Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

so haben wir in ihm unserem Vaterlande einen neuen
ächten Dichter zu preisen; ist er vierzig Jahr alt, und
bleibt stehen, so ist in ihm ein schönes Talent zu bekla¬
gen, das eines höheren Zieles würdig schien, ohne das¬
selbe erreicht zu haben. -- Wir können wirklich über
die vorliegenden Trauerspiele kein vollständiges Urtheil
aussprechen. Sie sind nicht das Vortrefflichste, was
wir kennen; sie sind weit entfernt von dem Schlechte¬
sten; dabei sind sie aber auch durchaus nicht mittelmäßig.
Man sieht, der Platz ist schwierig für sie zu bestimmen;
vielleicht wäre unsere Verlegenheit gehoben, wenn wir
uns entschlössen, ihnen verhältnißmäßigen Antheil an
jedem Platze zuzugestehen. Die Unbilligkeit, die dadurch
an dem Dichter dennoch ausgeübt würde, hält uns aber
wieder zurück. Seine Dichtungen sind Erscheinungen,
die bedeutend anregen und vielfach befriedigen, aber in
der Befriedigung selbst doch zumeist nur wieder anre¬
gen; sie sind Glieder aus einer Reihe, die in noch
größerer Folge überschaut sein will, um erkennen zu
lassen, ob die Richtung zum Höchsten, die sich un¬
zweifelhaft offenbart, in Anfang und Ende dieselbe bleibt,
und alle etwan abweichenden Seitenrichtungen entweder
frühzeitig verläßt, oder zuletzt noch wieder aufnimmt.
Es sind Stellen von größter Schönheit darin, eigen¬
thümliche Züge voll Tiefe und Wahrheit, wir hoffen,
diese Seite werde nur immer zunehmen.

ſo haben wir in ihm unſerem Vaterlande einen neuen
aͤchten Dichter zu preiſen; iſt er vierzig Jahr alt, und
bleibt ſtehen, ſo iſt in ihm ein ſchoͤnes Talent zu bekla¬
gen, das eines hoͤheren Zieles wuͤrdig ſchien, ohne daſ¬
ſelbe erreicht zu haben. — Wir koͤnnen wirklich uͤber
die vorliegenden Trauerſpiele kein vollſtaͤndiges Urtheil
ausſprechen. Sie ſind nicht das Vortrefflichſte, was
wir kennen; ſie ſind weit entfernt von dem Schlechte¬
ſten; dabei ſind ſie aber auch durchaus nicht mittelmaͤßig.
Man ſieht, der Platz iſt ſchwierig fuͤr ſie zu beſtimmen;
vielleicht waͤre unſere Verlegenheit gehoben, wenn wir
uns entſchloͤſſen, ihnen verhaͤltnißmaͤßigen Antheil an
jedem Platze zuzugeſtehen. Die Unbilligkeit, die dadurch
an dem Dichter dennoch ausgeuͤbt wuͤrde, haͤlt uns aber
wieder zuruͤck. Seine Dichtungen ſind Erſcheinungen,
die bedeutend anregen und vielfach befriedigen, aber in
der Befriedigung ſelbſt doch zumeiſt nur wieder anre¬
gen; ſie ſind Glieder aus einer Reihe, die in noch
groͤßerer Folge uͤberſchaut ſein will, um erkennen zu
laſſen, ob die Richtung zum Hoͤchſten, die ſich un¬
zweifelhaft offenbart, in Anfang und Ende dieſelbe bleibt,
und alle etwan abweichenden Seitenrichtungen entweder
fruͤhzeitig verlaͤßt, oder zuletzt noch wieder aufnimmt.
Es ſind Stellen von groͤßter Schoͤnheit darin, eigen¬
thuͤmliche Zuͤge voll Tiefe und Wahrheit, wir hoffen,
dieſe Seite werde nur immer zunehmen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0356" n="342"/>
&#x017F;o haben wir in ihm un&#x017F;erem Vaterlande einen neuen<lb/>
a&#x0364;chten Dichter zu prei&#x017F;en; i&#x017F;t er vierzig Jahr alt, und<lb/>
bleibt &#x017F;tehen, &#x017F;o i&#x017F;t in ihm ein &#x017F;cho&#x0364;nes Talent zu bekla¬<lb/>
gen, das eines ho&#x0364;heren Zieles wu&#x0364;rdig &#x017F;chien, ohne da&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;elbe erreicht zu haben. &#x2014; Wir ko&#x0364;nnen wirklich u&#x0364;ber<lb/>
die vorliegenden Trauer&#x017F;piele kein voll&#x017F;ta&#x0364;ndiges Urtheil<lb/>
aus&#x017F;prechen. Sie &#x017F;ind nicht das Vortrefflich&#x017F;te, was<lb/>
wir kennen; &#x017F;ie &#x017F;ind weit entfernt von dem Schlechte¬<lb/>
&#x017F;ten; dabei &#x017F;ind &#x017F;ie aber auch durchaus nicht mittelma&#x0364;ßig.<lb/>
Man &#x017F;ieht, der Platz i&#x017F;t &#x017F;chwierig fu&#x0364;r &#x017F;ie zu be&#x017F;timmen;<lb/>
vielleicht wa&#x0364;re un&#x017F;ere Verlegenheit gehoben, wenn wir<lb/>
uns ent&#x017F;chlo&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, ihnen verha&#x0364;ltnißma&#x0364;ßigen Antheil an<lb/>
jedem Platze zuzuge&#x017F;tehen. Die Unbilligkeit, die dadurch<lb/>
an dem Dichter dennoch ausgeu&#x0364;bt wu&#x0364;rde, ha&#x0364;lt uns aber<lb/>
wieder zuru&#x0364;ck. Seine Dichtungen &#x017F;ind Er&#x017F;cheinungen,<lb/>
die bedeutend anregen und vielfach befriedigen, aber in<lb/>
der Befriedigung &#x017F;elb&#x017F;t doch zumei&#x017F;t nur wieder anre¬<lb/>
gen; &#x017F;ie &#x017F;ind Glieder aus einer Reihe, die in noch<lb/>
gro&#x0364;ßerer Folge u&#x0364;ber&#x017F;chaut &#x017F;ein will, um erkennen zu<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, ob die <hi rendition="#g">Richtung zum Ho&#x0364;ch&#x017F;ten</hi>, die &#x017F;ich un¬<lb/>
zweifelhaft offenbart, in Anfang und Ende die&#x017F;elbe bleibt,<lb/>
und alle etwan abweichenden Seitenrichtungen entweder<lb/>
fru&#x0364;hzeitig verla&#x0364;ßt, oder zuletzt noch wieder aufnimmt.<lb/>
Es &#x017F;ind Stellen von gro&#x0364;ßter Scho&#x0364;nheit darin, eigen¬<lb/>
thu&#x0364;mliche Zu&#x0364;ge voll Tiefe und Wahrheit, wir hoffen,<lb/><hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> Seite werde nur immer zunehmen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0356] ſo haben wir in ihm unſerem Vaterlande einen neuen aͤchten Dichter zu preiſen; iſt er vierzig Jahr alt, und bleibt ſtehen, ſo iſt in ihm ein ſchoͤnes Talent zu bekla¬ gen, das eines hoͤheren Zieles wuͤrdig ſchien, ohne daſ¬ ſelbe erreicht zu haben. — Wir koͤnnen wirklich uͤber die vorliegenden Trauerſpiele kein vollſtaͤndiges Urtheil ausſprechen. Sie ſind nicht das Vortrefflichſte, was wir kennen; ſie ſind weit entfernt von dem Schlechte¬ ſten; dabei ſind ſie aber auch durchaus nicht mittelmaͤßig. Man ſieht, der Platz iſt ſchwierig fuͤr ſie zu beſtimmen; vielleicht waͤre unſere Verlegenheit gehoben, wenn wir uns entſchloͤſſen, ihnen verhaͤltnißmaͤßigen Antheil an jedem Platze zuzugeſtehen. Die Unbilligkeit, die dadurch an dem Dichter dennoch ausgeuͤbt wuͤrde, haͤlt uns aber wieder zuruͤck. Seine Dichtungen ſind Erſcheinungen, die bedeutend anregen und vielfach befriedigen, aber in der Befriedigung ſelbſt doch zumeiſt nur wieder anre¬ gen; ſie ſind Glieder aus einer Reihe, die in noch groͤßerer Folge uͤberſchaut ſein will, um erkennen zu laſſen, ob die Richtung zum Hoͤchſten, die ſich un¬ zweifelhaft offenbart, in Anfang und Ende dieſelbe bleibt, und alle etwan abweichenden Seitenrichtungen entweder fruͤhzeitig verlaͤßt, oder zuletzt noch wieder aufnimmt. Es ſind Stellen von groͤßter Schoͤnheit darin, eigen¬ thuͤmliche Zuͤge voll Tiefe und Wahrheit, wir hoffen, dieſe Seite werde nur immer zunehmen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/356
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/356>, abgerufen am 11.05.2024.