und bedenken müsse, ob man auch nicht den Ort ver¬ unreinige, wo man später sich werde hinsetzen wollen! --
Tübingen, Donnerstag den 16. Februar 1809. Ich konnte heute nicht schreiben, das Frühlingswetter hatte in meine Brust wie in einen jungen Baum seine Un¬ ruhe getrieben; der Tag war ein verkündender, noch nicht selber schön, aber schöne Nachfolger verheißend. Ich eilte vor das Thor hinaus, in das freie Neckarthal. Indem ich durch die schmutzigen, engen Straßen ging, und nachher, als ich draußen auf die Stadt zurückblickte, fühlte ich deutlich, daß der Ort mir doch schon lieb geworden, daß ich den Aufenthalt, den ich hier gemacht, und alle Zweifel und Schmerzen, die ich hier durchge¬ kämpft, doch nicht entbehren möchte in meinem Leben. -- Die nahe Abreise nahm mir heute die Angst, das Thal war mir kein Kerker mehr, der Sinn konnte sich frei ergehen, und sich jedem lieben Eindruck überlassen. Die Luft war warm und still, die Gegend hell, die Land¬ straßen fest und trocken, und sehr belebt. Rings am Himmel stand doch viel Gewölk, aber klein, still, und vielfarbig in mattem Glanz; die Wolken schienen sich nur zu bewegen, um sich in einen zarten weißen Flocken¬ schleier über die Himmelsbläue langsam auszubreiten; feine Nedelfäden schwammen hoch im weiten Blau, und unten um die fernen Berge löste sich das dichtere Ge¬ wölk sanft in duftigen Nebe! auf, der spielend heran¬ wogte mit dem Abend. Längs einem Seitenbache des
und bedenken muͤſſe, ob man auch nicht den Ort ver¬ unreinige, wo man ſpaͤter ſich werde hinſetzen wollen! —
Tuͤbingen, Donnerstag den 16. Februar 1809. Ich konnte heute nicht ſchreiben, das Fruͤhlingswetter hatte in meine Bruſt wie in einen jungen Baum ſeine Un¬ ruhe getrieben; der Tag war ein verkuͤndender, noch nicht ſelber ſchoͤn, aber ſchoͤne Nachfolger verheißend. Ich eilte vor das Thor hinaus, in das freie Neckarthal. Indem ich durch die ſchmutzigen, engen Straßen ging, und nachher, als ich draußen auf die Stadt zuruͤckblickte, fuͤhlte ich deutlich, daß der Ort mir doch ſchon lieb geworden, daß ich den Aufenthalt, den ich hier gemacht, und alle Zweifel und Schmerzen, die ich hier durchge¬ kaͤmpft, doch nicht entbehren moͤchte in meinem Leben. — Die nahe Abreiſe nahm mir heute die Angſt, das Thal war mir kein Kerker mehr, der Sinn konnte ſich frei ergehen, und ſich jedem lieben Eindruck uͤberlaſſen. Die Luft war warm und ſtill, die Gegend hell, die Land¬ ſtraßen feſt und trocken, und ſehr belebt. Rings am Himmel ſtand doch viel Gewoͤlk, aber klein, ſtill, und vielfarbig in mattem Glanz; die Wolken ſchienen ſich nur zu bewegen, um ſich in einen zarten weißen Flocken¬ ſchleier uͤber die Himmelsblaͤue langſam auszubreiten; feine Nedelfaͤden ſchwammen hoch im weiten Blau, und unten um die fernen Berge loͤſte ſich das dichtere Ge¬ woͤlk ſanft in duftigen Nebe! auf, der ſpielend heran¬ wogte mit dem Abend. Laͤngs einem Seitenbache des
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und bedenken muͤſſe, ob man auch nicht den Ort ver¬
unreinige, wo man ſpaͤter ſich werde hinſetzen wollen! —
Tuͤbingen, Donnerstag den 16. Februar 1809. Ich
konnte heute nicht ſchreiben, das Fruͤhlingswetter hatte
in meine Bruſt wie in einen jungen Baum ſeine Un¬
ruhe getrieben; der Tag war ein verkuͤndender, noch
nicht ſelber ſchoͤn, aber ſchoͤne Nachfolger verheißend.
Ich eilte vor das Thor hinaus, in das freie Neckarthal.
Indem ich durch die ſchmutzigen, engen Straßen ging,
und nachher, als ich draußen auf die Stadt zuruͤckblickte,
fuͤhlte ich deutlich, daß der Ort mir doch ſchon lieb
geworden, daß ich den Aufenthalt, den ich hier gemacht,
und alle Zweifel und Schmerzen, die ich hier durchge¬
kaͤmpft, doch nicht entbehren moͤchte in meinem Leben. —
Die nahe Abreiſe nahm mir heute die Angſt, das Thal
war mir kein Kerker mehr, der Sinn konnte ſich frei
ergehen, und ſich jedem lieben Eindruck uͤberlaſſen. Die
Luft war warm und ſtill, die Gegend hell, die Land¬
ſtraßen feſt und trocken, und ſehr belebt. Rings am
Himmel ſtand doch viel Gewoͤlk, aber klein, ſtill, und
vielfarbig in mattem Glanz; die Wolken ſchienen ſich
nur zu bewegen, um ſich in einen zarten weißen Flocken¬
ſchleier uͤber die Himmelsblaͤue langſam auszubreiten;
feine Nedelfaͤden ſchwammen hoch im weiten Blau, und
unten um die fernen Berge loͤſte ſich das dichtere Ge¬
woͤlk ſanft in duftigen Nebe! auf, der ſpielend heran¬
wogte mit dem Abend. Laͤngs einem Seitenbache des
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/136>, abgerufen am 05.12.2024.
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