Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Wenn ich kolorirte und gekleidete Wachsfiguren in Le¬
bensgröße sehe, so ist mein Gefühl, obgleich etwas
schwächer, genau dasselbe, was ich damals hatte. Per¬
sonen, die sie, wie ich einigemal erfahren hatte, für
lebendig hielten, hatten kein ängstliches Gefühl, es ent¬
stand erst, als sie sich überzeugten, daß jene es nicht
wären. Die Angst entsteht daher aus der Schwierigkeit,
zu einem objektiv gültigen Urtheil zu gelangen, das zu¬
gleich subjektive Evidenz für uns hat. Eine merkwür¬
dige Erscheinung, die hieher gehört, ist das Alpdrücken,
welches mich auch manchmal, aber selten, befiel; hier
glaubt man zu wachen, während man schläft, man stellt
Proben an, kneipt sich, reflektirt, um gewiß zu werden,
ob man wache oder schlafe, erhält immer das Resultat,
daß man wache und sich nicht bewegen könne, und alles
zusammen ist Traum. Viele Personen, wie ich gefun¬
den habe, glauben nicht, daß alles Traum ist, und
sind schwer davon zu überzeugen, daß ihre Ueberzeugung,
daß sie nicht träumten, auch nur Traum war; mich
führte dieser Zustand nicht irre, eine kurze Reflexion
war hinlänglich, mich davon zu überzeugen. Nach die¬
ser kleinen Ausschweifung will ich nun wieder auf meine
Jünglingsjahre zurück kommen.

Durch das Graviren fing ich nun an einiges Geld
zu verdienen, und da ich gar keine andern Bedürfnisse
hatte, als Kupferstiche und Bücher, so vergrößerte sich
meine Bibliothek. Von einigen Wissenschaften fanden

Wenn ich kolorirte und gekleidete Wachsfiguren in Le¬
bensgroͤße ſehe, ſo iſt mein Gefuͤhl, obgleich etwas
ſchwaͤcher, genau daſſelbe, was ich damals hatte. Per¬
ſonen, die ſie, wie ich einigemal erfahren hatte, fuͤr
lebendig hielten, hatten kein aͤngſtliches Gefuͤhl, es ent¬
ſtand erſt, als ſie ſich uͤberzeugten, daß jene es nicht
waͤren. Die Angſt entſteht daher aus der Schwierigkeit,
zu einem objektiv guͤltigen Urtheil zu gelangen, das zu¬
gleich ſubjektive Evidenz fuͤr uns hat. Eine merkwuͤr¬
dige Erſcheinung, die hieher gehoͤrt, iſt das Alpdruͤcken,
welches mich auch manchmal, aber ſelten, befiel; hier
glaubt man zu wachen, waͤhrend man ſchlaͤft, man ſtellt
Proben an, kneipt ſich, reflektirt, um gewiß zu werden,
ob man wache oder ſchlafe, erhaͤlt immer das Reſultat,
daß man wache und ſich nicht bewegen koͤnne, und alles
zuſammen iſt Traum. Viele Perſonen, wie ich gefun¬
den habe, glauben nicht, daß alles Traum iſt, und
ſind ſchwer davon zu uͤberzeugen, daß ihre Ueberzeugung,
daß ſie nicht traͤumten, auch nur Traum war; mich
fuͤhrte dieſer Zuſtand nicht irre, eine kurze Reflexion
war hinlaͤnglich, mich davon zu uͤberzeugen. Nach die¬
ſer kleinen Ausſchweifung will ich nun wieder auf meine
Juͤnglingsjahre zuruͤck kommen.

Durch das Graviren fing ich nun an einiges Geld
zu verdienen, und da ich gar keine andern Beduͤrfniſſe
hatte, als Kupferſtiche und Buͤcher, ſo vergroͤßerte ſich
meine Bibliothek. Von einigen Wiſſenſchaften fanden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0244" n="230"/>
Wenn ich kolorirte und gekleidete Wachsfiguren in Le¬<lb/>
bensgro&#x0364;ße &#x017F;ehe, &#x017F;o i&#x017F;t mein Gefu&#x0364;hl, obgleich etwas<lb/>
&#x017F;chwa&#x0364;cher, genau da&#x017F;&#x017F;elbe, was ich damals hatte. Per¬<lb/>
&#x017F;onen, die &#x017F;ie, wie ich einigemal erfahren hatte, fu&#x0364;r<lb/>
lebendig hielten, hatten kein a&#x0364;ng&#x017F;tliches Gefu&#x0364;hl, es ent¬<lb/>
&#x017F;tand er&#x017F;t, als &#x017F;ie &#x017F;ich u&#x0364;berzeugten, daß jene es nicht<lb/>
wa&#x0364;ren. Die Ang&#x017F;t ent&#x017F;teht daher aus der Schwierigkeit,<lb/>
zu einem objektiv gu&#x0364;ltigen Urtheil zu gelangen, das zu¬<lb/>
gleich &#x017F;ubjektive Evidenz fu&#x0364;r uns hat. Eine merkwu&#x0364;<lb/>
dige Er&#x017F;cheinung, die hieher geho&#x0364;rt, i&#x017F;t das Alpdru&#x0364;cken,<lb/>
welches mich auch manchmal, aber &#x017F;elten, befiel; hier<lb/>
glaubt man zu wachen, wa&#x0364;hrend man &#x017F;chla&#x0364;ft, man &#x017F;tellt<lb/>
Proben an, kneipt &#x017F;ich, reflektirt, um gewiß zu werden,<lb/>
ob man wache oder &#x017F;chlafe, erha&#x0364;lt immer das Re&#x017F;ultat,<lb/>
daß man wache und &#x017F;ich nicht bewegen ko&#x0364;nne, und alles<lb/>
zu&#x017F;ammen i&#x017F;t Traum. Viele Per&#x017F;onen, wie ich gefun¬<lb/>
den habe, glauben nicht, daß alles Traum i&#x017F;t, und<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;chwer davon zu u&#x0364;berzeugen, daß ihre Ueberzeugung,<lb/>
daß &#x017F;ie nicht tra&#x0364;umten, auch nur Traum war; mich<lb/>
fu&#x0364;hrte die&#x017F;er Zu&#x017F;tand nicht irre, eine kurze Reflexion<lb/>
war hinla&#x0364;nglich, mich davon zu u&#x0364;berzeugen. Nach die¬<lb/>
&#x017F;er kleinen Aus&#x017F;chweifung will ich nun wieder auf meine<lb/>
Ju&#x0364;nglingsjahre zuru&#x0364;ck kommen.</p><lb/>
            <p>Durch das Graviren fing ich nun an einiges Geld<lb/>
zu verdienen, und da ich gar keine andern Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
hatte, als Kupfer&#x017F;tiche und Bu&#x0364;cher, &#x017F;o vergro&#x0364;ßerte &#x017F;ich<lb/>
meine Bibliothek. Von einigen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften fanden<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[230/0244] Wenn ich kolorirte und gekleidete Wachsfiguren in Le¬ bensgroͤße ſehe, ſo iſt mein Gefuͤhl, obgleich etwas ſchwaͤcher, genau daſſelbe, was ich damals hatte. Per¬ ſonen, die ſie, wie ich einigemal erfahren hatte, fuͤr lebendig hielten, hatten kein aͤngſtliches Gefuͤhl, es ent¬ ſtand erſt, als ſie ſich uͤberzeugten, daß jene es nicht waͤren. Die Angſt entſteht daher aus der Schwierigkeit, zu einem objektiv guͤltigen Urtheil zu gelangen, das zu¬ gleich ſubjektive Evidenz fuͤr uns hat. Eine merkwuͤr¬ dige Erſcheinung, die hieher gehoͤrt, iſt das Alpdruͤcken, welches mich auch manchmal, aber ſelten, befiel; hier glaubt man zu wachen, waͤhrend man ſchlaͤft, man ſtellt Proben an, kneipt ſich, reflektirt, um gewiß zu werden, ob man wache oder ſchlafe, erhaͤlt immer das Reſultat, daß man wache und ſich nicht bewegen koͤnne, und alles zuſammen iſt Traum. Viele Perſonen, wie ich gefun¬ den habe, glauben nicht, daß alles Traum iſt, und ſind ſchwer davon zu uͤberzeugen, daß ihre Ueberzeugung, daß ſie nicht traͤumten, auch nur Traum war; mich fuͤhrte dieſer Zuſtand nicht irre, eine kurze Reflexion war hinlaͤnglich, mich davon zu uͤberzeugen. Nach die¬ ſer kleinen Ausſchweifung will ich nun wieder auf meine Juͤnglingsjahre zuruͤck kommen. Durch das Graviren fing ich nun an einiges Geld zu verdienen, und da ich gar keine andern Beduͤrfniſſe hatte, als Kupferſtiche und Buͤcher, ſo vergroͤßerte ſich meine Bibliothek. Von einigen Wiſſenſchaften fanden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/244
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/244>, abgerufen am 25.11.2024.