Gegensatze war. Er konnte etwas so Selbstständiges, aus dem Ganzen Lebendes, und, ohne Kunst und An¬ strengung, Wahrheit und Schönheit Produzirendes schlechterdings nicht vertragen, ja eine Art Neid und Eifersucht ergriff ihn, und er wandte alles an, um mich von dem neuen Verhältnisse wieder abzuziehen. Er selbst folgte mir zwar zu Rahel, erfuhr die lieb¬ reichste Aufnahme, genoß der belebendsten Gespräche, und konnte des Staunens und Betrachtens kein Ende finden; allein grade das verdroß ihn wieder, er wollte sich nicht überboten sehen, und blieb wieder weg, weil er den Zauber, wie er sagte, nicht wollte Herr über sich werden lassen. Seine ernstlichen Erörterungen aber, seine spöttischen Launen, und was er sonst versuchte, nichts hatte diesmal die geringste Gewalt auf mich, er sah es selber ein, und ließ mich meiner Wege gehen, zufrieden, daß ich neben der neuen Hinneigung auch unsrem alten Verhältnisse nach wie vor die treuste Be¬ flissenheit widmete, und mich nach dieser Seite ebenso¬ wenig wie nach jener irre machen ließ. -- --
Rahel bezog im Laufe des Sommers eine ländliche Wohnung in Charlottenburg, und ich ließ mir ange¬ legen sein, sie dort so oft als möglich zu besuchen. Meine Arbeiten drängte ich zusammen auf den früheren Theil des Tages, meinen sonstigen Umgang schränkte ich mehr und mehr ein, und wenn der Nachmittag mir noch nicht frei wurde, so ließ ich selbst den dunkelnden
Gegenſatze war. Er konnte etwas ſo Selbſtſtaͤndiges, aus dem Ganzen Lebendes, und, ohne Kunſt und An¬ ſtrengung, Wahrheit und Schoͤnheit Produzirendes ſchlechterdings nicht vertragen, ja eine Art Neid und Eiferſucht ergriff ihn, und er wandte alles an, um mich von dem neuen Verhaͤltniſſe wieder abzuziehen. Er ſelbſt folgte mir zwar zu Rahel, erfuhr die lieb¬ reichſte Aufnahme, genoß der belebendſten Geſpraͤche, und konnte des Staunens und Betrachtens kein Ende finden; allein grade das verdroß ihn wieder, er wollte ſich nicht uͤberboten ſehen, und blieb wieder weg, weil er den Zauber, wie er ſagte, nicht wollte Herr uͤber ſich werden laſſen. Seine ernſtlichen Eroͤrterungen aber, ſeine ſpoͤttiſchen Launen, und was er ſonſt verſuchte, nichts hatte diesmal die geringſte Gewalt auf mich, er ſah es ſelber ein, und ließ mich meiner Wege gehen, zufrieden, daß ich neben der neuen Hinneigung auch unſrem alten Verhaͤltniſſe nach wie vor die treuſte Be¬ fliſſenheit widmete, und mich nach dieſer Seite ebenſo¬ wenig wie nach jener irre machen ließ. — —
Rahel bezog im Laufe des Sommers eine laͤndliche Wohnung in Charlottenburg, und ich ließ mir ange¬ legen ſein, ſie dort ſo oft als moͤglich zu beſuchen. Meine Arbeiten draͤngte ich zuſammen auf den fruͤheren Theil des Tages, meinen ſonſtigen Umgang ſchraͤnkte ich mehr und mehr ein, und wenn der Nachmittag mir noch nicht frei wurde, ſo ließ ich ſelbſt den dunkelnden
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Gegenſatze war. Er konnte etwas ſo Selbſtſtaͤndiges,
aus dem Ganzen Lebendes, und, ohne Kunſt und An¬
ſtrengung, Wahrheit und Schoͤnheit Produzirendes
ſchlechterdings nicht vertragen, ja eine Art Neid und
Eiferſucht ergriff ihn, und er wandte alles an, um
mich von dem neuen Verhaͤltniſſe wieder abzuziehen.
Er ſelbſt folgte mir zwar zu Rahel, erfuhr die lieb¬
reichſte Aufnahme, genoß der belebendſten Geſpraͤche,
und konnte des Staunens und Betrachtens kein Ende
finden; allein grade das verdroß ihn wieder, er wollte
ſich nicht uͤberboten ſehen, und blieb wieder weg, weil
er den Zauber, wie er ſagte, nicht wollte Herr uͤber
ſich werden laſſen. Seine ernſtlichen Eroͤrterungen aber,
ſeine ſpoͤttiſchen Launen, und was er ſonſt verſuchte,
nichts hatte diesmal die geringſte Gewalt auf mich, er
ſah es ſelber ein, und ließ mich meiner Wege gehen,
zufrieden, daß ich neben der neuen Hinneigung auch
unſrem alten Verhaͤltniſſe nach wie vor die treuſte Be¬
fliſſenheit widmete, und mich nach dieſer Seite ebenſo¬
wenig wie nach jener irre machen ließ. — —
Rahel bezog im Laufe des Sommers eine laͤndliche
Wohnung in Charlottenburg, und ich ließ mir ange¬
legen ſein, ſie dort ſo oft als moͤglich zu beſuchen.
Meine Arbeiten draͤngte ich zuſammen auf den fruͤheren
Theil des Tages, meinen ſonſtigen Umgang ſchraͤnkte
ich mehr und mehr ein, und wenn der Nachmittag mir
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/187>, abgerufen am 16.02.2025.
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