Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Und einsichtsvoll mit Rath und That. Der Homer war
mir nach Inhalt und Farbe nicht mehr so neu, daß
ich ihm eine erste Liebe jetzt erst hätte zuwenden kön¬
nen, aber ein wachsendes Verstehen im Zauber dieser
herrlichen Sprache und im Reize der beflügelten Hexa¬
meter sich anzueignen, war eine beständige Lust, ein
überbelohntes Bemühn. Stärker noch zog diesmal der
gute Herodotos meine Neigung an, den ich zuerst hier
und gleich in seiner ursprünglichen Anmuth und Lieblich¬
keit kennen lernte. Die Erzählung des griechischen Frei¬
heitskriegs gegen die Perser entzückte mich, ich eilte
aber der Schule, wo dieser Abschnitt grade gelesen wurde,
weit voran, und suchte in den Autor von mehreren
Seiten zugleich einzudringen, wozu ich mir auch die
Wesseling'schen und Valckenaer'schen Anmerkungen, in
welchen ich das eigentlich philologische Wesen näher be¬
schauen lernte, zu Hülfe nahm. Mit dem Lateinischen
mocht' ich mich weniger befassen, und die gebildeten
Horazischen Sermonen wurden neben den gewaltigen
Griechen mir fast peinlich.

Wir konnten mit den zahlreichen Mitschülern nicht
täglich zusammen sein, ohne alsbald diejenigen unter
ihnen ausgefunden zu haben, mit denen eine geistige
Annäherung möglich war. Diese gelehrte Schule hegte
in ihrer stillen Tüchtigkeit mehr wackern und ausgezeich¬
neten Geist, als wir je vermuthet hätten. Zuerst habe

Und einſichtsvoll mit Rath und That. Der Homer war
mir nach Inhalt und Farbe nicht mehr ſo neu, daß
ich ihm eine erſte Liebe jetzt erſt haͤtte zuwenden koͤn¬
nen, aber ein wachſendes Verſtehen im Zauber dieſer
herrlichen Sprache und im Reize der befluͤgelten Hexa¬
meter ſich anzueignen, war eine beſtaͤndige Luſt, ein
uͤberbelohntes Bemuͤhn. Staͤrker noch zog diesmal der
gute Herodotos meine Neigung an, den ich zuerſt hier
und gleich in ſeiner urſpruͤnglichen Anmuth und Lieblich¬
keit kennen lernte. Die Erzaͤhlung des griechiſchen Frei¬
heitskriegs gegen die Perſer entzuͤckte mich, ich eilte
aber der Schule, wo dieſer Abſchnitt grade geleſen wurde,
weit voran, und ſuchte in den Autor von mehreren
Seiten zugleich einzudringen, wozu ich mir auch die
Weſſeling'ſchen und Valckenaer'ſchen Anmerkungen, in
welchen ich das eigentlich philologiſche Weſen naͤher be¬
ſchauen lernte, zu Huͤlfe nahm. Mit dem Lateiniſchen
mocht' ich mich weniger befaſſen, und die gebildeten
Horaziſchen Sermonen wurden neben den gewaltigen
Griechen mir faſt peinlich.

Wir konnten mit den zahlreichen Mitſchuͤlern nicht
taͤglich zuſammen ſein, ohne alsbald diejenigen unter
ihnen ausgefunden zu haben, mit denen eine geiſtige
Annaͤherung moͤglich war. Dieſe gelehrte Schule hegte
in ihrer ſtillen Tuͤchtigkeit mehr wackern und ausgezeich¬
neten Geiſt, als wir je vermuthet haͤtten. Zuerſt habe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0096" n="82"/>
Und ein&#x017F;ichtsvoll mit Rath und That. Der Homer war<lb/>
mir nach Inhalt und Farbe nicht mehr &#x017F;o neu, daß<lb/>
ich ihm eine er&#x017F;te Liebe jetzt er&#x017F;t ha&#x0364;tte zuwenden ko&#x0364;<lb/>
nen, aber ein wach&#x017F;endes Ver&#x017F;tehen im Zauber die&#x017F;er<lb/>
herrlichen Sprache und im Reize der beflu&#x0364;gelten Hexa¬<lb/>
meter &#x017F;ich anzueignen, war eine be&#x017F;ta&#x0364;ndige Lu&#x017F;t, ein<lb/>
u&#x0364;berbelohntes Bemu&#x0364;hn. Sta&#x0364;rker noch zog diesmal der<lb/>
gute Herodotos meine Neigung an, den ich zuer&#x017F;t hier<lb/>
und gleich in &#x017F;einer ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Anmuth und Lieblich¬<lb/>
keit kennen lernte. Die Erza&#x0364;hlung des griechi&#x017F;chen Frei¬<lb/>
heitskriegs gegen die Per&#x017F;er entzu&#x0364;ckte mich, ich eilte<lb/>
aber der Schule, wo die&#x017F;er Ab&#x017F;chnitt grade gele&#x017F;en wurde,<lb/>
weit voran, und &#x017F;uchte in den Autor von mehreren<lb/>
Seiten zugleich einzudringen, wozu ich mir auch die<lb/>
We&#x017F;&#x017F;eling'&#x017F;chen und Valckenaer'&#x017F;chen Anmerkungen, in<lb/>
welchen ich das eigentlich philologi&#x017F;che We&#x017F;en na&#x0364;her be¬<lb/>
&#x017F;chauen lernte, zu Hu&#x0364;lfe nahm. Mit dem Lateini&#x017F;chen<lb/>
mocht' ich mich weniger befa&#x017F;&#x017F;en, und die gebildeten<lb/>
Horazi&#x017F;chen Sermonen wurden neben den gewaltigen<lb/>
Griechen mir fa&#x017F;t peinlich.</p><lb/>
          <p>Wir konnten mit den zahlreichen Mit&#x017F;chu&#x0364;lern nicht<lb/>
ta&#x0364;glich zu&#x017F;ammen &#x017F;ein, ohne alsbald diejenigen unter<lb/>
ihnen ausgefunden zu haben, mit denen eine gei&#x017F;tige<lb/>
Anna&#x0364;herung mo&#x0364;glich war. Die&#x017F;e gelehrte Schule hegte<lb/>
in ihrer &#x017F;tillen Tu&#x0364;chtigkeit mehr wackern und ausgezeich¬<lb/>
neten Gei&#x017F;t, als wir je vermuthet ha&#x0364;tten. Zuer&#x017F;t habe<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0096] Und einſichtsvoll mit Rath und That. Der Homer war mir nach Inhalt und Farbe nicht mehr ſo neu, daß ich ihm eine erſte Liebe jetzt erſt haͤtte zuwenden koͤn¬ nen, aber ein wachſendes Verſtehen im Zauber dieſer herrlichen Sprache und im Reize der befluͤgelten Hexa¬ meter ſich anzueignen, war eine beſtaͤndige Luſt, ein uͤberbelohntes Bemuͤhn. Staͤrker noch zog diesmal der gute Herodotos meine Neigung an, den ich zuerſt hier und gleich in ſeiner urſpruͤnglichen Anmuth und Lieblich¬ keit kennen lernte. Die Erzaͤhlung des griechiſchen Frei¬ heitskriegs gegen die Perſer entzuͤckte mich, ich eilte aber der Schule, wo dieſer Abſchnitt grade geleſen wurde, weit voran, und ſuchte in den Autor von mehreren Seiten zugleich einzudringen, wozu ich mir auch die Weſſeling'ſchen und Valckenaer'ſchen Anmerkungen, in welchen ich das eigentlich philologiſche Weſen naͤher be¬ ſchauen lernte, zu Huͤlfe nahm. Mit dem Lateiniſchen mocht' ich mich weniger befaſſen, und die gebildeten Horaziſchen Sermonen wurden neben den gewaltigen Griechen mir faſt peinlich. Wir konnten mit den zahlreichen Mitſchuͤlern nicht taͤglich zuſammen ſein, ohne alsbald diejenigen unter ihnen ausgefunden zu haben, mit denen eine geiſtige Annaͤherung moͤglich war. Dieſe gelehrte Schule hegte in ihrer ſtillen Tuͤchtigkeit mehr wackern und ausgezeich¬ neten Geiſt, als wir je vermuthet haͤtten. Zuerſt habe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/96
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/96>, abgerufen am 01.05.2024.