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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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des alsbald lebhaften Gesprächs zu schildern suchen, es
war wie ein Stück Leben, in tausend Wellen fließend,
ein Gefühl im Ganzen wirkend ohne die einzelnen Be¬
züge gesondert festhalten zu lassen; jedes Wort eine
Blüthe am Zweige des Baumes, aus der tiefen dun¬
keln Wurzel her, aber selber doch nur als luftigheitres
Gebild des Augenblickes erschlossen. Wie jenen helleni¬
schen Fremden zu Athen, die nach mehreren mit Plato
verlebten Tagen ihn ersuchten, sie nun auch zu seinem
berühmten Namensvetter, dem Philosophen zu führen,
so ging es fast mir, der ich in täuschender Besinnung
leicht diesen herrlichen Mann hätte bitten können, mir
nun auch die Bekanntschaft des ihm gleichnamigen
Schriftstellers zu verschaffen. Ich blieb auf Goethe's
wiederholtes Anmahnen den ganzen Abend bei ihm, bis
Mitternacht sogar; sein Sohn und dessen neuvermählte
Gattin waren die einzigen Mitgenossen eines Theils
dieser Stunden. Schwer würde ich einige besondere
Sprüche aus dem lebenreichen Ganzen aussondern! die
festesten, kräftigsten Aeußerungen, die feinsten, erfreu¬
lichsten Wendungen, voll Gestalt im Hervorkommen,
zerflossen mir unter den Händen, wenn ich sie dem Ge¬
dächtnisse zum Behalten und Ueberliefern einprägen
wollte. Wir sprachen über alles, Goethe mit unge¬
wöhnlichem -- er sagt es selbst -- Zutrauen von Din¬
gen, die seine Denkart sonst lieber unerörtert lassen
mag; auch über den Geist und die Richtung der Ent¬

des alsbald lebhaften Geſpraͤchs zu ſchildern ſuchen, es
war wie ein Stuͤck Leben, in tauſend Wellen fließend,
ein Gefuͤhl im Ganzen wirkend ohne die einzelnen Be¬
zuͤge geſondert feſthalten zu laſſen; jedes Wort eine
Bluͤthe am Zweige des Baumes, aus der tiefen dun¬
keln Wurzel her, aber ſelber doch nur als luftigheitres
Gebild des Augenblickes erſchloſſen. Wie jenen helleni¬
ſchen Fremden zu Athen, die nach mehreren mit Plato
verlebten Tagen ihn erſuchten, ſie nun auch zu ſeinem
beruͤhmten Namensvetter, dem Philoſophen zu fuͤhren,
ſo ging es faſt mir, der ich in taͤuſchender Beſinnung
leicht dieſen herrlichen Mann haͤtte bitten koͤnnen, mir
nun auch die Bekanntſchaft des ihm gleichnamigen
Schriftſtellers zu verſchaffen. Ich blieb auf Goethe’s
wiederholtes Anmahnen den ganzen Abend bei ihm, bis
Mitternacht ſogar; ſein Sohn und deſſen neuvermaͤhlte
Gattin waren die einzigen Mitgenoſſen eines Theils
dieſer Stunden. Schwer wuͤrde ich einige beſondere
Spruͤche aus dem lebenreichen Ganzen ausſondern! die
feſteſten, kraͤftigſten Aeußerungen, die feinſten, erfreu¬
lichſten Wendungen, voll Geſtalt im Hervorkommen,
zerfloſſen mir unter den Haͤnden, wenn ich ſie dem Ge¬
daͤchtniſſe zum Behalten und Ueberliefern einpraͤgen
wollte. Wir ſprachen uͤber alles, Goethe mit unge¬
woͤhnlichem — er ſagt es ſelbſt — Zutrauen von Din¬
gen, die ſeine Denkart ſonſt lieber uneroͤrtert laſſen
mag; auch uͤber den Geiſt und die Richtung der Ent¬

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[428/0442] des alsbald lebhaften Geſpraͤchs zu ſchildern ſuchen, es war wie ein Stuͤck Leben, in tauſend Wellen fließend, ein Gefuͤhl im Ganzen wirkend ohne die einzelnen Be¬ zuͤge geſondert feſthalten zu laſſen; jedes Wort eine Bluͤthe am Zweige des Baumes, aus der tiefen dun¬ keln Wurzel her, aber ſelber doch nur als luftigheitres Gebild des Augenblickes erſchloſſen. Wie jenen helleni¬ ſchen Fremden zu Athen, die nach mehreren mit Plato verlebten Tagen ihn erſuchten, ſie nun auch zu ſeinem beruͤhmten Namensvetter, dem Philoſophen zu fuͤhren, ſo ging es faſt mir, der ich in taͤuſchender Beſinnung leicht dieſen herrlichen Mann haͤtte bitten koͤnnen, mir nun auch die Bekanntſchaft des ihm gleichnamigen Schriftſtellers zu verſchaffen. Ich blieb auf Goethe’s wiederholtes Anmahnen den ganzen Abend bei ihm, bis Mitternacht ſogar; ſein Sohn und deſſen neuvermaͤhlte Gattin waren die einzigen Mitgenoſſen eines Theils dieſer Stunden. Schwer wuͤrde ich einige beſondere Spruͤche aus dem lebenreichen Ganzen ausſondern! die feſteſten, kraͤftigſten Aeußerungen, die feinſten, erfreu¬ lichſten Wendungen, voll Geſtalt im Hervorkommen, zerfloſſen mir unter den Haͤnden, wenn ich ſie dem Ge¬ daͤchtniſſe zum Behalten und Ueberliefern einpraͤgen wollte. Wir ſprachen uͤber alles, Goethe mit unge¬ woͤhnlichem — er ſagt es ſelbſt — Zutrauen von Din¬ gen, die ſeine Denkart ſonſt lieber uneroͤrtert laſſen mag; auch uͤber den Geiſt und die Richtung der Ent¬

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/442>, abgerufen am 25.11.2024.