Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

für ihn, und konnten bleiben oder gehen, für den Glanz
seiner Stellung war beides unerheblich.

In diesen Gesprächen mit Eckermann wird dieses
Verhältniß auch mehrmals berührt, und bei allem
Tadel, der mitunter ausgesprochen wird, ist eine große
Anerkennung, und selbst eine wirksame Vorliebe nicht
zu verkennen. Ueberhaupt lobt Goethe lieber, als daß
er tadelt, und wo letzteres vorkommt, ist er gewiß
dazu gezwungen. Die bedeutendste Stelle in diesem
Betreff ist unstreitig die, wo von Tieck die Rede ist.
Goethe sagt hier ganz unbefangen: "Als die Schlegel
anfingen bedeutend zu werden, war ich ihnen zu mächtig,
und um mich zu balanciren, mußten sie sich nach einem
Talent umsehen, das sie mir entgegenstellten. Ein
solches fanden sie in Tieck, und damit er mir gegen¬
über in den Augen des Publikums genugsam bedeutend
erschiene, so mußten sie mehr aus ihm machen, als er
war. Dies schadete unserm Verhältniß; denn Tieck
kam dadurch zu mir, ohne es sich eigentlich bewußt zu
werden, in eine schiefe Stellung. Tieck ist ein Talent
von hoher Bedeutung, und es kann seine außerordent¬
lichen Verdienste niemand besser erkennen, als ich selber;
allein wenn man ihn über ihn selbst erheben und mir
gleichstellen will, so ist man im Irrthum." Hier wer¬
den die Gegner aufschreien und ihn des Selbstlobes
beschuldigen, des Hochmuths, der Anmaßung! Aber
hören wir ihn weiter! Er setzt sogleich hinzu: "Ich

fuͤr ihn, und konnten bleiben oder gehen, fuͤr den Glanz
ſeiner Stellung war beides unerheblich.

In dieſen Geſpraͤchen mit Eckermann wird dieſes
Verhaͤltniß auch mehrmals beruͤhrt, und bei allem
Tadel, der mitunter ausgeſprochen wird, iſt eine große
Anerkennung, und ſelbſt eine wirkſame Vorliebe nicht
zu verkennen. Ueberhaupt lobt Goethe lieber, als daß
er tadelt, und wo letzteres vorkommt, iſt er gewiß
dazu gezwungen. Die bedeutendſte Stelle in dieſem
Betreff iſt unſtreitig die, wo von Tieck die Rede iſt.
Goethe ſagt hier ganz unbefangen: „Als die Schlegel
anfingen bedeutend zu werden, war ich ihnen zu maͤchtig,
und um mich zu balanciren, mußten ſie ſich nach einem
Talent umſehen, das ſie mir entgegenſtellten. Ein
ſolches fanden ſie in Tieck, und damit er mir gegen¬
uͤber in den Augen des Publikums genugſam bedeutend
erſchiene, ſo mußten ſie mehr aus ihm machen, als er
war. Dies ſchadete unſerm Verhaͤltniß; denn Tieck
kam dadurch zu mir, ohne es ſich eigentlich bewußt zu
werden, in eine ſchiefe Stellung. Tieck iſt ein Talent
von hoher Bedeutung, und es kann ſeine außerordent¬
lichen Verdienſte niemand beſſer erkennen, als ich ſelber;
allein wenn man ihn uͤber ihn ſelbſt erheben und mir
gleichſtellen will, ſo iſt man im Irrthum.“ Hier wer¬
den die Gegner aufſchreien und ihn des Selbſtlobes
beſchuldigen, des Hochmuths, der Anmaßung! Aber
hoͤren wir ihn weiter! Er ſetzt ſogleich hinzu: „Ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0490" n="476"/>
fu&#x0364;r ihn, und konnten bleiben oder gehen, fu&#x0364;r den Glanz<lb/>
&#x017F;einer Stellung war beides unerheblich.</p><lb/>
            <p>In die&#x017F;en Ge&#x017F;pra&#x0364;chen mit Eckermann wird die&#x017F;es<lb/>
Verha&#x0364;ltniß auch mehrmals beru&#x0364;hrt, und bei allem<lb/>
Tadel, der mitunter ausge&#x017F;prochen wird, i&#x017F;t eine große<lb/>
Anerkennung, und &#x017F;elb&#x017F;t eine wirk&#x017F;ame Vorliebe nicht<lb/>
zu verkennen. Ueberhaupt lobt Goethe lieber, als daß<lb/>
er tadelt, und wo letzteres vorkommt, i&#x017F;t er gewiß<lb/>
dazu gezwungen. Die bedeutend&#x017F;te Stelle in die&#x017F;em<lb/>
Betreff i&#x017F;t un&#x017F;treitig die, wo von Tieck die Rede i&#x017F;t.<lb/>
Goethe &#x017F;agt hier ganz unbefangen: &#x201E;Als die Schlegel<lb/>
anfingen bedeutend zu werden, war ich ihnen zu ma&#x0364;chtig,<lb/>
und um mich zu balanciren, mußten &#x017F;ie &#x017F;ich nach einem<lb/>
Talent um&#x017F;ehen, das &#x017F;ie mir entgegen&#x017F;tellten. Ein<lb/>
&#x017F;olches fanden &#x017F;ie in Tieck, und damit er mir gegen¬<lb/>
u&#x0364;ber in den Augen des Publikums genug&#x017F;am bedeutend<lb/>
er&#x017F;chiene, &#x017F;o mußten &#x017F;ie mehr aus ihm machen, als er<lb/>
war. Dies &#x017F;chadete un&#x017F;erm Verha&#x0364;ltniß; denn Tieck<lb/>
kam dadurch zu mir, ohne es &#x017F;ich eigentlich bewußt zu<lb/>
werden, in eine &#x017F;chiefe Stellung. Tieck i&#x017F;t ein Talent<lb/>
von hoher Bedeutung, und es kann &#x017F;eine außerordent¬<lb/>
lichen Verdien&#x017F;te niemand be&#x017F;&#x017F;er erkennen, als ich &#x017F;elber;<lb/>
allein wenn man ihn u&#x0364;ber ihn &#x017F;elb&#x017F;t erheben und mir<lb/>
gleich&#x017F;tellen will, &#x017F;o i&#x017F;t man im Irrthum.&#x201C; Hier wer¬<lb/>
den die Gegner auf&#x017F;chreien und ihn des Selb&#x017F;tlobes<lb/>
be&#x017F;chuldigen, des Hochmuths, der Anmaßung! Aber<lb/>
ho&#x0364;ren wir ihn weiter! Er &#x017F;etzt &#x017F;ogleich hinzu: &#x201E;<hi rendition="#g">Ich<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[476/0490] fuͤr ihn, und konnten bleiben oder gehen, fuͤr den Glanz ſeiner Stellung war beides unerheblich. In dieſen Geſpraͤchen mit Eckermann wird dieſes Verhaͤltniß auch mehrmals beruͤhrt, und bei allem Tadel, der mitunter ausgeſprochen wird, iſt eine große Anerkennung, und ſelbſt eine wirkſame Vorliebe nicht zu verkennen. Ueberhaupt lobt Goethe lieber, als daß er tadelt, und wo letzteres vorkommt, iſt er gewiß dazu gezwungen. Die bedeutendſte Stelle in dieſem Betreff iſt unſtreitig die, wo von Tieck die Rede iſt. Goethe ſagt hier ganz unbefangen: „Als die Schlegel anfingen bedeutend zu werden, war ich ihnen zu maͤchtig, und um mich zu balanciren, mußten ſie ſich nach einem Talent umſehen, das ſie mir entgegenſtellten. Ein ſolches fanden ſie in Tieck, und damit er mir gegen¬ uͤber in den Augen des Publikums genugſam bedeutend erſchiene, ſo mußten ſie mehr aus ihm machen, als er war. Dies ſchadete unſerm Verhaͤltniß; denn Tieck kam dadurch zu mir, ohne es ſich eigentlich bewußt zu werden, in eine ſchiefe Stellung. Tieck iſt ein Talent von hoher Bedeutung, und es kann ſeine außerordent¬ lichen Verdienſte niemand beſſer erkennen, als ich ſelber; allein wenn man ihn uͤber ihn ſelbſt erheben und mir gleichſtellen will, ſo iſt man im Irrthum.“ Hier wer¬ den die Gegner aufſchreien und ihn des Selbſtlobes beſchuldigen, des Hochmuths, der Anmaßung! Aber hoͤren wir ihn weiter! Er ſetzt ſogleich hinzu: „Ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/490
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 476. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/490>, abgerufen am 09.11.2024.