Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

soviel, daß uns darin sehr weh gethan sei, wollte mit
zarter Schonung alles in Stillschweigen vorübergehen
lassen, und war voll ängstlicher Sorge, bis ich selbst
von der uns zu Theil gewordenen Geißelung zu reden
anfing, und ich nun auch jene Bosheit und dieses Mit¬
leid erfuhr. Das aber setzte mich gleich in gerüstete
Verfassung, ich konnte jenen üblen Willen verachten,
und bedurfte dieser bedauernden Schonung nicht; mit
Heiterkeit bot ich den forschenden Blicken und lispeln¬
den Gereden den überlegensten Trotz, und mir war
wirklich so zu Muth, daß ich mich über das ganze
Ereigniß ernsthaft und scherzend weit hinaussetzen konnte.
Veit, der vielleicht mit etwas Schadenfreude mich ge¬
beugt zu sehen erwartet hatte, und mich so guter Dinge
fand, urtheilte gleich geringer von dem, was so wenig
erschüttert hatte, und Reinhold lachte nur mit uns über
die uns widerfahrne Ehre. Denn auffallend zeigte sich
von den bösen Rezensionen durch Rückschlag sogar eine
günstige Wirkung, wo wir sie am wenigsten erwartet
hatten. Richtung und Gang der neuen jenaischen Zei¬
tung waren keineswegs allgemein gebilligt, geheim und
öffentlich standen dem neuen Geiste viele durch Gelehr¬
samkeit und Würden achtbare Männer entgegen, und
weit entfernt, daß wir z. B. bei Gurlitt durch den
Tadel von Jena her verloren hätten, stiegen wir da¬
durch bei ihn, und der alte wackre Ebeling meinte, daß

ſoviel, daß uns darin ſehr weh gethan ſei, wollte mit
zarter Schonung alles in Stillſchweigen voruͤbergehen
laſſen, und war voll aͤngſtlicher Sorge, bis ich ſelbſt
von der uns zu Theil gewordenen Geißelung zu reden
anfing, und ich nun auch jene Bosheit und dieſes Mit¬
leid erfuhr. Das aber ſetzte mich gleich in geruͤſtete
Verfaſſung, ich konnte jenen uͤblen Willen verachten,
und bedurfte dieſer bedauernden Schonung nicht; mit
Heiterkeit bot ich den forſchenden Blicken und lispeln¬
den Gereden den uͤberlegenſten Trotz, und mir war
wirklich ſo zu Muth, daß ich mich uͤber das ganze
Ereigniß ernſthaft und ſcherzend weit hinausſetzen konnte.
Veit, der vielleicht mit etwas Schadenfreude mich ge¬
beugt zu ſehen erwartet hatte, und mich ſo guter Dinge
fand, urtheilte gleich geringer von dem, was ſo wenig
erſchuͤttert hatte, und Reinhold lachte nur mit uns uͤber
die uns widerfahrne Ehre. Denn auffallend zeigte ſich
von den boͤſen Rezenſionen durch Ruͤckſchlag ſogar eine
guͤnſtige Wirkung, wo wir ſie am wenigſten erwartet
hatten. Richtung und Gang der neuen jenaiſchen Zei¬
tung waren keineswegs allgemein gebilligt, geheim und
oͤffentlich ſtanden dem neuen Geiſte viele durch Gelehr¬
ſamkeit und Wuͤrden achtbare Maͤnner entgegen, und
weit entfernt, daß wir z. B. bei Gurlitt durch den
Tadel von Jena her verloren haͤtten, ſtiegen wir da¬
durch bei ihn, und der alte wackre Ebeling meinte, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0092" n="78"/>
&#x017F;oviel, daß uns darin &#x017F;ehr weh gethan &#x017F;ei, wollte mit<lb/>
zarter Schonung alles in Still&#x017F;chweigen voru&#x0364;bergehen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, und war voll a&#x0364;ng&#x017F;tlicher Sorge, bis ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
von der uns zu Theil gewordenen Geißelung zu reden<lb/>
anfing, und ich nun auch jene Bosheit und die&#x017F;es Mit¬<lb/>
leid erfuhr. Das aber &#x017F;etzte mich gleich in geru&#x0364;&#x017F;tete<lb/>
Verfa&#x017F;&#x017F;ung, ich konnte jenen u&#x0364;blen Willen verachten,<lb/>
und bedurfte die&#x017F;er bedauernden Schonung nicht; mit<lb/>
Heiterkeit bot ich den for&#x017F;chenden Blicken und lispeln¬<lb/>
den Gereden den u&#x0364;berlegen&#x017F;ten Trotz, und mir war<lb/>
wirklich &#x017F;o zu Muth, daß ich mich u&#x0364;ber das ganze<lb/>
Ereigniß ern&#x017F;thaft und &#x017F;cherzend weit hinaus&#x017F;etzen konnte.<lb/>
Veit, der vielleicht mit etwas Schadenfreude mich ge¬<lb/>
beugt zu &#x017F;ehen erwartet hatte, und mich &#x017F;o guter Dinge<lb/>
fand, urtheilte gleich geringer von dem, was &#x017F;o wenig<lb/>
er&#x017F;chu&#x0364;ttert hatte, und Reinhold lachte nur mit uns u&#x0364;ber<lb/>
die uns widerfahrne Ehre. Denn auffallend zeigte &#x017F;ich<lb/>
von den bo&#x0364;&#x017F;en Rezen&#x017F;ionen durch Ru&#x0364;ck&#x017F;chlag &#x017F;ogar eine<lb/>
gu&#x0364;n&#x017F;tige Wirkung, wo wir &#x017F;ie am wenig&#x017F;ten erwartet<lb/>
hatten. Richtung und Gang der neuen jenai&#x017F;chen Zei¬<lb/>
tung waren keineswegs allgemein gebilligt, geheim und<lb/>
o&#x0364;ffentlich &#x017F;tanden dem neuen Gei&#x017F;te viele durch Gelehr¬<lb/>
&#x017F;amkeit und Wu&#x0364;rden achtbare Ma&#x0364;nner entgegen, und<lb/>
weit entfernt, daß wir z. B. bei Gurlitt durch den<lb/>
Tadel von Jena her verloren ha&#x0364;tten, &#x017F;tiegen wir da¬<lb/>
durch bei ihn, und der alte wackre Ebeling meinte, daß<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0092] ſoviel, daß uns darin ſehr weh gethan ſei, wollte mit zarter Schonung alles in Stillſchweigen voruͤbergehen laſſen, und war voll aͤngſtlicher Sorge, bis ich ſelbſt von der uns zu Theil gewordenen Geißelung zu reden anfing, und ich nun auch jene Bosheit und dieſes Mit¬ leid erfuhr. Das aber ſetzte mich gleich in geruͤſtete Verfaſſung, ich konnte jenen uͤblen Willen verachten, und bedurfte dieſer bedauernden Schonung nicht; mit Heiterkeit bot ich den forſchenden Blicken und lispeln¬ den Gereden den uͤberlegenſten Trotz, und mir war wirklich ſo zu Muth, daß ich mich uͤber das ganze Ereigniß ernſthaft und ſcherzend weit hinausſetzen konnte. Veit, der vielleicht mit etwas Schadenfreude mich ge¬ beugt zu ſehen erwartet hatte, und mich ſo guter Dinge fand, urtheilte gleich geringer von dem, was ſo wenig erſchuͤttert hatte, und Reinhold lachte nur mit uns uͤber die uns widerfahrne Ehre. Denn auffallend zeigte ſich von den boͤſen Rezenſionen durch Ruͤckſchlag ſogar eine guͤnſtige Wirkung, wo wir ſie am wenigſten erwartet hatten. Richtung und Gang der neuen jenaiſchen Zei¬ tung waren keineswegs allgemein gebilligt, geheim und oͤffentlich ſtanden dem neuen Geiſte viele durch Gelehr¬ ſamkeit und Wuͤrden achtbare Maͤnner entgegen, und weit entfernt, daß wir z. B. bei Gurlitt durch den Tadel von Jena her verloren haͤtten, ſtiegen wir da¬ durch bei ihn, und der alte wackre Ebeling meinte, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/92
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/92>, abgerufen am 23.11.2024.