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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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da Narbonne selbst in seinem Billet mir anzeigte, er sei gegen¬
wärtig bald hier, bald dort, und da das Landhaus, wo er eigent¬
lich zu suchen war, zwanzig englische Meilen von London lag.

Um die Zeit machte ich im Coffeehouse durch einen Dritten,
den ich schon in Paris gekannt hatte, die Bekanntschaft eines
gewissen Erichsen, eines schwerreichen Kaufmanns aus Kopenhagen.
Es war ein sehr hübscher Mann, frei, offen, stolz, großmüthig
in seinem Wesen, dreißig Jahr alt, aber seit seinem dreizehnten
beständig auf Reisen; er war zweimal in Ostindien gewesen,
war, ohne gelehrte Kenntnisse zu haben, durch eigne Erfahrung
über unendlich viele Dinge äußerst richtig und umständlich be¬
lehrt. Er verstand sich gut auf Menschen, und kannte vorzüglich
England, wo er wie zu Hause war, mit allen seinen Verhält¬
nissen durch und durch! -- Nach einigen Unterhaltungen fing er an,
sich für mich zu interessiren, und dies Interesse wuchs bald zu
einem solchen Grade, daß er ohne mich nicht fertig werden konnte.
Er nahm sich vor, mich London kennen zu lehren. Wir besahen
eine Merkwürdigkeit nach der andern, gingen täglich ins Schau¬
spiel, besuchten alle öffentlichen Häuser, alle öffentlichen Zusammen¬
künfte, und drei Wochen verflogen so im Taumel. Erichsen ver¬
stand in einem hohen Grade die Kunst, zu beobachten. Sein Ver¬
stand brachte mannigfaltig zusammen alles, was seinen Blicken be¬
gegnete. Er sah nichts ohne zu denken, und überraschte mich oft
in großen Zirkeln mit Aufschlüssen über einzelne Personen, die es
unmöglich schien ohne genaue Bekanntschaft mit denselben geben
zu können, und die er doch, wie er mir nachher bewies, nur aus
einzelnen Bemerkungen schöpfte. Er machte mich aufmerksam auf
alles, was einem jungen Reisenden merkwürdig sein kann, er
führte mich zur Kenntniß englischer Sitten und englischen Karak¬
ters; er sprach mir von der englischen Staatsverfassung und von
den eingeschlichnen Mißbräuchen in dieselbe, mit Einem Worte --

da Narbonne ſelbſt in ſeinem Billet mir anzeigte, er ſei gegen¬
waͤrtig bald hier, bald dort, und da das Landhaus, wo er eigent¬
lich zu ſuchen war, zwanzig engliſche Meilen von London lag.

Um die Zeit machte ich im Coffeehouse durch einen Dritten,
den ich ſchon in Paris gekannt hatte, die Bekanntſchaft eines
gewiſſen Erichſen, eines ſchwerreichen Kaufmanns aus Kopenhagen.
Es war ein ſehr huͤbſcher Mann, frei, offen, ſtolz, großmuͤthig
in ſeinem Weſen, dreißig Jahr alt, aber ſeit ſeinem dreizehnten
beſtaͤndig auf Reiſen; er war zweimal in Oſtindien geweſen,
war, ohne gelehrte Kenntniſſe zu haben, durch eigne Erfahrung
uͤber unendlich viele Dinge aͤußerſt richtig und umſtaͤndlich be¬
lehrt. Er verſtand ſich gut auf Menſchen, und kannte vorzuͤglich
England, wo er wie zu Hauſe war, mit allen ſeinen Verhaͤlt¬
niſſen durch und durch! — Nach einigen Unterhaltungen fing er an,
ſich fuͤr mich zu intereſſiren, und dies Intereſſe wuchs bald zu
einem ſolchen Grade, daß er ohne mich nicht fertig werden konnte.
Er nahm ſich vor, mich London kennen zu lehren. Wir beſahen
eine Merkwuͤrdigkeit nach der andern, gingen taͤglich ins Schau¬
ſpiel, beſuchten alle oͤffentlichen Haͤuſer, alle oͤffentlichen Zuſammen¬
kuͤnfte, und drei Wochen verflogen ſo im Taumel. Erichſen ver¬
ſtand in einem hohen Grade die Kunſt, zu beobachten. Sein Ver¬
ſtand brachte mannigfaltig zuſammen alles, was ſeinen Blicken be¬
gegnete. Er ſah nichts ohne zu denken, und uͤberraſchte mich oft
in großen Zirkeln mit Aufſchluͤſſen uͤber einzelne Perſonen, die es
unmoͤglich ſchien ohne genaue Bekanntſchaft mit denſelben geben
zu koͤnnen, und die er doch, wie er mir nachher bewies, nur aus
einzelnen Bemerkungen ſchoͤpfte. Er machte mich aufmerkſam auf
alles, was einem jungen Reiſenden merkwuͤrdig ſein kann, er
fuͤhrte mich zur Kenntniß engliſcher Sitten und engliſchen Karak¬
ters; er ſprach mir von der engliſchen Staatsverfaſſung und von
den eingeſchlichnen Mißbraͤuchen in dieſelbe, mit Einem Worte —

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[47/0061] da Narbonne ſelbſt in ſeinem Billet mir anzeigte, er ſei gegen¬ waͤrtig bald hier, bald dort, und da das Landhaus, wo er eigent¬ lich zu ſuchen war, zwanzig engliſche Meilen von London lag. Um die Zeit machte ich im Coffeehouse durch einen Dritten, den ich ſchon in Paris gekannt hatte, die Bekanntſchaft eines gewiſſen Erichſen, eines ſchwerreichen Kaufmanns aus Kopenhagen. Es war ein ſehr huͤbſcher Mann, frei, offen, ſtolz, großmuͤthig in ſeinem Weſen, dreißig Jahr alt, aber ſeit ſeinem dreizehnten beſtaͤndig auf Reiſen; er war zweimal in Oſtindien geweſen, war, ohne gelehrte Kenntniſſe zu haben, durch eigne Erfahrung uͤber unendlich viele Dinge aͤußerſt richtig und umſtaͤndlich be¬ lehrt. Er verſtand ſich gut auf Menſchen, und kannte vorzuͤglich England, wo er wie zu Hauſe war, mit allen ſeinen Verhaͤlt¬ niſſen durch und durch! — Nach einigen Unterhaltungen fing er an, ſich fuͤr mich zu intereſſiren, und dies Intereſſe wuchs bald zu einem ſolchen Grade, daß er ohne mich nicht fertig werden konnte. Er nahm ſich vor, mich London kennen zu lehren. Wir beſahen eine Merkwuͤrdigkeit nach der andern, gingen taͤglich ins Schau¬ ſpiel, beſuchten alle oͤffentlichen Haͤuſer, alle oͤffentlichen Zuſammen¬ kuͤnfte, und drei Wochen verflogen ſo im Taumel. Erichſen ver¬ ſtand in einem hohen Grade die Kunſt, zu beobachten. Sein Ver¬ ſtand brachte mannigfaltig zuſammen alles, was ſeinen Blicken be¬ gegnete. Er ſah nichts ohne zu denken, und uͤberraſchte mich oft in großen Zirkeln mit Aufſchluͤſſen uͤber einzelne Perſonen, die es unmoͤglich ſchien ohne genaue Bekanntſchaft mit denſelben geben zu koͤnnen, und die er doch, wie er mir nachher bewies, nur aus einzelnen Bemerkungen ſchoͤpfte. Er machte mich aufmerkſam auf alles, was einem jungen Reiſenden merkwuͤrdig ſein kann, er fuͤhrte mich zur Kenntniß engliſcher Sitten und engliſchen Karak¬ ters; er ſprach mir von der engliſchen Staatsverfaſſung und von den eingeſchlichnen Mißbraͤuchen in dieſelbe, mit Einem Worte —

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/61>, abgerufen am 03.05.2024.