Wir wissen nicht, ob auch diesesmal die Mittelsperson arglos geblieben, oder in stillschweigendem Einverständ¬ niß, vielleicht auch nur aus der unvermeidlichen Fol¬ gerung gehandelt, die sich durch die erste Gefälligkeit für die zweite zu ergeben schien, genug, der Zettel wurde befördert, ohne daß Bollmann sein Geheimniß auszusprechen oder einen Mitschuldigen zu gewinnen brauchte. Nachdem er auf solche Weise den Gefangenen unterrichtet, was er in der nächsten Zeit thun und er¬ warten solle, mit dem freundlichen Arzt aber zur Fort¬ setzung der angeknüpften Unterhaltungen einen vertrau¬ lichen Briefwechsel verabredet hatte, reiste er von Ol¬ mütz nach Wien. Unterwegs, in Brünn, schloß er mit dem rühmlich bekannten Erzieher und Wirthschafter Andre, der seine gemeinnützige Thätigkeit von Schnepfenthal nach Mähren verpflanzt hatte, und viele Jahre später nach Stuttgart übertrug, einen engen Freundschafts¬ bund; sie hatten viele gemeinsame Berührungspunkte, ihre Gesinnungen und Gemüthsarten stimmten zusam¬ men; es war für Bollmann wichtig, hier einen Mann zu haben, dem er ganz vertrauen dürfte; doch wollte er auch diesen Freund, der Manches errathen konnte, nicht ohne Noth durch gefahrvolles Mitwissen beun¬ ruhigen.
In Wien angekommen, wurde Bollmann als wohl¬ empfohlener und durch seine ganze Erscheinung ein¬ nehmender Gelehrter in den angesehensten Lebenskreisen
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Wir wiſſen nicht, ob auch dieſesmal die Mittelsperſon arglos geblieben, oder in ſtillſchweigendem Einverſtaͤnd¬ niß, vielleicht auch nur aus der unvermeidlichen Fol¬ gerung gehandelt, die ſich durch die erſte Gefaͤlligkeit fuͤr die zweite zu ergeben ſchien, genug, der Zettel wurde befoͤrdert, ohne daß Bollmann ſein Geheimniß auszuſprechen oder einen Mitſchuldigen zu gewinnen brauchte. Nachdem er auf ſolche Weiſe den Gefangenen unterrichtet, was er in der naͤchſten Zeit thun und er¬ warten ſolle, mit dem freundlichen Arzt aber zur Fort¬ ſetzung der angeknuͤpften Unterhaltungen einen vertrau¬ lichen Briefwechſel verabredet hatte, reiſte er von Ol¬ muͤtz nach Wien. Unterwegs, in Bruͤnn, ſchloß er mit dem ruͤhmlich bekannten Erzieher und Wirthſchafter André, der ſeine gemeinnuͤtzige Thaͤtigkeit von Schnepfenthal nach Maͤhren verpflanzt hatte, und viele Jahre ſpaͤter nach Stuttgart uͤbertrug, einen engen Freundſchafts¬ bund; ſie hatten viele gemeinſame Beruͤhrungspunkte, ihre Geſinnungen und Gemuͤthsarten ſtimmten zuſam¬ men; es war fuͤr Bollmann wichtig, hier einen Mann zu haben, dem er ganz vertrauen duͤrfte; doch wollte er auch dieſen Freund, der Manches errathen konnte, nicht ohne Noth durch gefahrvolles Mitwiſſen beun¬ ruhigen.
In Wien angekommen, wurde Bollmann als wohl¬ empfohlener und durch ſeine ganze Erſcheinung ein¬ nehmender Gelehrter in den angeſehenſten Lebenskreiſen
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Wir wiſſen nicht, ob auch dieſesmal die Mittelsperſon
arglos geblieben, oder in ſtillſchweigendem Einverſtaͤnd¬
niß, vielleicht auch nur aus der unvermeidlichen Fol¬
gerung gehandelt, die ſich durch die erſte Gefaͤlligkeit
fuͤr die zweite zu ergeben ſchien, genug, der Zettel
wurde befoͤrdert, ohne daß Bollmann ſein Geheimniß
auszuſprechen oder einen Mitſchuldigen zu gewinnen
brauchte. Nachdem er auf ſolche Weiſe den Gefangenen
unterrichtet, was er in der naͤchſten Zeit thun und er¬
warten ſolle, mit dem freundlichen Arzt aber zur Fort¬
ſetzung der angeknuͤpften Unterhaltungen einen vertrau¬
lichen Briefwechſel verabredet hatte, reiſte er von Ol¬
muͤtz nach Wien. Unterwegs, in Bruͤnn, ſchloß er mit
dem ruͤhmlich bekannten Erzieher und Wirthſchafter André,
der ſeine gemeinnuͤtzige Thaͤtigkeit von Schnepfenthal
nach Maͤhren verpflanzt hatte, und viele Jahre ſpaͤter
nach Stuttgart uͤbertrug, einen engen Freundſchafts¬
bund; ſie hatten viele gemeinſame Beruͤhrungspunkte,
ihre Geſinnungen und Gemuͤthsarten ſtimmten zuſam¬
men; es war fuͤr Bollmann wichtig, hier einen Mann
zu haben, dem er ganz vertrauen duͤrfte; doch wollte
er auch dieſen Freund, der Manches errathen konnte,
nicht ohne Noth durch gefahrvolles Mitwiſſen beun¬
ruhigen.
In Wien angekommen, wurde Bollmann als wohl¬
empfohlener und durch ſeine ganze Erſcheinung ein¬
nehmender Gelehrter in den angeſehenſten Lebenskreiſen
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/95>, abgerufen am 23.11.2024.
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