nie correspondiren wollen! Ich hatte mich ihr gebunden -- sie war frei! Auch sie wollte mir, durfte mir, um ihrer El¬ tern, ihrer Freunde willen, nie schreiben. Mein Unglück über¬ kam ihre Grundsätze! Hundert Mittel wurden versucht, doch mit Vorwissen des Mannes ihrer Schwester, meines Freundes. Endlich -- den ersten Brief an mich, den ersten, den ich je von ihr sah -- er war in die Hände meines Richters gefallen, er las ihn mir vor! -- Bald hernach erhielt ich einen andern von ihr, innerhalb der Mauern meines Gefängnisses! -- Ich hatte in Gedanken Abschied von meiner Freundin genommen, wie man mich nach Olmütz brachte! -- Sie so wiederzufinden! ich glaubte, ich sollte sterben vor Freude! -- Bin ich nicht zu beneiden? Ist's nicht der Mühe werth, so unglücklich zu sein? Und was liegt nun vor mir? -- Selbst um Lafayette's willen wollte ich nicht, daß nicht geschehen wäre, was geschehen ist! Es wird Alles gut, sehr gut werden! Zwei meiner Brüder sind im Be¬ griff, nach Amerika abzugehn! Wenn ich Sie nur sehn könnte, und den lieben Herrn Vetter! Warum sind Sie auch nicht ein bischen näher! -- Die freundschaftlichen Genüsse, die ich jetzt habe, bei so Vielen, die sich freuen, daß ich wieder da bin, sind unbeschreiblich! -- Ich gehe über Dessau, Braunschweig, Han¬ nover nach Hoya, dann, wie Sie wohl denken können, nach Hamburg; dann nach England! -- Von dort aus mehr! -- Verzeihen Sie diesen wilden Brief, liebe Freundin; ich habe zu viele zu schreiben, um ruhiger schreiben zu können! Er wird Ihnen dennoch, hoffe ich, lieb sein. -- Grüßen Sie herzlich Ihre ganze Familie. Auch die Offenbacher. Alle die Lieben, die mir gut sind! --
Was macht Boeckh? In Wien habe ich einen Brief von ihm erhalten, worauf ich nicht antworten konnte, eben weil ich sah, daß er mit Allem gänzlich unbekannt war. Er glaubte,
nie correſpondiren wollen! Ich hatte mich ihr gebunden — ſie war frei! Auch ſie wollte mir, durfte mir, um ihrer El¬ tern, ihrer Freunde willen, nie ſchreiben. Mein Ungluͤck uͤber¬ kam ihre Grundſaͤtze! Hundert Mittel wurden verſucht, doch mit Vorwiſſen des Mannes ihrer Schweſter, meines Freundes. Endlich — den erſten Brief an mich, den erſten, den ich je von ihr ſah — er war in die Haͤnde meines Richters gefallen, er las ihn mir vor! — Bald hernach erhielt ich einen andern von ihr, innerhalb der Mauern meines Gefaͤngniſſes! — Ich hatte in Gedanken Abſchied von meiner Freundin genommen, wie man mich nach Olmuͤtz brachte! — Sie ſo wiederzufinden! ich glaubte, ich ſollte ſterben vor Freude! — Bin ich nicht zu beneiden? Iſt's nicht der Muͤhe werth, ſo ungluͤcklich zu ſein? Und was liegt nun vor mir? — Selbſt um Lafayette's willen wollte ich nicht, daß nicht geſchehen waͤre, was geſchehen iſt! Es wird Alles gut, ſehr gut werden! Zwei meiner Bruͤder ſind im Be¬ griff, nach Amerika abzugehn! Wenn ich Sie nur ſehn koͤnnte, und den lieben Herrn Vetter! Warum ſind Sie auch nicht ein bischen naͤher! — Die freundſchaftlichen Genuͤſſe, die ich jetzt habe, bei ſo Vielen, die ſich freuen, daß ich wieder da bin, ſind unbeſchreiblich! — Ich gehe uͤber Deſſau, Braunſchweig, Han¬ nover nach Hoya, dann, wie Sie wohl denken koͤnnen, nach Hamburg; dann nach England! — Von dort aus mehr! — Verzeihen Sie dieſen wilden Brief, liebe Freundin; ich habe zu viele zu ſchreiben, um ruhiger ſchreiben zu koͤnnen! Er wird Ihnen dennoch, hoffe ich, lieb ſein. — Gruͤßen Sie herzlich Ihre ganze Familie. Auch die Offenbacher. Alle die Lieben, die mir gut ſind! —
Was macht Boeckh? In Wien habe ich einen Brief von ihm erhalten, worauf ich nicht antworten konnte, eben weil ich ſah, daß er mit Allem gaͤnzlich unbekannt war. Er glaubte,
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nie correſpondiren wollen! Ich hatte mich ihr gebunden —
ſie war frei! Auch ſie wollte mir, durfte mir, um ihrer El¬
tern, ihrer Freunde willen, nie ſchreiben. Mein Ungluͤck uͤber¬
kam ihre Grundſaͤtze! Hundert Mittel wurden verſucht, doch
mit Vorwiſſen des Mannes ihrer Schweſter, meines Freundes.
Endlich — den erſten Brief an mich, den erſten, den ich je von
ihr ſah — er war in die Haͤnde meines Richters gefallen, er
las ihn mir vor! — Bald hernach erhielt ich einen andern von
ihr, innerhalb der Mauern meines Gefaͤngniſſes! — Ich hatte
in Gedanken Abſchied von meiner Freundin genommen, wie man
mich nach Olmuͤtz brachte! — Sie ſo wiederzufinden! ich glaubte,
ich ſollte ſterben vor Freude! — Bin ich nicht zu beneiden?
Iſt's nicht der Muͤhe werth, ſo ungluͤcklich zu ſein? Und was
liegt nun vor mir? — Selbſt um Lafayette's willen wollte ich
nicht, daß nicht geſchehen waͤre, was geſchehen iſt! Es wird
Alles gut, ſehr gut werden! Zwei meiner Bruͤder ſind im Be¬
griff, nach Amerika abzugehn! Wenn ich Sie nur ſehn koͤnnte,
und den lieben Herrn Vetter! Warum ſind Sie auch nicht ein
bischen naͤher! — Die freundſchaftlichen Genuͤſſe, die ich jetzt
habe, bei ſo Vielen, die ſich freuen, daß ich wieder da bin, ſind
unbeſchreiblich! — Ich gehe uͤber Deſſau, Braunſchweig, Han¬
nover nach Hoya, dann, wie Sie wohl denken koͤnnen, nach
Hamburg; dann nach England! — Von dort aus mehr! —
Verzeihen Sie dieſen wilden Brief, liebe Freundin; ich habe zu
viele zu ſchreiben, um ruhiger ſchreiben zu koͤnnen! Er wird
Ihnen dennoch, hoffe ich, lieb ſein. — Gruͤßen Sie herzlich
Ihre ganze Familie. Auch die Offenbacher. Alle die Lieben, die
mir gut ſind! —
Was macht Boeckh? In Wien habe ich einen Brief von
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/110>, abgerufen am 24.11.2024.
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