Ihr meinet, daß um euch noch Thränen flössen, Daß die noch weinten, die ihr sonst beglücket? Ihr irrt, ihr Todten! Neue Lieb' entzücket Die schwachen Herzen, die ihr einst besessen.
Wohlan, so laßt uns schweigen von den Todten! Ein Todter aber hat uns Heil erworben, Und dessen Name müsse stets erschallen.
Allein auch hier wird Schweigen uns geboten. Vergessen ist ein jeder, der gestorben, Und Er ist der Vergessenste von Allen."
Auf diese Gedichte folgen "drei Gespräche," worin die sinnige Kunst des Verfassers sich auch auf diesem bisher so wenig, und fast immer unglücklich, angebauten Felde des Dialogs im größten Vortheil zeigt. Sie sind von sehr verschiedenem Inhalt und Ton. In dem ersten wird das Erwachen eines Verstorbenen in den Gefilden des Himmels und sein steigendes Gewahrwerden des neuen Ortes und Zustandes dargestellt. Jedermann sieht das Bedenkliche einer solchen Schilderung ein, wobei der Einbildungskraft ein reiches und gleichwohl nicht überfülltes Bild zu geben ist, das ihr weithin zur Thätigkeit Anreiz und doch zugleich Beruhigung geben muß, das besonders aber den reingeistig christ¬ lichen Karakter nicht verläugnen, noch diesen unter sinn¬ licher Fülle verdecken darf. Das Bedenkliche wird zum Wagniß, wenn die Ausführung in schlichter Prosa, und so zu sagen im Tone einer stillen Lebensscene geschehen
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Ihr meinet, daß um euch noch Thraͤnen floͤſſen, Daß die noch weinten, die ihr ſonſt begluͤcket? Ihr irrt, ihr Todten! Neue Lieb’ entzuͤcket Die ſchwachen Herzen, die ihr einſt beſeſſen.
Wohlan, ſo laßt uns ſchweigen von den Todten! Ein Todter aber hat uns Heil erworben, Und deſſen Name muͤſſe ſtets erſchallen.
Allein auch hier wird Schweigen uns geboten. Vergeſſen iſt ein jeder, der geſtorben, Und Er iſt der Vergeſſenſte von Allen.“
Auf dieſe Gedichte folgen „drei Geſpraͤche,“ worin die ſinnige Kunſt des Verfaſſers ſich auch auf dieſem bisher ſo wenig, und faſt immer ungluͤcklich, angebauten Felde des Dialogs im groͤßten Vortheil zeigt. Sie ſind von ſehr verſchiedenem Inhalt und Ton. In dem erſten wird das Erwachen eines Verſtorbenen in den Gefilden des Himmels und ſein ſteigendes Gewahrwerden des neuen Ortes und Zuſtandes dargeſtellt. Jedermann ſieht das Bedenkliche einer ſolchen Schilderung ein, wobei der Einbildungskraft ein reiches und gleichwohl nicht uͤberfuͤlltes Bild zu geben iſt, das ihr weithin zur Thaͤtigkeit Anreiz und doch zugleich Beruhigung geben muß, das beſonders aber den reingeiſtig chriſt¬ lichen Karakter nicht verlaͤugnen, noch dieſen unter ſinn¬ licher Fuͤlle verdecken darf. Das Bedenkliche wird zum Wagniß, wenn die Ausfuͤhrung in ſchlichter Proſa, und ſo zu ſagen im Tone einer ſtillen Lebensſcene geſchehen
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Ihr meinet, daß um euch noch Thraͤnen floͤſſen,
Daß die noch weinten, die ihr ſonſt begluͤcket?
Ihr irrt, ihr Todten! Neue Lieb’ entzuͤcket
Die ſchwachen Herzen, die ihr einſt beſeſſen.
Wohlan, ſo laßt uns ſchweigen von den Todten!
Ein Todter aber hat uns Heil erworben,
Und deſſen Name muͤſſe ſtets erſchallen.
Allein auch hier wird Schweigen uns geboten.
Vergeſſen iſt ein jeder, der geſtorben,
Und Er iſt der Vergeſſenſte von Allen.“
Auf dieſe Gedichte folgen „drei Geſpraͤche,“ worin die
ſinnige Kunſt des Verfaſſers ſich auch auf dieſem bisher
ſo wenig, und faſt immer ungluͤcklich, angebauten Felde
des Dialogs im groͤßten Vortheil zeigt. Sie ſind von
ſehr verſchiedenem Inhalt und Ton. In dem erſten
wird das Erwachen eines Verſtorbenen in den Gefilden
des Himmels und ſein ſteigendes Gewahrwerden des
neuen Ortes und Zuſtandes dargeſtellt. Jedermann
ſieht das Bedenkliche einer ſolchen Schilderung ein,
wobei der Einbildungskraft ein reiches und gleichwohl
nicht uͤberfuͤlltes Bild zu geben iſt, das ihr weithin
zur Thaͤtigkeit Anreiz und doch zugleich Beruhigung
geben muß, das beſonders aber den reingeiſtig chriſt¬
lichen Karakter nicht verlaͤugnen, noch dieſen unter ſinn¬
licher Fuͤlle verdecken darf. Das Bedenkliche wird zum
Wagniß, wenn die Ausfuͤhrung in ſchlichter Proſa, und
ſo zu ſagen im Tone einer ſtillen Lebensſcene geſchehen
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/433>, abgerufen am 22.11.2024.
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