endlich Narbonne kam. -- Sein Erstes war, von den augen¬ blicklichen Anstalten zur Reise nach Paris zu sprechen; das Zweite, daß man einen Courier hinsenden müsse, -- der Courier wurde gleich geholt und fortgeschickt; -- das Dritte, es sei am besten, nur bis Dover selbst zu reisen, und da die Zurückkunft des Couriers abzuwarten! -- Sein Benehmen war unübertrefflich schön; er führte sie in Zeit von anderthalb Stunden wieder zurück zur Vernunft und Ruhe, und seine geistvolle Geschäftigkeit um Madame herum während der fünf folgenden Tage war eins der schönsten Schauspiele, die man sich denken kann.
Am sechsten kam die Nachricht von Jaucourt's Freilassung. Madame de Stael war zu Manuel gefahren, damals Procureur de la Commune. Sie hatt' ihn beinahe fußfällig gebeten, sich für Jaucourt zu verwenden. Manuel, still, finster, in sich ge¬ kehrt, von Kindsbeinen an Republikaner, war übrigens kein böser Mensch. Er that das Seinige, und Jaucourt entkam aus der Abbaye am Abend vor dem Gemörd' am 2. September. -- Es würde Schad' um ihn gewesen sein, hätt' er sterben müssen. Er ist ein guter Mann, in dem kein Falsch ist.
Diese gute Nachricht von Jaucourt's Freilassung errieth ich nur, -- förmlich mitgetheilt wurde sie mir nicht. -- Ich hatte einigen Antheil an dem Kummer von Madame de la Chatre genommen, und da sie mich sehr zu interessiren anfing, so ver¬ droß mich's um so mehr, daß man mich nicht Theil an der Freude nehmen ließ. Ich wollte auf der Stell' aus dem Hause, und verschwieg Narbonne nicht, warum. "Sie werden mir diese Kränkung nicht anthun," sagt' er, "die Weiber sind schamhaft mit ihren Geliebten; der Schmerz treibt über alle Schranken hinaus, aber mit der Ruhe kehrt die Ueberlegung wieder." -- Er hatte gleich mit Madame de la Chatre gesprochen, sie nahm den ersten Anlaß, um mir weitläufig und vertraulich von den
endlich Narbonne kam. — Sein Erſtes war, von den augen¬ blicklichen Anſtalten zur Reiſe nach Paris zu ſprechen; das Zweite, daß man einen Courier hinſenden muͤſſe, — der Courier wurde gleich geholt und fortgeſchickt; — das Dritte, es ſei am beſten, nur bis Dover ſelbſt zu reiſen, und da die Zuruͤckkunft des Couriers abzuwarten! — Sein Benehmen war unuͤbertrefflich ſchoͤn; er fuͤhrte ſie in Zeit von anderthalb Stunden wieder zuruͤck zur Vernunft und Ruhe, und ſeine geiſtvolle Geſchaͤftigkeit um Madame herum waͤhrend der fuͤnf folgenden Tage war eins der ſchoͤnſten Schauſpiele, die man ſich denken kann.
Am ſechſten kam die Nachricht von Jaucourt's Freilaſſung. Madame de Staël war zu Manuel gefahren, damals Procureur de la Commune. Sie hatt' ihn beinahe fußfaͤllig gebeten, ſich fuͤr Jaucourt zu verwenden. Manuel, ſtill, finſter, in ſich ge¬ kehrt, von Kindsbeinen an Republikaner, war uͤbrigens kein boͤſer Menſch. Er that das Seinige, und Jaucourt entkam aus der Abbaye am Abend vor dem Gemoͤrd' am 2. September. — Es wuͤrde Schad' um ihn geweſen ſein, haͤtt' er ſterben muͤſſen. Er iſt ein guter Mann, in dem kein Falſch iſt.
Dieſe gute Nachricht von Jaucourt's Freilaſſung errieth ich nur, — foͤrmlich mitgetheilt wurde ſie mir nicht. — Ich hatte einigen Antheil an dem Kummer von Madame de la Châtre genommen, und da ſie mich ſehr zu intereſſiren anfing, ſo ver¬ droß mich's um ſo mehr, daß man mich nicht Theil an der Freude nehmen ließ. Ich wollte auf der Stell' aus dem Hauſe, und verſchwieg Narbonne nicht, warum. „Sie werden mir dieſe Kraͤnkung nicht anthun,“ ſagt' er, „die Weiber ſind ſchamhaft mit ihren Geliebten; der Schmerz treibt uͤber alle Schranken hinaus, aber mit der Ruhe kehrt die Ueberlegung wieder.“ — Er hatte gleich mit Madame de la Châtre geſprochen, ſie nahm den erſten Anlaß, um mir weitlaͤufig und vertraulich von den
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endlich Narbonne kam. — Sein Erſtes war, von den augen¬
blicklichen Anſtalten zur Reiſe nach Paris zu ſprechen; das Zweite,
daß man einen Courier hinſenden muͤſſe, — der Courier wurde
gleich geholt und fortgeſchickt; — das Dritte, es ſei am beſten,
nur bis Dover ſelbſt zu reiſen, und da die Zuruͤckkunft des
Couriers abzuwarten! — Sein Benehmen war unuͤbertrefflich
ſchoͤn; er fuͤhrte ſie in Zeit von anderthalb Stunden wieder zuruͤck
zur Vernunft und Ruhe, und ſeine geiſtvolle Geſchaͤftigkeit um
Madame herum waͤhrend der fuͤnf folgenden Tage war eins der
ſchoͤnſten Schauſpiele, die man ſich denken kann.
Am ſechſten kam die Nachricht von Jaucourt's Freilaſſung.
Madame de Staël war zu Manuel gefahren, damals Procureur
de la Commune. Sie hatt' ihn beinahe fußfaͤllig gebeten, ſich
fuͤr Jaucourt zu verwenden. Manuel, ſtill, finſter, in ſich ge¬
kehrt, von Kindsbeinen an Republikaner, war uͤbrigens kein
boͤſer Menſch. Er that das Seinige, und Jaucourt entkam aus
der Abbaye am Abend vor dem Gemoͤrd' am 2. September. —
Es wuͤrde Schad' um ihn geweſen ſein, haͤtt' er ſterben muͤſſen.
Er iſt ein guter Mann, in dem kein Falſch iſt.
Dieſe gute Nachricht von Jaucourt's Freilaſſung errieth
ich nur, — foͤrmlich mitgetheilt wurde ſie mir nicht. — Ich
hatte einigen Antheil an dem Kummer von Madame de la Châtre
genommen, und da ſie mich ſehr zu intereſſiren anfing, ſo ver¬
droß mich's um ſo mehr, daß man mich nicht Theil an der
Freude nehmen ließ. Ich wollte auf der Stell' aus dem Hauſe,
und verſchwieg Narbonne nicht, warum. „Sie werden mir dieſe
Kraͤnkung nicht anthun,“ ſagt' er, „die Weiber ſind ſchamhaft
mit ihren Geliebten; der Schmerz treibt uͤber alle Schranken
hinaus, aber mit der Ruhe kehrt die Ueberlegung wieder.“ —
Er hatte gleich mit Madame de la Châtre geſprochen, ſie nahm
den erſten Anlaß, um mir weitlaͤufig und vertraulich von den
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/55>, abgerufen am 24.11.2024.
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