Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Gneisenau waren die Männer seines Herzens. Nächst
ihnen rühmte er Niebuhr, den er als praktischen Staats¬
beamten und als gründlichen Gelehrten gleich sehr
schätzte, und dessen Buch über die Geschichte Rom's
er mir zuerst mittheilte, wobei er in aller Bewunde¬
rung des Scharfsinns und der Gelehrsamkeit doch be¬
dauerte, daß Niebuhr eigentlich kein Deutsch schriebe,
sondern im Deutschen immer Englisch werden wolle,
durch dessen frühes und eifriges Studium er seinen
Stil verdorben habe. Von den deutschen Gelehrten
dachte er im Ganzen nicht vortheilhaft; doch lobte und
empfahl er die Schriften von Heeren als gründlich und
praktisch, und besonders pries er Fichte'n wegen seiner
Reden an die deutsche Nation; die Philosophen mochte
er sonst wenig leiden, und erklärte die damaligen neue¬
sten geradezu für verrückt. Auch Schleiermacher's phi¬
losophische Religion war ihm zu geistreich und in Be¬
treff der Rechtgläubigkeit mehr als verdächtig. Große
Stücken hielt er auf Justus Gruner, von dessen Muth
und Gewandtheit im Geheimkriege der preußischen Be¬
hörden gegen die französische Polizei und Herrschaft die
merkwürdigsten Beispiele erzählt wurden. Von ihm
wird später noch die Rede sein.

Hatte ich bei diesen Unterweisungen und Aufschlüs¬
sen mich nur belehren zu lassen und fügsam und dankbar
zu erweisen, so gab es dagegen andere Gegenstände,
bei welchen mir eine thätigere Rolle zugewiesen war.

12*

Gneiſenau waren die Maͤnner ſeines Herzens. Naͤchſt
ihnen ruͤhmte er Niebuhr, den er als praktiſchen Staats¬
beamten und als gruͤndlichen Gelehrten gleich ſehr
ſchaͤtzte, und deſſen Buch uͤber die Geſchichte Rom's
er mir zuerſt mittheilte, wobei er in aller Bewunde¬
rung des Scharfſinns und der Gelehrſamkeit doch be¬
dauerte, daß Niebuhr eigentlich kein Deutſch ſchriebe,
ſondern im Deutſchen immer Engliſch werden wolle,
durch deſſen fruͤhes und eifriges Studium er ſeinen
Stil verdorben habe. Von den deutſchen Gelehrten
dachte er im Ganzen nicht vortheilhaft; doch lobte und
empfahl er die Schriften von Heeren als gruͤndlich und
praktiſch, und beſonders pries er Fichte'n wegen ſeiner
Reden an die deutſche Nation; die Philoſophen mochte
er ſonſt wenig leiden, und erklaͤrte die damaligen neue¬
ſten geradezu fuͤr verruͤckt. Auch Schleiermacher's phi¬
loſophiſche Religion war ihm zu geiſtreich und in Be¬
treff der Rechtglaͤubigkeit mehr als verdaͤchtig. Große
Stuͤcken hielt er auf Juſtus Gruner, von deſſen Muth
und Gewandtheit im Geheimkriege der preußiſchen Be¬
hoͤrden gegen die franzoͤſiſche Polizei und Herrſchaft die
merkwuͤrdigſten Beiſpiele erzaͤhlt wurden. Von ihm
wird ſpaͤter noch die Rede ſein.

Hatte ich bei dieſen Unterweiſungen und Aufſchluͤſ¬
ſen mich nur belehren zu laſſen und fuͤgſam und dankbar
zu erweiſen, ſo gab es dagegen andere Gegenſtaͤnde,
bei welchen mir eine thaͤtigere Rolle zugewieſen war.

12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0191" n="179"/>
Gnei&#x017F;enau waren die Ma&#x0364;nner &#x017F;eines Herzens. Na&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
ihnen ru&#x0364;hmte er Niebuhr, den er als prakti&#x017F;chen Staats¬<lb/>
beamten und als gru&#x0364;ndlichen Gelehrten gleich &#x017F;ehr<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;tzte, und de&#x017F;&#x017F;en Buch u&#x0364;ber die Ge&#x017F;chichte Rom's<lb/>
er mir zuer&#x017F;t mittheilte, wobei er in aller Bewunde¬<lb/>
rung des Scharf&#x017F;inns und der Gelehr&#x017F;amkeit doch be¬<lb/>
dauerte, daß Niebuhr eigentlich kein Deut&#x017F;ch &#x017F;chriebe,<lb/>
&#x017F;ondern im Deut&#x017F;chen immer Engli&#x017F;ch werden wolle,<lb/>
durch de&#x017F;&#x017F;en fru&#x0364;hes und eifriges Studium er &#x017F;einen<lb/>
Stil verdorben habe. Von den deut&#x017F;chen Gelehrten<lb/>
dachte er im Ganzen nicht vortheilhaft; doch lobte und<lb/>
empfahl er die Schriften von Heeren als gru&#x0364;ndlich und<lb/>
prakti&#x017F;ch, und be&#x017F;onders pries er Fichte'n wegen &#x017F;einer<lb/>
Reden an die deut&#x017F;che Nation; die Philo&#x017F;ophen mochte<lb/>
er &#x017F;on&#x017F;t wenig leiden, und erkla&#x0364;rte die damaligen neue¬<lb/>
&#x017F;ten geradezu fu&#x0364;r verru&#x0364;ckt. Auch Schleiermacher's phi¬<lb/>
lo&#x017F;ophi&#x017F;che Religion war ihm zu gei&#x017F;treich und in Be¬<lb/>
treff der Rechtgla&#x0364;ubigkeit mehr als verda&#x0364;chtig. Große<lb/>
Stu&#x0364;cken hielt er auf Ju&#x017F;tus Gruner, von de&#x017F;&#x017F;en Muth<lb/>
und Gewandtheit im Geheimkriege der preußi&#x017F;chen Be¬<lb/>
ho&#x0364;rden gegen die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Polizei und Herr&#x017F;chaft die<lb/>
merkwu&#x0364;rdig&#x017F;ten Bei&#x017F;piele erza&#x0364;hlt wurden. Von ihm<lb/>
wird &#x017F;pa&#x0364;ter noch die Rede &#x017F;ein.</p><lb/>
        <p>Hatte ich bei die&#x017F;en Unterwei&#x017F;ungen und Auf&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en mich nur belehren zu la&#x017F;&#x017F;en und fu&#x0364;g&#x017F;am und dankbar<lb/>
zu erwei&#x017F;en, &#x017F;o gab es dagegen andere Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde,<lb/>
bei welchen mir eine tha&#x0364;tigere Rolle zugewie&#x017F;en war.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">12</hi>*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0191] Gneiſenau waren die Maͤnner ſeines Herzens. Naͤchſt ihnen ruͤhmte er Niebuhr, den er als praktiſchen Staats¬ beamten und als gruͤndlichen Gelehrten gleich ſehr ſchaͤtzte, und deſſen Buch uͤber die Geſchichte Rom's er mir zuerſt mittheilte, wobei er in aller Bewunde¬ rung des Scharfſinns und der Gelehrſamkeit doch be¬ dauerte, daß Niebuhr eigentlich kein Deutſch ſchriebe, ſondern im Deutſchen immer Engliſch werden wolle, durch deſſen fruͤhes und eifriges Studium er ſeinen Stil verdorben habe. Von den deutſchen Gelehrten dachte er im Ganzen nicht vortheilhaft; doch lobte und empfahl er die Schriften von Heeren als gruͤndlich und praktiſch, und beſonders pries er Fichte'n wegen ſeiner Reden an die deutſche Nation; die Philoſophen mochte er ſonſt wenig leiden, und erklaͤrte die damaligen neue¬ ſten geradezu fuͤr verruͤckt. Auch Schleiermacher's phi¬ loſophiſche Religion war ihm zu geiſtreich und in Be¬ treff der Rechtglaͤubigkeit mehr als verdaͤchtig. Große Stuͤcken hielt er auf Juſtus Gruner, von deſſen Muth und Gewandtheit im Geheimkriege der preußiſchen Be¬ hoͤrden gegen die franzoͤſiſche Polizei und Herrſchaft die merkwuͤrdigſten Beiſpiele erzaͤhlt wurden. Von ihm wird ſpaͤter noch die Rede ſein. Hatte ich bei dieſen Unterweiſungen und Aufſchluͤſ¬ ſen mich nur belehren zu laſſen und fuͤgſam und dankbar zu erweiſen, ſo gab es dagegen andere Gegenſtaͤnde, bei welchen mir eine thaͤtigere Rolle zugewieſen war. 12*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/191
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/191>, abgerufen am 23.11.2024.