wie der Urstoff, aus verbindender, durchsichtiger homogener Masse und Körnchen und hat beide Gegensätze fast in denselben Men- genverhältnissen. Schleimhäute u. dgl.
Wir haben oben schon einiges Fragmentarische über die aus- gebildeten Gewebe angeführt und hier die Schemen ihrer Ent- wickelung darzustellen versucht. Ehe wir nun weiter fortschrei- ten, müssen wir noch einige Worte über die künstliche Behand- lung derselben durch Reagentien hinzufügen.
Diese eben angegebene Richtung verhält sich zu der unmit- telbaren Beobachtung der Gewebe, wie das Experiment zur Beob- achtung. Jenes stellt, um mich eines von einem geistreichen Schrift- steller gebrauchten Ausdruckes zu bedienen, die Natur gleichsam auf die Folter. Ihr Resultat ist daher im Allgemeinen häufig entweder unwahr oder wenigstens nicht speciell genug. Nun liefert die reine Beobachtung der Gewebe eine Reihe von individuellen For- men, welche sich unter bestimmte Typen oder Schemen bringen lassen. Durch das Experiment dagegen, d. h. durch chemische Reagentien wird das Individuelle z. Th. vernichtet, und man erhält dafür in der Erfahrung und Anschauung gewisse gleiche oder ähn- liche Formen, welche eine gleiche oder analoge Individualität haben. Man kann die auf diesem Wege erzeugten Effekte in vor- und rückschreitende zerlegen. So zerfällt durch anhaltende Maceration die Muskel- und Sehnenfaser in einfache, den Zellgewebs- fäden völlig gleiche Fäden. Eben dasselbe geschieht mit dem Gewebe der Arterienhäute, der fibrösen Häute, der Knochen u. dgl. Dies wäre die rückschreitende Veränderung. Eine vorschreitende z. B. ist die, wo durch Einwirkung von Weingeist, liq. kali carbonic. u. dgl. Fasern in Gebilden deutlicher oder sichtbar werden, wo sie früher entweder unvollständig oder gar nicht wahrgenommen werden konnten. Man sieht daher, dass in bestimmten Grenzen diese Methode wohl zu gebrauchen und zu allgemeineren Gesichts- punkten zu führen im Stande sey.
Schon Wolff hatte bekanntlich in seiner Generationstheorie den Satz aufgestellt, dass jedes Organ zuerst überhaupt angelegt und später organisirt werde. J. Fr. Meckel (System der verglei- chenden Anatomie Bd. 1. S. 285.) sprach sich ebenfalls dahin aus, dass die äussere Form sich schneller entwickele, als die in- nere oder das Gewebe. Es dürfte hier der Ort diesen im Allge- meinen wahren Satz nach seinen speciellen Verhältnissen zu li- mitiren. In jedem Organe wird in den ersten Zeiten der Ent-
VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
wie der Urstoff, aus verbindender, durchsichtiger homogener Masse und Körnchen und hat beide Gegensätze fast in denselben Men- genverhältnissen. Schleimhäute u. dgl.
Wir haben oben schon einiges Fragmentarische über die aus- gebildeten Gewebe angeführt und hier die Schemen ihrer Ent- wickelung darzustellen versucht. Ehe wir nun weiter fortschrei- ten, müssen wir noch einige Worte über die künstliche Behand- lung derselben durch Reagentien hinzufügen.
Diese eben angegebene Richtung verhält sich zu der unmit- telbaren Beobachtung der Gewebe, wie das Experiment zur Beob- achtung. Jenes stellt, um mich eines von einem geistreichen Schrift- steller gebrauchten Ausdruckes zu bedienen, die Natur gleichsam auf die Folter. Ihr Resultat ist daher im Allgemeinen häufig entweder unwahr oder wenigstens nicht speciell genug. Nun liefert die reine Beobachtung der Gewebe eine Reihe von individuellen For- men, welche sich unter bestimmte Typen oder Schemen bringen lassen. Durch das Experiment dagegen, d. h. durch chemische Reagentien wird das Individuelle z. Th. vernichtet, und man erhält dafür in der Erfahrung und Anschauung gewisse gleiche oder ähn- liche Formen, welche eine gleiche oder analoge Individualität haben. Man kann die auf diesem Wege erzeugten Effekte in vor- und rückschreitende zerlegen. So zerfällt durch anhaltende Maceration die Muskel- und Sehnenfaser in einfache, den Zellgewebs- fäden völlig gleiche Fäden. Eben dasselbe geschieht mit dem Gewebe der Arterienhäute, der fibrösen Häute, der Knochen u. dgl. Dies wäre die rückschreitende Veränderung. Eine vorschreitende z. B. ist die, wo durch Einwirkung von Weingeist, liq. kali carbonic. u. dgl. Fasern in Gebilden deutlicher oder sichtbar werden, wo sie früher entweder unvollständig oder gar nicht wahrgenommen werden konnten. Man sieht daher, daſs in bestimmten Grenzen diese Methode wohl zu gebrauchen und zu allgemeineren Gesichts- punkten zu führen im Stande sey.
Schon Wolff hatte bekanntlich in seiner Generationstheorie den Satz aufgestellt, daſs jedes Organ zuerst überhaupt angelegt und später organisirt werde. J. Fr. Meckel (System der verglei- chenden Anatomie Bd. 1. S. 285.) sprach sich ebenfalls dahin aus, daſs die äuſsere Form sich schneller entwickele, als die in- nere oder das Gewebe. Es dürfte hier der Ort diesen im Allge- meinen wahren Satz nach seinen speciellen Verhältnissen zu li- mitiren. In jedem Organe wird in den ersten Zeiten der Ent-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0677"n="649"/><fwplace="top"type="header">VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.</fw><lb/>
wie der Urstoff, aus verbindender, durchsichtiger homogener Masse<lb/>
und Körnchen und hat beide Gegensätze fast in denselben Men-<lb/>
genverhältnissen. Schleimhäute u. dgl.</p><lb/><p>Wir haben oben schon einiges Fragmentarische über die aus-<lb/>
gebildeten Gewebe angeführt und hier die Schemen ihrer Ent-<lb/>
wickelung darzustellen versucht. Ehe wir nun weiter fortschrei-<lb/>
ten, müssen wir noch einige Worte über die künstliche Behand-<lb/>
lung derselben durch Reagentien hinzufügen.</p><lb/><p>Diese eben angegebene Richtung verhält sich zu der unmit-<lb/>
telbaren Beobachtung der Gewebe, wie das Experiment zur Beob-<lb/>
achtung. Jenes stellt, um mich eines von einem geistreichen Schrift-<lb/>
steller gebrauchten Ausdruckes zu bedienen, die Natur gleichsam<lb/>
auf die Folter. Ihr Resultat ist daher im Allgemeinen häufig entweder<lb/>
unwahr oder wenigstens nicht speciell genug. Nun liefert die<lb/>
reine Beobachtung der Gewebe eine Reihe von individuellen For-<lb/>
men, welche sich unter bestimmte Typen oder Schemen bringen<lb/>
lassen. Durch das Experiment dagegen, d. h. durch chemische<lb/>
Reagentien wird das Individuelle z. Th. vernichtet, und man erhält<lb/>
dafür in der Erfahrung und Anschauung gewisse gleiche oder ähn-<lb/>
liche Formen, welche eine gleiche oder analoge Individualität<lb/>
haben. Man kann die auf diesem Wege erzeugten Effekte in<lb/>
vor- und rückschreitende zerlegen. So zerfällt durch anhaltende<lb/>
Maceration die Muskel- und Sehnenfaser in einfache, den Zellgewebs-<lb/>
fäden völlig gleiche Fäden. Eben dasselbe geschieht mit dem Gewebe<lb/>
der Arterienhäute, der fibrösen Häute, der Knochen u. dgl. Dies<lb/>
wäre die rückschreitende Veränderung. Eine vorschreitende z. B.<lb/>
ist die, wo durch Einwirkung von Weingeist, <hirendition="#i">liq. kali carbonic</hi>.<lb/>
u. dgl. Fasern in Gebilden deutlicher oder sichtbar werden, wo<lb/>
sie früher entweder unvollständig oder gar nicht wahrgenommen<lb/>
werden konnten. Man sieht daher, daſs in bestimmten Grenzen<lb/>
diese Methode wohl zu gebrauchen und zu allgemeineren Gesichts-<lb/>
punkten zu führen im Stande sey.</p><lb/><p>Schon Wolff hatte bekanntlich in seiner Generationstheorie<lb/>
den Satz aufgestellt, daſs jedes Organ zuerst überhaupt angelegt<lb/>
und später organisirt werde. J. Fr. Meckel (System der verglei-<lb/>
chenden Anatomie Bd. 1. S. 285.) sprach sich ebenfalls dahin<lb/>
aus, daſs die äuſsere Form sich schneller entwickele, als die in-<lb/>
nere oder das Gewebe. Es dürfte hier der Ort diesen im Allge-<lb/>
meinen wahren Satz nach seinen speciellen Verhältnissen zu li-<lb/>
mitiren. In jedem Organe wird in den ersten Zeiten der Ent-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[649/0677]
VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.
wie der Urstoff, aus verbindender, durchsichtiger homogener Masse
und Körnchen und hat beide Gegensätze fast in denselben Men-
genverhältnissen. Schleimhäute u. dgl.
Wir haben oben schon einiges Fragmentarische über die aus-
gebildeten Gewebe angeführt und hier die Schemen ihrer Ent-
wickelung darzustellen versucht. Ehe wir nun weiter fortschrei-
ten, müssen wir noch einige Worte über die künstliche Behand-
lung derselben durch Reagentien hinzufügen.
Diese eben angegebene Richtung verhält sich zu der unmit-
telbaren Beobachtung der Gewebe, wie das Experiment zur Beob-
achtung. Jenes stellt, um mich eines von einem geistreichen Schrift-
steller gebrauchten Ausdruckes zu bedienen, die Natur gleichsam
auf die Folter. Ihr Resultat ist daher im Allgemeinen häufig entweder
unwahr oder wenigstens nicht speciell genug. Nun liefert die
reine Beobachtung der Gewebe eine Reihe von individuellen For-
men, welche sich unter bestimmte Typen oder Schemen bringen
lassen. Durch das Experiment dagegen, d. h. durch chemische
Reagentien wird das Individuelle z. Th. vernichtet, und man erhält
dafür in der Erfahrung und Anschauung gewisse gleiche oder ähn-
liche Formen, welche eine gleiche oder analoge Individualität
haben. Man kann die auf diesem Wege erzeugten Effekte in
vor- und rückschreitende zerlegen. So zerfällt durch anhaltende
Maceration die Muskel- und Sehnenfaser in einfache, den Zellgewebs-
fäden völlig gleiche Fäden. Eben dasselbe geschieht mit dem Gewebe
der Arterienhäute, der fibrösen Häute, der Knochen u. dgl. Dies
wäre die rückschreitende Veränderung. Eine vorschreitende z. B.
ist die, wo durch Einwirkung von Weingeist, liq. kali carbonic.
u. dgl. Fasern in Gebilden deutlicher oder sichtbar werden, wo
sie früher entweder unvollständig oder gar nicht wahrgenommen
werden konnten. Man sieht daher, daſs in bestimmten Grenzen
diese Methode wohl zu gebrauchen und zu allgemeineren Gesichts-
punkten zu führen im Stande sey.
Schon Wolff hatte bekanntlich in seiner Generationstheorie
den Satz aufgestellt, daſs jedes Organ zuerst überhaupt angelegt
und später organisirt werde. J. Fr. Meckel (System der verglei-
chenden Anatomie Bd. 1. S. 285.) sprach sich ebenfalls dahin
aus, daſs die äuſsere Form sich schneller entwickele, als die in-
nere oder das Gewebe. Es dürfte hier der Ort diesen im Allge-
meinen wahren Satz nach seinen speciellen Verhältnissen zu li-
mitiren. In jedem Organe wird in den ersten Zeiten der Ent-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/677>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.