Die französische Revolution schien eine Verkündigung an das ganze Menschengeschlecht, und ihre Bewegungen schritten wie im Innern so auch nach außen unauf¬ haltsam vorwärts. Bollmann hegte zwar gemäßigtere Denkart als seine neuen Freunde, und verwarf man¬ ches, was sie billigten, allein im Allgemeinen stimmte er den Wünschen und Bestrebungen der Freiheitsfreunde eifrigst bei, und die Gluth seiner edlen Gesinnungen setzte bereitwillig eben solche überall voraus, wo nur eine Stätte dafür möglich schien.
Er begab sich von Mainz wieder nach Karlsruhe, wo er im Kreise seiner Verwandten und Freunde einige Zeit angenehm verlebte. Doch gab er sich, bei dem Mangel eingreifender Vorgänge und anziehender Be¬ schäftigung, allzusehr den Zerstreuungen jugendlichen Umgangs hin. Er gefiel auch besonders den Frauen, und seine aufgereizte Eitelkeit konnte ihn leicht auf Ab¬ wege führen. Allein der romantische Schwung, welchen seine Lebensvorsätze genommen hatten, und die sittlichen Ansprüche, die er an sich selbst machte, bewahrten ihn vor größeren Verirrungen. Eine verheirathete Frau verliebte sich in ihn, und wußte durch ihre Leidenschaft ihn so weit zu gewinnen, daß er sich von dem schmei¬ chelhaften Wohlgefallen einige Zeit befangen ließ; als aber dieser Austausch von Empfindung und Vertrauen für die bestehenden Verhältnisse wirklich störend zu wer¬ den drohte, erwachte in Bollmann der Stolz seiner
Die franzoͤſiſche Revolution ſchien eine Verkuͤndigung an das ganze Menſchengeſchlecht, und ihre Bewegungen ſchritten wie im Innern ſo auch nach außen unauf¬ haltſam vorwaͤrts. Bollmann hegte zwar gemaͤßigtere Denkart als ſeine neuen Freunde, und verwarf man¬ ches, was ſie billigten, allein im Allgemeinen ſtimmte er den Wuͤnſchen und Beſtrebungen der Freiheitsfreunde eifrigſt bei, und die Gluth ſeiner edlen Geſinnungen ſetzte bereitwillig eben ſolche uͤberall voraus, wo nur eine Staͤtte dafuͤr moͤglich ſchien.
Er begab ſich von Mainz wieder nach Karlsruhe, wo er im Kreiſe ſeiner Verwandten und Freunde einige Zeit angenehm verlebte. Doch gab er ſich, bei dem Mangel eingreifender Vorgaͤnge und anziehender Be¬ ſchaͤftigung, allzuſehr den Zerſtreuungen jugendlichen Umgangs hin. Er gefiel auch beſonders den Frauen, und ſeine aufgereizte Eitelkeit konnte ihn leicht auf Ab¬ wege fuͤhren. Allein der romantiſche Schwung, welchen ſeine Lebensvorſaͤtze genommen hatten, und die ſittlichen Anſpruͤche, die er an ſich ſelbſt machte, bewahrten ihn vor groͤßeren Verirrungen. Eine verheirathete Frau verliebte ſich in ihn, und wußte durch ihre Leidenſchaft ihn ſo weit zu gewinnen, daß er ſich von dem ſchmei¬ chelhaften Wohlgefallen einige Zeit befangen ließ; als aber dieſer Austauſch von Empfindung und Vertrauen fuͤr die beſtehenden Verhaͤltniſſe wirklich ſtoͤrend zu wer¬ den drohte, erwachte in Bollmann der Stolz ſeiner
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Die franzoͤſiſche Revolution ſchien eine Verkuͤndigung
an das ganze Menſchengeſchlecht, und ihre Bewegungen
ſchritten wie im Innern ſo auch nach außen unauf¬
haltſam vorwaͤrts. Bollmann hegte zwar gemaͤßigtere
Denkart als ſeine neuen Freunde, und verwarf man¬
ches, was ſie billigten, allein im Allgemeinen ſtimmte
er den Wuͤnſchen und Beſtrebungen der Freiheitsfreunde
eifrigſt bei, und die Gluth ſeiner edlen Geſinnungen
ſetzte bereitwillig eben ſolche uͤberall voraus, wo nur
eine Staͤtte dafuͤr moͤglich ſchien.
Er begab ſich von Mainz wieder nach Karlsruhe,
wo er im Kreiſe ſeiner Verwandten und Freunde einige
Zeit angenehm verlebte. Doch gab er ſich, bei dem
Mangel eingreifender Vorgaͤnge und anziehender Be¬
ſchaͤftigung, allzuſehr den Zerſtreuungen jugendlichen
Umgangs hin. Er gefiel auch beſonders den Frauen,
und ſeine aufgereizte Eitelkeit konnte ihn leicht auf Ab¬
wege fuͤhren. Allein der romantiſche Schwung, welchen
ſeine Lebensvorſaͤtze genommen hatten, und die ſittlichen
Anſpruͤche, die er an ſich ſelbſt machte, bewahrten ihn
vor groͤßeren Verirrungen. Eine verheirathete Frau
verliebte ſich in ihn, und wußte durch ihre Leidenſchaft
ihn ſo weit zu gewinnen, daß er ſich von dem ſchmei¬
chelhaften Wohlgefallen einige Zeit befangen ließ; als
aber dieſer Austauſch von Empfindung und Vertrauen
fuͤr die beſtehenden Verhaͤltniſſe wirklich ſtoͤrend zu wer¬
den drohte, erwachte in Bollmann der Stolz ſeiner
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/22>, abgerufen am 24.11.2024.
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