von Treu und Glauben sich seiner bemächtigt hatte, weil eben deßwegen sogar beim Frieden sich wenig für ihn hoffen ließ, -- nicht für moralisch unrecht. -- --
-- Zu fragen würden Sie viel noch haben. Sie würden sehn, daß man mir keinen gegründeten Vorwurf machen kann; daß ich that, was ich thun mußte; was sich unter den gegebenen Umständen nicht besser thun ließ. Ausführlich kann ich jetzt nicht schreiben! --
Ich habe Ketten getragen! Ich bin ohne Licht, ohne Luft, ohne Bette, ohne Buch, ohne irgend eine Nachricht von meinen Freunden, für eine geraume Zeit gewesen. Man behandelt im Preußischen einen Straßenräuber besser, als ich im Anfang in Olmütz behandelt wurde. Dennoch bin ich immer gesund und heiter gewesen; ich habe nicht gelitten. Man leidet mehr von Uebeln, die man fürchtet, als die man erfährt. Jeder unglück¬ liche Zustand trägt in sich seine Hülfsmittel. Das Geringfü¬ gigste ist ein Schatz, wenn man durchaus in der größten Be¬ raubung sich befindet. Darin liegt Hülfe. -- Um keinen Preis gäbe ich die gemachten Erfahrungen. Es war sehr consequent, zu leiden, gefangen zu sein. Aber ich bin sehr glücklich gewesen. Meine Gefangenschaft von Anfang bis zu Ende war ein Tri¬ umph der Freundschaft. Sonst verliert man Freunde im Unglück. Ich habe neue gemacht. Mir ist Hülfe von Menschen gekom¬ men, die ich vorher nie kannte, deren Thätigkeit, um mir nütz¬ lich zu werden, außerordentlich mit Aufopferung verbunden ge¬ wesen ist. Wie wäre ich auch sonst schon frei? Daß ich darü¬ ber nicht mehr schreiben kann, nicht mehr schreiben darf! -- Das Geschöpf, welches mir auf der Welt am liebsten ist, und zuverlässig eines der gebildetsten Mädchen in Deutschland -- ach! daß Sie sie kennten, liebe Freundin! sie wohnt in Hamburg -- mit dem habe ich, eben der Ungewißheit meines Schicksals wegen,
von Treu und Glauben ſich ſeiner bemaͤchtigt hatte, weil eben deßwegen ſogar beim Frieden ſich wenig fuͤr ihn hoffen ließ, — nicht fuͤr moraliſch unrecht. — —
— Zu fragen wuͤrden Sie viel noch haben. Sie wuͤrden ſehn, daß man mir keinen gegruͤndeten Vorwurf machen kann; daß ich that, was ich thun mußte; was ſich unter den gegebenen Umſtaͤnden nicht beſſer thun ließ. Ausfuͤhrlich kann ich jetzt nicht ſchreiben! —
Ich habe Ketten getragen! Ich bin ohne Licht, ohne Luft, ohne Bette, ohne Buch, ohne irgend eine Nachricht von meinen Freunden, fuͤr eine geraume Zeit geweſen. Man behandelt im Preußiſchen einen Straßenraͤuber beſſer, als ich im Anfang in Olmuͤtz behandelt wurde. Dennoch bin ich immer geſund und heiter geweſen; ich habe nicht gelitten. Man leidet mehr von Uebeln, die man fuͤrchtet, als die man erfaͤhrt. Jeder ungluͤck¬ liche Zuſtand traͤgt in ſich ſeine Huͤlfsmittel. Das Geringfuͤ¬ gigſte iſt ein Schatz, wenn man durchaus in der groͤßten Be¬ raubung ſich befindet. Darin liegt Huͤlfe. — Um keinen Preis gaͤbe ich die gemachten Erfahrungen. Es war ſehr conſequent, zu leiden, gefangen zu ſein. Aber ich bin ſehr gluͤcklich geweſen. Meine Gefangenſchaft von Anfang bis zu Ende war ein Tri¬ umph der Freundſchaft. Sonſt verliert man Freunde im Ungluͤck. Ich habe neue gemacht. Mir iſt Huͤlfe von Menſchen gekom¬ men, die ich vorher nie kannte, deren Thaͤtigkeit, um mir nuͤtz¬ lich zu werden, außerordentlich mit Aufopferung verbunden ge¬ weſen iſt. Wie waͤre ich auch ſonſt ſchon frei? Daß ich daruͤ¬ ber nicht mehr ſchreiben kann, nicht mehr ſchreiben darf! — Das Geſchoͤpf, welches mir auf der Welt am liebſten iſt, und zuverlaͤſſig eines der gebildetſten Maͤdchen in Deutſchland — ach! daß Sie ſie kennten, liebe Freundin! ſie wohnt in Hamburg — mit dem habe ich, eben der Ungewißheit meines Schickſals wegen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0109"n="95"/>
von Treu und Glauben ſich ſeiner bemaͤchtigt hatte, weil eben<lb/>
deßwegen ſogar beim Frieden ſich wenig fuͤr ihn hoffen ließ, —<lb/>
nicht fuͤr moraliſch unrecht. ——</p><lb/><p>— Zu fragen wuͤrden Sie viel noch haben. Sie wuͤrden<lb/>ſehn, daß man mir keinen gegruͤndeten Vorwurf machen kann;<lb/>
daß ich that, was ich thun mußte; was ſich unter den gegebenen<lb/>
Umſtaͤnden nicht beſſer thun ließ. Ausfuͤhrlich kann ich jetzt nicht<lb/>ſchreiben! —</p><lb/><p>Ich habe Ketten getragen! Ich bin ohne Licht, ohne Luft,<lb/>
ohne Bette, ohne Buch, ohne irgend eine Nachricht von meinen<lb/>
Freunden, fuͤr eine geraume Zeit geweſen. Man behandelt im<lb/>
Preußiſchen einen Straßenraͤuber beſſer, als ich im Anfang in<lb/>
Olmuͤtz behandelt wurde. Dennoch bin ich immer geſund und<lb/>
heiter geweſen; ich habe nicht gelitten. Man leidet mehr von<lb/>
Uebeln, die man fuͤrchtet, als die man erfaͤhrt. Jeder ungluͤck¬<lb/>
liche Zuſtand traͤgt in ſich ſeine Huͤlfsmittel. Das Geringfuͤ¬<lb/>
gigſte iſt ein Schatz, wenn man durchaus in der groͤßten Be¬<lb/>
raubung ſich befindet. Darin liegt Huͤlfe. — Um keinen Preis<lb/>
gaͤbe ich die gemachten Erfahrungen. Es war ſehr conſequent,<lb/>
zu leiden, gefangen zu ſein. Aber ich bin ſehr gluͤcklich geweſen.<lb/>
Meine Gefangenſchaft von Anfang bis zu Ende war ein Tri¬<lb/>
umph der Freundſchaft. Sonſt verliert man Freunde im Ungluͤck.<lb/>
Ich habe neue gemacht. Mir iſt Huͤlfe von Menſchen gekom¬<lb/>
men, die ich vorher nie kannte, deren Thaͤtigkeit, um mir nuͤtz¬<lb/>
lich zu werden, außerordentlich mit Aufopferung verbunden ge¬<lb/>
weſen iſt. Wie waͤre ich auch ſonſt ſchon frei? Daß ich daruͤ¬<lb/>
ber nicht mehr ſchreiben kann, nicht mehr ſchreiben darf! —<lb/>
Das Geſchoͤpf, welches mir auf der Welt am liebſten iſt, und<lb/>
zuverlaͤſſig eines der gebildetſten Maͤdchen in Deutſchland — ach!<lb/>
daß Sie ſie kennten, liebe Freundin! ſie wohnt in Hamburg —<lb/>
mit dem habe ich, eben der Ungewißheit meines Schickſals wegen,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[95/0109]
von Treu und Glauben ſich ſeiner bemaͤchtigt hatte, weil eben
deßwegen ſogar beim Frieden ſich wenig fuͤr ihn hoffen ließ, —
nicht fuͤr moraliſch unrecht. — —
— Zu fragen wuͤrden Sie viel noch haben. Sie wuͤrden
ſehn, daß man mir keinen gegruͤndeten Vorwurf machen kann;
daß ich that, was ich thun mußte; was ſich unter den gegebenen
Umſtaͤnden nicht beſſer thun ließ. Ausfuͤhrlich kann ich jetzt nicht
ſchreiben! —
Ich habe Ketten getragen! Ich bin ohne Licht, ohne Luft,
ohne Bette, ohne Buch, ohne irgend eine Nachricht von meinen
Freunden, fuͤr eine geraume Zeit geweſen. Man behandelt im
Preußiſchen einen Straßenraͤuber beſſer, als ich im Anfang in
Olmuͤtz behandelt wurde. Dennoch bin ich immer geſund und
heiter geweſen; ich habe nicht gelitten. Man leidet mehr von
Uebeln, die man fuͤrchtet, als die man erfaͤhrt. Jeder ungluͤck¬
liche Zuſtand traͤgt in ſich ſeine Huͤlfsmittel. Das Geringfuͤ¬
gigſte iſt ein Schatz, wenn man durchaus in der groͤßten Be¬
raubung ſich befindet. Darin liegt Huͤlfe. — Um keinen Preis
gaͤbe ich die gemachten Erfahrungen. Es war ſehr conſequent,
zu leiden, gefangen zu ſein. Aber ich bin ſehr gluͤcklich geweſen.
Meine Gefangenſchaft von Anfang bis zu Ende war ein Tri¬
umph der Freundſchaft. Sonſt verliert man Freunde im Ungluͤck.
Ich habe neue gemacht. Mir iſt Huͤlfe von Menſchen gekom¬
men, die ich vorher nie kannte, deren Thaͤtigkeit, um mir nuͤtz¬
lich zu werden, außerordentlich mit Aufopferung verbunden ge¬
weſen iſt. Wie waͤre ich auch ſonſt ſchon frei? Daß ich daruͤ¬
ber nicht mehr ſchreiben kann, nicht mehr ſchreiben darf! —
Das Geſchoͤpf, welches mir auf der Welt am liebſten iſt, und
zuverlaͤſſig eines der gebildetſten Maͤdchen in Deutſchland — ach!
daß Sie ſie kennten, liebe Freundin! ſie wohnt in Hamburg —
mit dem habe ich, eben der Ungewißheit meines Schickſals wegen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/109>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.