Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

ich noch oft zu meinem großen Vortheil, aber auch
nicht selten zu meiner gänzlichen Verkennung, erfahren
müssen.

Bei wiederholten Einladungen und vertraulichern
Gesprächen konnte ich Jacobi'n meine ganze Lage um¬
ständlich aufdecken. Er bewieß mir väterliches Wohl¬
wollen, versprach in München, wo sich ihm so mannig¬
facher Einfluß eröffne, an mich zu denken, und hielt
nicht für unmöglich, daß ich als geborner Pfalzbaier
von der dortigen Regierung berücksichtigt würde. Vor
allen Dingen ermahnte er mich zum Fleiß, zum immer¬
währenden, beharrlichen Fleiß, um, nach Seneca's
Spruch, mit der Eile der Zeit durch die Schnelligkeit
ihrer Benutzung zu wetteifern. An meinem Verlangen
zum Griechischen nahm er um so erregtern Antheil, als
er sich in gleichem Falle mit mir befand, und den
Mangel ausreichender Kenntniß dieser in neuere Bildung
stets gewaltiger eingreifenden Sprache mit jedem Jahre
schmerzlicher empfunden und nie ersetzt hatte. Mein
Bemühen fand seinen ganzen Beifall, aber es dünkte
ihn zu hart und schwer, ohne fremde Hülfe durch die
Anfangsgründe sich durchzuringen, er machte mich mit
dem Professor am Gymnasium und Direktor der Jo¬
hannisschule, dem erst kürzlich von Kloster-Bergen hier¬
her versetzten Doctor Gurlitt bekannt, und hoffte, es
werde sich mit dem trefflichen gelehrten Mann ein Unter¬
richt irgendwie verabreden lassen. Bald nachher reis'te

ich noch oft zu meinem großen Vortheil, aber auch
nicht ſelten zu meiner gaͤnzlichen Verkennung, erfahren
muͤſſen.

Bei wiederholten Einladungen und vertraulichern
Geſpraͤchen konnte ich Jacobi'n meine ganze Lage um¬
ſtaͤndlich aufdecken. Er bewieß mir vaͤterliches Wohl¬
wollen, verſprach in Muͤnchen, wo ſich ihm ſo mannig¬
facher Einfluß eroͤffne, an mich zu denken, und hielt
nicht fuͤr unmoͤglich, daß ich als geborner Pfalzbaier
von der dortigen Regierung beruͤckſichtigt wuͤrde. Vor
allen Dingen ermahnte er mich zum Fleiß, zum immer¬
waͤhrenden, beharrlichen Fleiß, um, nach Seneca's
Spruch, mit der Eile der Zeit durch die Schnelligkeit
ihrer Benutzung zu wetteifern. An meinem Verlangen
zum Griechiſchen nahm er um ſo erregtern Antheil, als
er ſich in gleichem Falle mit mir befand, und den
Mangel ausreichender Kenntniß dieſer in neuere Bildung
ſtets gewaltiger eingreifenden Sprache mit jedem Jahre
ſchmerzlicher empfunden und nie erſetzt hatte. Mein
Bemuͤhen fand ſeinen ganzen Beifall, aber es duͤnkte
ihn zu hart und ſchwer, ohne fremde Huͤlfe durch die
Anfangsgruͤnde ſich durchzuringen, er machte mich mit
dem Profeſſor am Gymnaſium und Direktor der Jo¬
hannisſchule, dem erſt kuͤrzlich von Kloſter-Bergen hier¬
her verſetzten Doctor Gurlitt bekannt, und hoffte, es
werde ſich mit dem trefflichen gelehrten Mann ein Unter¬
richt irgendwie verabreden laſſen. Bald nachher reiſ'te

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0088" n="74"/>
ich noch oft zu meinem großen Vortheil, aber auch<lb/>
nicht &#x017F;elten zu meiner ga&#x0364;nzlichen Verkennung, erfahren<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Bei wiederholten Einladungen und vertraulichern<lb/>
Ge&#x017F;pra&#x0364;chen konnte ich Jacobi'n meine ganze Lage um¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndlich aufdecken. Er bewieß mir va&#x0364;terliches Wohl¬<lb/>
wollen, ver&#x017F;prach in Mu&#x0364;nchen, wo &#x017F;ich ihm &#x017F;o mannig¬<lb/>
facher Einfluß ero&#x0364;ffne, an mich zu denken, und hielt<lb/>
nicht fu&#x0364;r unmo&#x0364;glich, daß ich als geborner Pfalzbaier<lb/>
von der dortigen Regierung beru&#x0364;ck&#x017F;ichtigt wu&#x0364;rde. Vor<lb/>
allen Dingen ermahnte er mich zum Fleiß, zum immer¬<lb/>
wa&#x0364;hrenden, beharrlichen Fleiß, um, nach Seneca's<lb/>
Spruch, mit der Eile der Zeit durch die Schnelligkeit<lb/>
ihrer Benutzung zu wetteifern. An meinem Verlangen<lb/>
zum Griechi&#x017F;chen nahm er um &#x017F;o erregtern Antheil, als<lb/>
er &#x017F;ich in gleichem Falle mit mir befand, und den<lb/>
Mangel ausreichender Kenntniß die&#x017F;er in neuere Bildung<lb/>
&#x017F;tets gewaltiger eingreifenden Sprache mit jedem Jahre<lb/>
&#x017F;chmerzlicher empfunden und nie er&#x017F;etzt hatte. Mein<lb/>
Bemu&#x0364;hen fand &#x017F;einen ganzen Beifall, aber es du&#x0364;nkte<lb/>
ihn zu hart und &#x017F;chwer, ohne fremde Hu&#x0364;lfe durch die<lb/>
Anfangsgru&#x0364;nde &#x017F;ich durchzuringen, er machte mich mit<lb/>
dem Profe&#x017F;&#x017F;or am Gymna&#x017F;ium und Direktor der Jo¬<lb/>
hannis&#x017F;chule, dem er&#x017F;t ku&#x0364;rzlich von Klo&#x017F;ter-Bergen hier¬<lb/>
her ver&#x017F;etzten Doctor Gurlitt bekannt, und hoffte, es<lb/>
werde &#x017F;ich mit dem trefflichen gelehrten Mann ein Unter¬<lb/>
richt irgendwie verabreden la&#x017F;&#x017F;en. Bald nachher rei&#x017F;'te<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0088] ich noch oft zu meinem großen Vortheil, aber auch nicht ſelten zu meiner gaͤnzlichen Verkennung, erfahren muͤſſen. Bei wiederholten Einladungen und vertraulichern Geſpraͤchen konnte ich Jacobi'n meine ganze Lage um¬ ſtaͤndlich aufdecken. Er bewieß mir vaͤterliches Wohl¬ wollen, verſprach in Muͤnchen, wo ſich ihm ſo mannig¬ facher Einfluß eroͤffne, an mich zu denken, und hielt nicht fuͤr unmoͤglich, daß ich als geborner Pfalzbaier von der dortigen Regierung beruͤckſichtigt wuͤrde. Vor allen Dingen ermahnte er mich zum Fleiß, zum immer¬ waͤhrenden, beharrlichen Fleiß, um, nach Seneca's Spruch, mit der Eile der Zeit durch die Schnelligkeit ihrer Benutzung zu wetteifern. An meinem Verlangen zum Griechiſchen nahm er um ſo erregtern Antheil, als er ſich in gleichem Falle mit mir befand, und den Mangel ausreichender Kenntniß dieſer in neuere Bildung ſtets gewaltiger eingreifenden Sprache mit jedem Jahre ſchmerzlicher empfunden und nie erſetzt hatte. Mein Bemuͤhen fand ſeinen ganzen Beifall, aber es duͤnkte ihn zu hart und ſchwer, ohne fremde Huͤlfe durch die Anfangsgruͤnde ſich durchzuringen, er machte mich mit dem Profeſſor am Gymnaſium und Direktor der Jo¬ hannisſchule, dem erſt kuͤrzlich von Kloſter-Bergen hier¬ her verſetzten Doctor Gurlitt bekannt, und hoffte, es werde ſich mit dem trefflichen gelehrten Mann ein Unter¬ richt irgendwie verabreden laſſen. Bald nachher reiſ'te

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/88
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/88>, abgerufen am 24.11.2024.