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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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bestimmten Wortes zu erinnern, in welchem etwas aus¬
geprägt Geistreiches, Paradoxes oder Schlagendes sich
zur Bewahrung dargeboten hätte, aber die unwider¬
stehliche Einwirkung des ganzen Wesens empfand ich
tief, und blieb davon so erfüllt, daß ich nach der bal¬
digen Entfernung des merkwürdigen Besuchs einzig
von ihm reden und ihm nachsinnen mußte. Man
scherzte darüber, und weil der Scherz fast verdrießlich
wurde, so trotzt' ich ihm desto eifriger durch Nieder¬
schreiben eines Sonetts, das den empfangenen Eindruck
begeistert schildern wollte, und das ich die Dreistigkeit
hatte, eben weil man sie mir bezweifelte, am andern
Tage versiegelt abzuschicken, ohne daß ich weiterhin
etwas von der Sache gehört oder ihr nachgefragt hätte.
Rahel Levin selbst wiederzusehen war mir darauf Jahre
lang nicht beschieden. Ihr Namen aber blieb mir als
ein ungeschwächter Zauber in der Seele, nur ahnete
ich auf keine Weise, daß mit jenem frühen Begegnen
und jenen vorlauten Zeilen ein erster Ring gefügt
worden, an welchen viele folgende sich anreihen und
die entscheidenste Wendung und die dauernste Vereini¬
gung meines Lebens geknüpft sein sollte. --

Alles und jedes mehrte nur immer unsre Gedichte,
und sie wuchsen bald allzu gedrängt, als daß sie nicht
endlich aus dem Pult unruhig an das Licht gestrebt
hätten. Der Gedanke des Druckenlassens ging mir
und Chamisso'n plötzlich auf, als wir am späten Abend

II. 4

beſtimmten Wortes zu erinnern, in welchem etwas aus¬
gepraͤgt Geiſtreiches, Paradoxes oder Schlagendes ſich
zur Bewahrung dargeboten haͤtte, aber die unwider¬
ſtehliche Einwirkung des ganzen Weſens empfand ich
tief, und blieb davon ſo erfuͤllt, daß ich nach der bal¬
digen Entfernung des merkwuͤrdigen Beſuchs einzig
von ihm reden und ihm nachſinnen mußte. Man
ſcherzte daruͤber, und weil der Scherz faſt verdrießlich
wurde, ſo trotzt' ich ihm deſto eifriger durch Nieder¬
ſchreiben eines Sonetts, das den empfangenen Eindruck
begeiſtert ſchildern wollte, und das ich die Dreiſtigkeit
hatte, eben weil man ſie mir bezweifelte, am andern
Tage verſiegelt abzuſchicken, ohne daß ich weiterhin
etwas von der Sache gehoͤrt oder ihr nachgefragt haͤtte.
Rahel Levin ſelbſt wiederzuſehen war mir darauf Jahre
lang nicht beſchieden. Ihr Namen aber blieb mir als
ein ungeſchwaͤchter Zauber in der Seele, nur ahnete
ich auf keine Weiſe, daß mit jenem fruͤhen Begegnen
und jenen vorlauten Zeilen ein erſter Ring gefuͤgt
worden, an welchen viele folgende ſich anreihen und
die entſcheidenſte Wendung und die dauernſte Vereini¬
gung meines Lebens geknuͤpft ſein ſollte. —

Alles und jedes mehrte nur immer unſre Gedichte,
und ſie wuchſen bald allzu gedraͤngt, als daß ſie nicht
endlich aus dem Pult unruhig an das Licht geſtrebt
haͤtten. Der Gedanke des Druckenlaſſens ging mir
und Chamiſſo'n ploͤtzlich auf, als wir am ſpaͤten Abend

II. 4
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[49/0063] beſtimmten Wortes zu erinnern, in welchem etwas aus¬ gepraͤgt Geiſtreiches, Paradoxes oder Schlagendes ſich zur Bewahrung dargeboten haͤtte, aber die unwider¬ ſtehliche Einwirkung des ganzen Weſens empfand ich tief, und blieb davon ſo erfuͤllt, daß ich nach der bal¬ digen Entfernung des merkwuͤrdigen Beſuchs einzig von ihm reden und ihm nachſinnen mußte. Man ſcherzte daruͤber, und weil der Scherz faſt verdrießlich wurde, ſo trotzt' ich ihm deſto eifriger durch Nieder¬ ſchreiben eines Sonetts, das den empfangenen Eindruck begeiſtert ſchildern wollte, und das ich die Dreiſtigkeit hatte, eben weil man ſie mir bezweifelte, am andern Tage verſiegelt abzuſchicken, ohne daß ich weiterhin etwas von der Sache gehoͤrt oder ihr nachgefragt haͤtte. Rahel Levin ſelbſt wiederzuſehen war mir darauf Jahre lang nicht beſchieden. Ihr Namen aber blieb mir als ein ungeſchwaͤchter Zauber in der Seele, nur ahnete ich auf keine Weiſe, daß mit jenem fruͤhen Begegnen und jenen vorlauten Zeilen ein erſter Ring gefuͤgt worden, an welchen viele folgende ſich anreihen und die entſcheidenſte Wendung und die dauernſte Vereini¬ gung meines Lebens geknuͤpft ſein ſollte. — Alles und jedes mehrte nur immer unſre Gedichte, und ſie wuchſen bald allzu gedraͤngt, als daß ſie nicht endlich aus dem Pult unruhig an das Licht geſtrebt haͤtten. Der Gedanke des Druckenlaſſens ging mir und Chamiſſo'n ploͤtzlich auf, als wir am ſpaͤten Abend II. 4

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/63>, abgerufen am 01.05.2024.