Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

ständen ab, und läßt sich schwerlich voraussehen. Die Wahr¬
scheinlichkeit indessen für's erste ist ein bischen größer. Ich habe
just Hoffnung genug, um thätig zu sein, und doch keine so ge¬
spannte Erwartung, um mich zu ärgern, wenn's nicht ginge. --
Geld verdienen also! -- mit den feisten Hamburgern zu reden,
bin ich noch nichts werth, aber es geht darauf zu, um etwas
werth zu werden. Die neuen Staarmesser liegen vor mir; sie
sollen das Hebezeug werden, um die Börsen meiner Nebenmen¬
schen zu lichten, und meine Hand soll dieß Hebezeug dirigiren!
-- Es fällt mir ein bischen schwer, mich aus diesem Gesichts¬
punkte zu betrachten. -- Es ist traurig, daß alles, alles In¬
teresse beinahe zuletzt bis auf's Geldgewinnen zusammenschrumpft.
Wer das Herz zu weit hat und den Kopf zu helle, um sich bis
auf diesen Punkt beschränken zu können, der bringt nie was
recht Beträchtliches vor sich! -- O! ich darf nicht sagen, wo
mich überall der Schuh drückt! -- Wie gut, daß die meisten
Leute die engen Gränzen unsrer Kunst nicht wissen! -- Der Glau¬
ben der Leute an die Kunst des Arztes muß das Brod geben,
der Mensch in ihm muß nutzen. Man muß sich des Glaubens
an die Kunst bedienen, um dem Menschen einen Wirkungskreis
zu verschaffen. Man muß sich die scheinbaren Dienste bezahlen
lassen, um das Leben für die unbezahlbaren zu fristen! -- Das
alles ist nicht ganz strenge wahr, aber es ist doch wahr im Gan¬
zen, und es ist zugleich der Trost des redlichen Mannes!

Sie erwarten wohl, liebe Frau Base! viel Wichtiges über
Paris, diesem großen Mittelpunkte der Wissenschaften, des Ge¬
schmacks, des Luxus und der Verhandlung der Rechte der Mensch¬
heit! -- aber die Wahrheit zu sagen, so kenn' ich's noch zu we¬
nig, um viel Vernünftiges davon zu sagen. -- Der erste Anblick
dieser ungeheuren Stadt muß jedem eckelhaft sein! Die Straßen
sind zwar gerade, aber entsetzlich enge, und die Häuser entsetzlich

ſtaͤnden ab, und laͤßt ſich ſchwerlich vorausſehen. Die Wahr¬
ſcheinlichkeit indeſſen fuͤr's erſte iſt ein bischen groͤßer. Ich habe
juſt Hoffnung genug, um thaͤtig zu ſein, und doch keine ſo ge¬
ſpannte Erwartung, um mich zu aͤrgern, wenn's nicht ginge. —
Geld verdienen alſo! — mit den feiſten Hamburgern zu reden,
bin ich noch nichts werth, aber es geht darauf zu, um etwas
werth zu werden. Die neuen Staarmeſſer liegen vor mir; ſie
ſollen das Hebezeug werden, um die Boͤrſen meiner Nebenmen¬
ſchen zu lichten, und meine Hand ſoll dieß Hebezeug dirigiren!
— Es faͤllt mir ein bischen ſchwer, mich aus dieſem Geſichts¬
punkte zu betrachten. — Es iſt traurig, daß alles, alles In¬
tereſſe beinahe zuletzt bis auf's Geldgewinnen zuſammenſchrumpft.
Wer das Herz zu weit hat und den Kopf zu helle, um ſich bis
auf dieſen Punkt beſchraͤnken zu koͤnnen, der bringt nie was
recht Betraͤchtliches vor ſich! — O! ich darf nicht ſagen, wo
mich uͤberall der Schuh druͤckt! — Wie gut, daß die meiſten
Leute die engen Graͤnzen unſrer Kunſt nicht wiſſen! — Der Glau¬
ben der Leute an die Kunſt des Arztes muß das Brod geben,
der Menſch in ihm muß nutzen. Man muß ſich des Glaubens
an die Kunſt bedienen, um dem Menſchen einen Wirkungskreis
zu verſchaffen. Man muß ſich die ſcheinbaren Dienſte bezahlen
laſſen, um das Leben fuͤr die unbezahlbaren zu friſten! — Das
alles iſt nicht ganz ſtrenge wahr, aber es iſt doch wahr im Gan¬
zen, und es iſt zugleich der Troſt des redlichen Mannes!

Sie erwarten wohl, liebe Frau Baſe! viel Wichtiges uͤber
Paris, dieſem großen Mittelpunkte der Wiſſenſchaften, des Ge¬
ſchmacks, des Luxus und der Verhandlung der Rechte der Menſch¬
heit! — aber die Wahrheit zu ſagen, ſo kenn' ich's noch zu we¬
nig, um viel Vernuͤnftiges davon zu ſagen. — Der erſte Anblick
dieſer ungeheuren Stadt muß jedem eckelhaft ſein! Die Straßen
ſind zwar gerade, aber entſetzlich enge, und die Haͤuſer entſetzlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0029" n="15"/>
&#x017F;ta&#x0364;nden ab, und la&#x0364;ßt &#x017F;ich &#x017F;chwerlich voraus&#x017F;ehen. Die Wahr¬<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit inde&#x017F;&#x017F;en fu&#x0364;r's er&#x017F;te i&#x017F;t ein bischen gro&#x0364;ßer. Ich habe<lb/>
ju&#x017F;t Hoffnung genug, um tha&#x0364;tig zu &#x017F;ein, und doch keine &#x017F;o ge¬<lb/>
&#x017F;pannte Erwartung, um mich zu a&#x0364;rgern, wenn's nicht ginge. &#x2014;<lb/>
Geld verdienen al&#x017F;o! &#x2014; mit den fei&#x017F;ten Hamburgern zu reden,<lb/>
bin ich noch nichts werth, aber es geht darauf zu, um etwas<lb/>
werth zu werden. Die neuen Staarme&#x017F;&#x017F;er liegen vor mir; &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ollen das Hebezeug werden, um die Bo&#x0364;r&#x017F;en meiner Nebenmen¬<lb/>
&#x017F;chen zu lichten, und meine Hand &#x017F;oll dieß Hebezeug dirigiren!<lb/>
&#x2014; Es fa&#x0364;llt mir ein bischen &#x017F;chwer, mich aus die&#x017F;em Ge&#x017F;ichts¬<lb/>
punkte zu betrachten. &#x2014; Es i&#x017F;t traurig, daß alles, alles In¬<lb/>
tere&#x017F;&#x017F;e beinahe zuletzt bis auf's Geldgewinnen zu&#x017F;ammen&#x017F;chrumpft.<lb/>
Wer das Herz zu weit hat und den Kopf zu helle, um &#x017F;ich bis<lb/>
auf die&#x017F;en Punkt be&#x017F;chra&#x0364;nken zu ko&#x0364;nnen, der bringt nie was<lb/>
recht Betra&#x0364;chtliches vor &#x017F;ich! &#x2014; O! ich darf nicht &#x017F;agen, wo<lb/>
mich u&#x0364;berall der Schuh dru&#x0364;ckt! &#x2014; Wie gut, daß die mei&#x017F;ten<lb/>
Leute die engen Gra&#x0364;nzen un&#x017F;rer Kun&#x017F;t nicht wi&#x017F;&#x017F;en! &#x2014; Der Glau¬<lb/>
ben der Leute an die Kun&#x017F;t des Arztes muß das Brod geben,<lb/>
der Men&#x017F;ch in ihm muß nutzen. Man muß &#x017F;ich des Glaubens<lb/>
an die Kun&#x017F;t bedienen, um dem Men&#x017F;chen einen Wirkungskreis<lb/>
zu ver&#x017F;chaffen. Man muß &#x017F;ich die &#x017F;cheinbaren Dien&#x017F;te bezahlen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, um das Leben fu&#x0364;r die unbezahlbaren zu fri&#x017F;ten! &#x2014; Das<lb/>
alles i&#x017F;t nicht ganz &#x017F;trenge wahr, aber es i&#x017F;t doch wahr im Gan¬<lb/>
zen, und es i&#x017F;t zugleich der Tro&#x017F;t des redlichen Mannes!</p><lb/>
              <p>Sie erwarten wohl, liebe Frau Ba&#x017F;e! viel Wichtiges u&#x0364;ber<lb/>
Paris, die&#x017F;em großen Mittelpunkte der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften, des Ge¬<lb/>
&#x017F;chmacks, des Luxus und der Verhandlung der Rechte der Men&#x017F;ch¬<lb/>
heit! &#x2014; aber die Wahrheit zu &#x017F;agen, &#x017F;o kenn' ich's noch zu we¬<lb/>
nig, um viel Vernu&#x0364;nftiges davon zu &#x017F;agen. &#x2014; Der er&#x017F;te Anblick<lb/>
die&#x017F;er ungeheuren Stadt muß jedem eckelhaft &#x017F;ein! Die Straßen<lb/>
&#x017F;ind zwar gerade, aber ent&#x017F;etzlich enge, und die Ha&#x0364;u&#x017F;er ent&#x017F;etzlich<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0029] ſtaͤnden ab, und laͤßt ſich ſchwerlich vorausſehen. Die Wahr¬ ſcheinlichkeit indeſſen fuͤr's erſte iſt ein bischen groͤßer. Ich habe juſt Hoffnung genug, um thaͤtig zu ſein, und doch keine ſo ge¬ ſpannte Erwartung, um mich zu aͤrgern, wenn's nicht ginge. — Geld verdienen alſo! — mit den feiſten Hamburgern zu reden, bin ich noch nichts werth, aber es geht darauf zu, um etwas werth zu werden. Die neuen Staarmeſſer liegen vor mir; ſie ſollen das Hebezeug werden, um die Boͤrſen meiner Nebenmen¬ ſchen zu lichten, und meine Hand ſoll dieß Hebezeug dirigiren! — Es faͤllt mir ein bischen ſchwer, mich aus dieſem Geſichts¬ punkte zu betrachten. — Es iſt traurig, daß alles, alles In¬ tereſſe beinahe zuletzt bis auf's Geldgewinnen zuſammenſchrumpft. Wer das Herz zu weit hat und den Kopf zu helle, um ſich bis auf dieſen Punkt beſchraͤnken zu koͤnnen, der bringt nie was recht Betraͤchtliches vor ſich! — O! ich darf nicht ſagen, wo mich uͤberall der Schuh druͤckt! — Wie gut, daß die meiſten Leute die engen Graͤnzen unſrer Kunſt nicht wiſſen! — Der Glau¬ ben der Leute an die Kunſt des Arztes muß das Brod geben, der Menſch in ihm muß nutzen. Man muß ſich des Glaubens an die Kunſt bedienen, um dem Menſchen einen Wirkungskreis zu verſchaffen. Man muß ſich die ſcheinbaren Dienſte bezahlen laſſen, um das Leben fuͤr die unbezahlbaren zu friſten! — Das alles iſt nicht ganz ſtrenge wahr, aber es iſt doch wahr im Gan¬ zen, und es iſt zugleich der Troſt des redlichen Mannes! Sie erwarten wohl, liebe Frau Baſe! viel Wichtiges uͤber Paris, dieſem großen Mittelpunkte der Wiſſenſchaften, des Ge¬ ſchmacks, des Luxus und der Verhandlung der Rechte der Menſch¬ heit! — aber die Wahrheit zu ſagen, ſo kenn' ich's noch zu we¬ nig, um viel Vernuͤnftiges davon zu ſagen. — Der erſte Anblick dieſer ungeheuren Stadt muß jedem eckelhaft ſein! Die Straßen ſind zwar gerade, aber entſetzlich enge, und die Haͤuſer entſetzlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/29
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/29>, abgerufen am 24.11.2024.