nisse sich überläßt, und worin der Zustand der Prole¬ tarien, der Verwahrlosten und Bedrückten, in erschüt¬ ternder Nacktheit gezeigt wird, noch etwas ganz anderes auf sich hat, als durch ein groteskes Nachtstück die dichterische Wirkung wechselvoll zu erhöhen.
Auffallend und bedeutend mußte es auch erscheinen, als unvermuthet nachgewiesen wurde, was einer neuen Entdeckung gleichkam, daß jene beiden Texte, auf welche ein so großer Werth gelegt werden sollte, von Göthe'n selbst im Stillen schon mit einem besondern Nachdruck versehen waren, indem er solche bei anderm Anlasse wiederholt, und beide an verschiedenem Orte nochmals der Betrachtung ausgestellt hatte, den einen nämlich in den Unterhaltungen deutscher Ausgewander¬ ten, und den andern in den Beilagen zu Cellini's Lebensbeschreibung. Vieler nicht so unmittelbaren Hin¬ deutungen oder Anklänge zu geschweigen, die sich in seinen Schriften auch sonst für dieses Thema zahlreich finden ließen.
Eine starke Sammlung würde es geben, wollte man alles vereinigen, was über Wilhelm Meisters Lehrjahre, seit der ersten Erscheinung dieses Romans, geschrieben und vorgetragen, mit einsichtiger Würdigung gedacht und belehrend ausgesprochen, oder auch mit unzugänglichem Vermögen gefabelt und vernünftelt worden. Der Dichter hat alles dieses, den Tadel wie das Lob, den guten wie den bösen Willen, schweigend
niſſe ſich uͤberlaͤßt, und worin der Zuſtand der Prole¬ tarien, der Verwahrloſten und Bedruͤckten, in erſchuͤt¬ ternder Nacktheit gezeigt wird, noch etwas ganz anderes auf ſich hat, als durch ein groteskes Nachtſtuͤck die dichteriſche Wirkung wechſelvoll zu erhoͤhen.
Auffallend und bedeutend mußte es auch erſcheinen, als unvermuthet nachgewieſen wurde, was einer neuen Entdeckung gleichkam, daß jene beiden Texte, auf welche ein ſo großer Werth gelegt werden ſollte, von Goͤthe’n ſelbſt im Stillen ſchon mit einem beſondern Nachdruck verſehen waren, indem er ſolche bei anderm Anlaſſe wiederholt, und beide an verſchiedenem Orte nochmals der Betrachtung ausgeſtellt hatte, den einen naͤmlich in den Unterhaltungen deutſcher Ausgewander¬ ten, und den andern in den Beilagen zu Cellini’s Lebensbeſchreibung. Vieler nicht ſo unmittelbaren Hin¬ deutungen oder Anklaͤnge zu geſchweigen, die ſich in ſeinen Schriften auch ſonſt fuͤr dieſes Thema zahlreich finden ließen.
Eine ſtarke Sammlung wuͤrde es geben, wollte man alles vereinigen, was uͤber Wilhelm Meiſters Lehrjahre, ſeit der erſten Erſcheinung dieſes Romans, geſchrieben und vorgetragen, mit einſichtiger Wuͤrdigung gedacht und belehrend ausgeſprochen, oder auch mit unzugaͤnglichem Vermoͤgen gefabelt und vernuͤnftelt worden. Der Dichter hat alles dieſes, den Tadel wie das Lob, den guten wie den boͤſen Willen, ſchweigend
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niſſe ſich uͤberlaͤßt, und worin der Zuſtand der Prole¬
tarien, der Verwahrloſten und Bedruͤckten, in erſchuͤt¬
ternder Nacktheit gezeigt wird, noch etwas ganz anderes
auf ſich hat, als durch ein groteskes Nachtſtuͤck die
dichteriſche Wirkung wechſelvoll zu erhoͤhen.
Auffallend und bedeutend mußte es auch erſcheinen,
als unvermuthet nachgewieſen wurde, was einer neuen
Entdeckung gleichkam, daß jene beiden Texte, auf
welche ein ſo großer Werth gelegt werden ſollte, von
Goͤthe’n ſelbſt im Stillen ſchon mit einem beſondern
Nachdruck verſehen waren, indem er ſolche bei anderm
Anlaſſe wiederholt, und beide an verſchiedenem Orte
nochmals der Betrachtung ausgeſtellt hatte, den einen
naͤmlich in den Unterhaltungen deutſcher Ausgewander¬
ten, und den andern in den Beilagen zu Cellini’s
Lebensbeſchreibung. Vieler nicht ſo unmittelbaren Hin¬
deutungen oder Anklaͤnge zu geſchweigen, die ſich in
ſeinen Schriften auch ſonſt fuͤr dieſes Thema zahlreich
finden ließen.
Eine ſtarke Sammlung wuͤrde es geben, wollte
man alles vereinigen, was uͤber Wilhelm Meiſters
Lehrjahre, ſeit der erſten Erſcheinung dieſes Romans,
geſchrieben und vorgetragen, mit einſichtiger Wuͤrdigung
gedacht und belehrend ausgeſprochen, oder auch mit
unzugaͤnglichem Vermoͤgen gefabelt und vernuͤnftelt
worden. Der Dichter hat alles dieſes, den Tadel wie
das Lob, den guten wie den boͤſen Willen, ſchweigend
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/429>, abgerufen am 22.11.2024.
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