Andern; auch die Frau von Stael wird in kurzem hieher kom¬ men; alle diese Leute zusammen, vermuthlich der Kern von Frank¬ reich, reine Freunde der Revolution, und gleichweit entfernt vom Wahnsinn der Emigrirten in Koblenz und von der Wuth der Jakobiner, werden, eine kleine französische Kolonie, in der Nähe von London sich etabliren, und den weitern Gang der Angele¬ genheiten ihres Vaterlandes, dem sie jetzt nicht dienen können, abwarten!
Verhältnisse wie die obigen, zusammen und gegenseitig hülf¬ reich miteinander durchlebt, machen die Scheidewände plötzlich fallen, welche die Eitelkeit und der Wahn oft zwischen Menschen und Menschen setzt; man rückt sich näher; man kömmt auf ein¬ mal mit vielen Punkten herüber und hinüber in Berührung, und der Neuling, der Fremdling, tritt in den Platz bejahrter Freunde. -- Dies ist gegenwärtig ungefähr mein Fall. Ich habe mich nicht weigern können, mit diesen Menschen, von denen ich überzeugt bin, daß sie mich lieben, eine Zeit lang zu leben. Ich werde mit ihnen einige Monate auf dem Lande zubringen, und während dieser Zeit der englischen Sprache und Literatur in glück¬ licher Ruhe mich widmen.
Die unbegränzte Güte Narbonne's und der Frau von Stael setzen mich überdies in den Stand, meinen ersten Reiseplan zu verfolgen, und hernach meine Praxis anzufangen, ohne um die ersten Augenblicke in Verlegenheit zu sein; denn ich habe -- doch von diesen Umständen und dem, was damit in Verbindung steht, red' ich Ihnen ein andermal. Es würde mich heute zu weit führen, und ich fürchte so schon Ihre Geduld zu mißbrauchen. -- Genug, ich glaube einen wesentlichen Schritt gethan zu haben, nicht nur um mein eignes, sondern auch um das Glück mancher meiner Freunde zu gründen; und ich kann die Früchte desselben um so ruhiger genießen, je weniger ich dieselben vorhersah, je
Andern; auch die Frau von Staël wird in kurzem hieher kom¬ men; alle dieſe Leute zuſammen, vermuthlich der Kern von Frank¬ reich, reine Freunde der Revolution, und gleichweit entfernt vom Wahnſinn der Emigrirten in Koblenz und von der Wuth der Jakobiner, werden, eine kleine franzoͤſiſche Kolonie, in der Naͤhe von London ſich etabliren, und den weitern Gang der Angele¬ genheiten ihres Vaterlandes, dem ſie jetzt nicht dienen koͤnnen, abwarten!
Verhaͤltniſſe wie die obigen, zuſammen und gegenſeitig huͤlf¬ reich miteinander durchlebt, machen die Scheidewaͤnde ploͤtzlich fallen, welche die Eitelkeit und der Wahn oft zwiſchen Menſchen und Menſchen ſetzt; man ruͤckt ſich naͤher; man koͤmmt auf ein¬ mal mit vielen Punkten heruͤber und hinuͤber in Beruͤhrung, und der Neuling, der Fremdling, tritt in den Platz bejahrter Freunde. — Dies iſt gegenwaͤrtig ungefaͤhr mein Fall. Ich habe mich nicht weigern koͤnnen, mit dieſen Menſchen, von denen ich uͤberzeugt bin, daß ſie mich lieben, eine Zeit lang zu leben. Ich werde mit ihnen einige Monate auf dem Lande zubringen, und waͤhrend dieſer Zeit der engliſchen Sprache und Literatur in gluͤck¬ licher Ruhe mich widmen.
Die unbegraͤnzte Guͤte Narbonne's und der Frau von Staël ſetzen mich uͤberdies in den Stand, meinen erſten Reiſeplan zu verfolgen, und hernach meine Praxis anzufangen, ohne um die erſten Augenblicke in Verlegenheit zu ſein; denn ich habe — doch von dieſen Umſtaͤnden und dem, was damit in Verbindung ſteht, red' ich Ihnen ein andermal. Es wuͤrde mich heute zu weit fuͤhren, und ich fuͤrchte ſo ſchon Ihre Geduld zu mißbrauchen. — Genug, ich glaube einen weſentlichen Schritt gethan zu haben, nicht nur um mein eignes, ſondern auch um das Gluͤck mancher meiner Freunde zu gruͤnden; und ich kann die Fruͤchte deſſelben um ſo ruhiger genießen, je weniger ich dieſelben vorherſah, je
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Andern; auch die Frau von Staël wird in kurzem hieher kom¬
men; alle dieſe Leute zuſammen, vermuthlich der Kern von Frank¬
reich, reine Freunde der Revolution, und gleichweit entfernt vom
Wahnſinn der Emigrirten in Koblenz und von der Wuth der
Jakobiner, werden, eine kleine franzoͤſiſche Kolonie, in der Naͤhe
von London ſich etabliren, und den weitern Gang der Angele¬
genheiten ihres Vaterlandes, dem ſie jetzt nicht dienen koͤnnen,
abwarten!
Verhaͤltniſſe wie die obigen, zuſammen und gegenſeitig huͤlf¬
reich miteinander durchlebt, machen die Scheidewaͤnde ploͤtzlich
fallen, welche die Eitelkeit und der Wahn oft zwiſchen Menſchen
und Menſchen ſetzt; man ruͤckt ſich naͤher; man koͤmmt auf ein¬
mal mit vielen Punkten heruͤber und hinuͤber in Beruͤhrung,
und der Neuling, der Fremdling, tritt in den Platz bejahrter
Freunde. — Dies iſt gegenwaͤrtig ungefaͤhr mein Fall. Ich habe
mich nicht weigern koͤnnen, mit dieſen Menſchen, von denen ich
uͤberzeugt bin, daß ſie mich lieben, eine Zeit lang zu leben. Ich
werde mit ihnen einige Monate auf dem Lande zubringen, und
waͤhrend dieſer Zeit der engliſchen Sprache und Literatur in gluͤck¬
licher Ruhe mich widmen.
Die unbegraͤnzte Guͤte Narbonne's und der Frau von Staël
ſetzen mich uͤberdies in den Stand, meinen erſten Reiſeplan zu
verfolgen, und hernach meine Praxis anzufangen, ohne um die
erſten Augenblicke in Verlegenheit zu ſein; denn ich habe — doch
von dieſen Umſtaͤnden und dem, was damit in Verbindung ſteht,
red' ich Ihnen ein andermal. Es wuͤrde mich heute zu weit
fuͤhren, und ich fuͤrchte ſo ſchon Ihre Geduld zu mißbrauchen. —
Genug, ich glaube einen weſentlichen Schritt gethan zu haben,
nicht nur um mein eignes, ſondern auch um das Gluͤck mancher
meiner Freunde zu gruͤnden; und ich kann die Fruͤchte deſſelben
um ſo ruhiger genießen, je weniger ich dieſelben vorherſah, je
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/42>, abgerufen am 24.11.2024.
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