Ein Gegenstand fordert und nimmt sich sein Recht; indem ich diese Zeilen an Sie, verehrtester Freund, be¬ ginne, drängt es sich mir unwiderstehlich auf, Ihnen vor allen andern Dingen zu sagen, daß ich Goethe'n persönlich kennen gelernt habe; zum erstenmal in meinem Leben hab' ich ihn gesehn, kaum der Gefahr entwunden, ihn unbesucht vorbeizureisen, aber freilich auch nicht ahn¬ dend und vermuthend, welcherlei Gut mir dadurch un¬ zugetheilt geblieben wäre! Ich kam Nachmittags gegen 4 Uhr in Weimar an, unmuthig, durchfrostet, nach schlechten Nachtfahrten, auf verdorbenen Wegen, voll ungeduldiger Eile; in dieser Stimmung beschloß ich dennoch zuletzt mein Heil zu versuchen, ließ mich mel¬ den und wurde zu 5 Uhr angenommen. Ein Gang von wenigen Schritten, aber in welcher Erregung legte ich
Beſuch bei Goethe. November, 1817.
(Aus einem Briefe.)
Ein Gegenſtand fordert und nimmt ſich ſein Recht; indem ich dieſe Zeilen an Sie, verehrteſter Freund, be¬ ginne, draͤngt es ſich mir unwiderſtehlich auf, Ihnen vor allen andern Dingen zu ſagen, daß ich Goethe’n perſoͤnlich kennen gelernt habe; zum erſtenmal in meinem Leben hab’ ich ihn geſehn, kaum der Gefahr entwunden, ihn unbeſucht vorbeizureiſen, aber freilich auch nicht ahn¬ dend und vermuthend, welcherlei Gut mir dadurch un¬ zugetheilt geblieben waͤre! Ich kam Nachmittags gegen 4 Uhr in Weimar an, unmuthig, durchfroſtet, nach ſchlechten Nachtfahrten, auf verdorbenen Wegen, voll ungeduldiger Eile; in dieſer Stimmung beſchloß ich dennoch zuletzt mein Heil zu verſuchen, ließ mich mel¬ den und wurde zu 5 Uhr angenommen. Ein Gang von wenigen Schritten, aber in welcher Erregung legte ich
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0440"n="[426]"/><divn="2"><head><hirendition="#b #g">Beſuch bei Goethe</hi><hirendition="#b">.</hi><lb/>
November, <hirendition="#b">1817.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><head>(<hirendition="#g">Aus einem Briefe</hi>.)<lb/></head><p><hirendition="#in">E</hi>in Gegenſtand fordert und nimmt ſich ſein Recht;<lb/>
indem ich dieſe Zeilen an Sie, verehrteſter Freund, be¬<lb/>
ginne, draͤngt es ſich mir unwiderſtehlich auf, Ihnen<lb/>
vor allen andern Dingen zu ſagen, daß ich Goethe’n<lb/>
perſoͤnlich kennen gelernt habe; zum erſtenmal in meinem<lb/>
Leben hab’ ich ihn geſehn, kaum der Gefahr entwunden,<lb/>
ihn unbeſucht vorbeizureiſen, aber freilich auch nicht ahn¬<lb/>
dend und vermuthend, welcherlei Gut mir dadurch un¬<lb/>
zugetheilt geblieben waͤre! Ich kam Nachmittags gegen<lb/><hirendition="#b">4</hi> Uhr in Weimar an, unmuthig, durchfroſtet, nach<lb/>ſchlechten Nachtfahrten, auf verdorbenen Wegen, voll<lb/>
ungeduldiger Eile; in dieſer Stimmung beſchloß ich<lb/>
dennoch zuletzt mein Heil zu verſuchen, ließ mich mel¬<lb/>
den und wurde zu <hirendition="#b">5</hi> Uhr angenommen. Ein Gang von<lb/>
wenigen Schritten, aber in welcher Erregung legte ich<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[[426]/0440]
Beſuch bei Goethe.
November, 1817.
(Aus einem Briefe.)
Ein Gegenſtand fordert und nimmt ſich ſein Recht;
indem ich dieſe Zeilen an Sie, verehrteſter Freund, be¬
ginne, draͤngt es ſich mir unwiderſtehlich auf, Ihnen
vor allen andern Dingen zu ſagen, daß ich Goethe’n
perſoͤnlich kennen gelernt habe; zum erſtenmal in meinem
Leben hab’ ich ihn geſehn, kaum der Gefahr entwunden,
ihn unbeſucht vorbeizureiſen, aber freilich auch nicht ahn¬
dend und vermuthend, welcherlei Gut mir dadurch un¬
zugetheilt geblieben waͤre! Ich kam Nachmittags gegen
4 Uhr in Weimar an, unmuthig, durchfroſtet, nach
ſchlechten Nachtfahrten, auf verdorbenen Wegen, voll
ungeduldiger Eile; in dieſer Stimmung beſchloß ich
dennoch zuletzt mein Heil zu verſuchen, ließ mich mel¬
den und wurde zu 5 Uhr angenommen. Ein Gang von
wenigen Schritten, aber in welcher Erregung legte ich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. [426]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/440>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.