Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Andre dann nicht wenig quälte, bis man ihn wieder,
was nicht schwer wurde, auf Scherz und Laune zurück¬
brachte. In erhabenen Freundschaften lebte er mit edlen
Frauen; einen abwesenden Freund, Herrn von Brockes,
führte er bei jeder Gelegenheit zärtlichst im Munde;
auch mit mir tauschte er jetzt Händedruck und Ver¬
trauensworte, und durchflocht meine Neigungen und
seine; die Leidenschaft, zu welcher eine jugendliche Schöne
ihn entflammt hatte, verbarg er keineswegs, wenn auch
die letztere selbst als ein zartes Geheimniß verschwiegen
blieb.

Einen neuen Mitstrebenden entdeckte und gewann ich
in einem jungen Manne, der in diesem Hause von Kind¬
heit an lebte, wie ein Sohn gehalten wurde, und auf
dem Komtoir beschäftigt war, aber sich außer den be¬
stimmten Zeiten wenig sehen ließ, und überhaupt in
seiner schweigsamen Stille sich kaum bemerkbar machte,
obgleich er für durchaus klug und kundig galt. Eines
Tages führte zufälliges Gespräch uns näher zusammen,
wir vertieften uns in Betrachtungen des Lebens und
der Poesie, seine Verschlossenheit hielt gegen meine an¬
dringende Wärme nicht aus, er bekannte mir, daß auch
er dichte, und wollte mir seine Erzeugnisse nicht vor¬
enthalten. Seine Gedichte waren klar und empfindungs¬
voll; sie entzückten mich; und als ich den Andern meine
gemachte Entdeckung mittheilen, ihnen die Verse wieder¬
holt vorlesen durfte, wollte man das Wunder kaum

Andre dann nicht wenig quaͤlte, bis man ihn wieder,
was nicht ſchwer wurde, auf Scherz und Laune zuruͤck¬
brachte. In erhabenen Freundſchaften lebte er mit edlen
Frauen; einen abweſenden Freund, Herrn von Brockes,
fuͤhrte er bei jeder Gelegenheit zaͤrtlichſt im Munde;
auch mit mir tauſchte er jetzt Haͤndedruck und Ver¬
trauensworte, und durchflocht meine Neigungen und
ſeine; die Leidenſchaft, zu welcher eine jugendliche Schoͤne
ihn entflammt hatte, verbarg er keineswegs, wenn auch
die letztere ſelbſt als ein zartes Geheimniß verſchwiegen
blieb.

Einen neuen Mitſtrebenden entdeckte und gewann ich
in einem jungen Manne, der in dieſem Hauſe von Kind¬
heit an lebte, wie ein Sohn gehalten wurde, und auf
dem Komtoir beſchaͤftigt war, aber ſich außer den be¬
ſtimmten Zeiten wenig ſehen ließ, und uͤberhaupt in
ſeiner ſchweigſamen Stille ſich kaum bemerkbar machte,
obgleich er fuͤr durchaus klug und kundig galt. Eines
Tages fuͤhrte zufaͤlliges Geſpraͤch uns naͤher zuſammen,
wir vertieften uns in Betrachtungen des Lebens und
der Poeſie, ſeine Verſchloſſenheit hielt gegen meine an¬
dringende Waͤrme nicht aus, er bekannte mir, daß auch
er dichte, und wollte mir ſeine Erzeugniſſe nicht vor¬
enthalten. Seine Gedichte waren klar und empfindungs¬
voll; ſie entzuͤckten mich; und als ich den Andern meine
gemachte Entdeckung mittheilen, ihnen die Verſe wieder¬
holt vorleſen durfte, wollte man das Wunder kaum

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="28"/>
Andre dann nicht wenig qua&#x0364;lte, bis man ihn wieder,<lb/>
was nicht &#x017F;chwer wurde, auf Scherz und Laune zuru&#x0364;ck¬<lb/>
brachte. In erhabenen Freund&#x017F;chaften lebte er mit edlen<lb/>
Frauen; einen abwe&#x017F;enden Freund, Herrn von Brockes,<lb/>
fu&#x0364;hrte er bei jeder Gelegenheit za&#x0364;rtlich&#x017F;t im Munde;<lb/>
auch mit mir tau&#x017F;chte er jetzt Ha&#x0364;ndedruck und Ver¬<lb/>
trauensworte, und durchflocht meine Neigungen und<lb/>
&#x017F;eine; die Leiden&#x017F;chaft, zu welcher eine jugendliche Scho&#x0364;ne<lb/>
ihn entflammt hatte, verbarg er keineswegs, wenn auch<lb/>
die letztere &#x017F;elb&#x017F;t als ein zartes Geheimniß ver&#x017F;chwiegen<lb/>
blieb.</p><lb/>
          <p>Einen neuen Mit&#x017F;trebenden entdeckte und gewann ich<lb/>
in einem jungen Manne, der in die&#x017F;em Hau&#x017F;e von Kind¬<lb/>
heit an lebte, wie ein Sohn gehalten wurde, und auf<lb/>
dem Komtoir be&#x017F;cha&#x0364;ftigt war, aber &#x017F;ich außer den be¬<lb/>
&#x017F;timmten Zeiten wenig &#x017F;ehen ließ, und u&#x0364;berhaupt in<lb/>
&#x017F;einer &#x017F;chweig&#x017F;amen Stille &#x017F;ich kaum bemerkbar machte,<lb/>
obgleich er fu&#x0364;r durchaus klug und kundig galt. Eines<lb/>
Tages fu&#x0364;hrte zufa&#x0364;lliges Ge&#x017F;pra&#x0364;ch uns na&#x0364;her zu&#x017F;ammen,<lb/>
wir vertieften uns in Betrachtungen des Lebens und<lb/>
der Poe&#x017F;ie, &#x017F;eine Ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit hielt gegen meine an¬<lb/>
dringende Wa&#x0364;rme nicht aus, er bekannte mir, daß auch<lb/>
er dichte, und wollte mir &#x017F;eine Erzeugni&#x017F;&#x017F;e nicht vor¬<lb/>
enthalten. Seine Gedichte waren klar und empfindungs¬<lb/>
voll; &#x017F;ie entzu&#x0364;ckten mich; und als ich den Andern meine<lb/>
gemachte Entdeckung mittheilen, ihnen die Ver&#x017F;e wieder¬<lb/>
holt vorle&#x017F;en durfte, wollte man das Wunder kaum<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0042] Andre dann nicht wenig quaͤlte, bis man ihn wieder, was nicht ſchwer wurde, auf Scherz und Laune zuruͤck¬ brachte. In erhabenen Freundſchaften lebte er mit edlen Frauen; einen abweſenden Freund, Herrn von Brockes, fuͤhrte er bei jeder Gelegenheit zaͤrtlichſt im Munde; auch mit mir tauſchte er jetzt Haͤndedruck und Ver¬ trauensworte, und durchflocht meine Neigungen und ſeine; die Leidenſchaft, zu welcher eine jugendliche Schoͤne ihn entflammt hatte, verbarg er keineswegs, wenn auch die letztere ſelbſt als ein zartes Geheimniß verſchwiegen blieb. Einen neuen Mitſtrebenden entdeckte und gewann ich in einem jungen Manne, der in dieſem Hauſe von Kind¬ heit an lebte, wie ein Sohn gehalten wurde, und auf dem Komtoir beſchaͤftigt war, aber ſich außer den be¬ ſtimmten Zeiten wenig ſehen ließ, und uͤberhaupt in ſeiner ſchweigſamen Stille ſich kaum bemerkbar machte, obgleich er fuͤr durchaus klug und kundig galt. Eines Tages fuͤhrte zufaͤlliges Geſpraͤch uns naͤher zuſammen, wir vertieften uns in Betrachtungen des Lebens und der Poeſie, ſeine Verſchloſſenheit hielt gegen meine an¬ dringende Waͤrme nicht aus, er bekannte mir, daß auch er dichte, und wollte mir ſeine Erzeugniſſe nicht vor¬ enthalten. Seine Gedichte waren klar und empfindungs¬ voll; ſie entzuͤckten mich; und als ich den Andern meine gemachte Entdeckung mittheilen, ihnen die Verſe wieder¬ holt vorleſen durfte, wollte man das Wunder kaum

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/42
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/42>, abgerufen am 19.04.2024.