤhlen, welche grade hier den Sinn ſo vielfaͤltig befangen hielten. Wer ſelbſt eingeweiht iſt in dem ganzen Zuſammenhang, wird leicht erkennen, wie fern der Verfaſſer es iſt; wer aber bloß Augen¬ zeuge der Erſcheinungen war, der moͤge von der Wahr¬ heit ihrer Darſtellung einen guͤnſtigen Schluß auf die Wahrheit der andern Angaben machen, welche der Pruͤ¬ fung minder offen ſtehen.
Die Spannung, in welcher der Anfang des Jahres 1813 die Gemuͤther durch das ganze noͤrdliche Deutſch¬ land fand, hatte in raſcher Stufenfolge ſich auf's hoͤchſte geſteigert, aus der dumpfen Erwartung mußten heftige Bewegungen hervorbrechen. Der Haß gegen die fran¬ zoͤſiſche Herrſchaft war durch alle erſinnliche Maßregeln der Strenge, der Beſchraͤnkung, der Argliſt und Ver¬ fuͤhrung, mehr genaͤhrt als zuruͤckgedraͤngt worden, und zeigte ſich offner und unruhiger, je naͤher die jammer¬ vollen Reſte des in Rußland untergegangnen Heeres
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vereinigt finden. Der Verfaſſer aber war ſo gluͤcklich,
einen Standpunkt zu haben, der ihm in das Innere
und Aeußere einen gleich freien Blick gewaͤhrte, und
die Erforſchung des Einzelnen wie die Ueberſicht des
Ganzen erleichterte; und wenn er auch die waͤrmſte
Theilnahme bekannte, ſo durfte er ſich doch von allen
Vorurtheilen frei fuͤhlen, welche grade hier den Sinn
ſo vielfaͤltig befangen hielten. Wer ſelbſt eingeweiht iſt
in dem ganzen Zuſammenhang, wird leicht erkennen,
wie fern der Verfaſſer es iſt; wer aber bloß Augen¬
zeuge der Erſcheinungen war, der moͤge von der Wahr¬
heit ihrer Darſtellung einen guͤnſtigen Schluß auf die
Wahrheit der andern Angaben machen, welche der Pruͤ¬
fung minder offen ſtehen.
Die Spannung, in welcher der Anfang des Jahres
1813 die Gemuͤther durch das ganze noͤrdliche Deutſch¬
land fand, hatte in raſcher Stufenfolge ſich auf's hoͤchſte
geſteigert, aus der dumpfen Erwartung mußten heftige
Bewegungen hervorbrechen. Der Haß gegen die fran¬
zoͤſiſche Herrſchaft war durch alle erſinnliche Maßregeln
der Strenge, der Beſchraͤnkung, der Argliſt und Ver¬
fuͤhrung, mehr genaͤhrt als zuruͤckgedraͤngt worden, und
zeigte ſich offner und unruhiger, je naͤher die jammer¬
vollen Reſte des in Rußland untergegangnen Heeres
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/263>, abgerufen am 24.11.2024.
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