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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

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chem er dann jeden geheimen Widerspruch auf dem
Gesichte las, und mit neuem, oft hartem und verletzen¬
dem Anlauf entgegen drang! Mit ihm ein Gespräch zu
haben, war ein steter Kampf, eine stete Gefahr, wie
konnte man sicher sein, durch eine plötzliche Wendung
sich feindlich behandelt zu sehen, weil es ihm beliebte,
den grade Anwesenden, mochte dieser auch ganz ein¬
stimmig sein, sich als Widersacher vorzustellen; und dies
ohne üblen Willen, ohne persönliche Absicht, und ohne
irgend einen bleibenden Eindruck in ihm selber. Dies
gab dann auch dem Umgange Stein's einen eignen
Reiz und ließ die Erregung, in welche sein Gespräch
versetzte, eher aufsuchen, als meiden; wie denn insbe¬
sondere der Kaiser Alexander späterhin von diesem rü¬
stigen und derben Wesen, das sich den höchsten Per¬
sonen gegenüber nur etwa durch einen Zusatz von Laune
mäßigte, ganz bezaubert war, und für Stein eben so
große Zuneigung als Bewunderung empfand.

Durch Stein wurde ich auch mit mancherlei Zusam¬
menhang der politischen Dinge bekannt, der mir bisher
entgangen war. Ich bekam Aufschluß über allerlei,
was in Berlin und im nördlichen Deutschland vorbe¬
reitet wurde, und sah nun Weg und Feld mit zahl¬
reichen Fäden überkreuzt, die beim Weiterschreiten nicht
unbeachtet bleiben durften. Stein hatte thätige Ver¬
bindungen beibehalten, und war von allem, was in
Berlin vorging, genau unterrichtet. Scharnhorst und

chem er dann jeden geheimen Widerſpruch auf dem
Geſichte las, und mit neuem, oft hartem und verletzen¬
dem Anlauf entgegen drang! Mit ihm ein Geſpraͤch zu
haben, war ein ſteter Kampf, eine ſtete Gefahr, wie
konnte man ſicher ſein, durch eine ploͤtzliche Wendung
ſich feindlich behandelt zu ſehen, weil es ihm beliebte,
den grade Anweſenden, mochte dieſer auch ganz ein¬
ſtimmig ſein, ſich als Widerſacher vorzuſtellen; und dies
ohne uͤblen Willen, ohne perſoͤnliche Abſicht, und ohne
irgend einen bleibenden Eindruck in ihm ſelber. Dies
gab dann auch dem Umgange Stein's einen eignen
Reiz und ließ die Erregung, in welche ſein Geſpraͤch
verſetzte, eher aufſuchen, als meiden; wie denn insbe¬
ſondere der Kaiſer Alexander ſpaͤterhin von dieſem ruͤ¬
ſtigen und derben Weſen, das ſich den hoͤchſten Per¬
ſonen gegenuͤber nur etwa durch einen Zuſatz von Laune
maͤßigte, ganz bezaubert war, und fuͤr Stein eben ſo
große Zuneigung als Bewunderung empfand.

Durch Stein wurde ich auch mit mancherlei Zuſam¬
menhang der politiſchen Dinge bekannt, der mir bisher
entgangen war. Ich bekam Aufſchluß uͤber allerlei,
was in Berlin und im noͤrdlichen Deutſchland vorbe¬
reitet wurde, und ſah nun Weg und Feld mit zahl¬
reichen Faͤden uͤberkreuzt, die beim Weiterſchreiten nicht
unbeachtet bleiben durften. Stein hatte thaͤtige Ver¬
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[178/0190] chem er dann jeden geheimen Widerſpruch auf dem Geſichte las, und mit neuem, oft hartem und verletzen¬ dem Anlauf entgegen drang! Mit ihm ein Geſpraͤch zu haben, war ein ſteter Kampf, eine ſtete Gefahr, wie konnte man ſicher ſein, durch eine ploͤtzliche Wendung ſich feindlich behandelt zu ſehen, weil es ihm beliebte, den grade Anweſenden, mochte dieſer auch ganz ein¬ ſtimmig ſein, ſich als Widerſacher vorzuſtellen; und dies ohne uͤblen Willen, ohne perſoͤnliche Abſicht, und ohne irgend einen bleibenden Eindruck in ihm ſelber. Dies gab dann auch dem Umgange Stein's einen eignen Reiz und ließ die Erregung, in welche ſein Geſpraͤch verſetzte, eher aufſuchen, als meiden; wie denn insbe¬ ſondere der Kaiſer Alexander ſpaͤterhin von dieſem ruͤ¬ ſtigen und derben Weſen, das ſich den hoͤchſten Per¬ ſonen gegenuͤber nur etwa durch einen Zuſatz von Laune maͤßigte, ganz bezaubert war, und fuͤr Stein eben ſo große Zuneigung als Bewunderung empfand. Durch Stein wurde ich auch mit mancherlei Zuſam¬ menhang der politiſchen Dinge bekannt, der mir bisher entgangen war. Ich bekam Aufſchluß uͤber allerlei, was in Berlin und im noͤrdlichen Deutſchland vorbe¬ reitet wurde, und ſah nun Weg und Feld mit zahl¬ reichen Faͤden uͤberkreuzt, die beim Weiterſchreiten nicht unbeachtet bleiben durften. Stein hatte thaͤtige Ver¬ bindungen beibehalten, und war von allem, was in Berlin vorging, genau unterrichtet. Scharnhorſt und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/190>, abgerufen am 22.11.2024.