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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.

c. Es bildet eine mehr unbestimmte Masse, welche aus einem
mehr oder minder zähen und durchsichtigen Stoffe und einer grö-
sseren oder geringeren Anzahl von diesem eingeschlossener Körn-
chen besteht.

Mit der letzteren Form kommt die Masse der Keimhaut und
ihrer secundären Urstoffe noch am Meisten überein, wiewohl Körn-
chen sowohl, als verbindende Masse wesentlich differiren. Die
Körnchen sind der Zahl nach geringer und im Allgemeinen klei-
ner, als in der Keimhaut; die verbindende Masse ist zäher, feiner
und durchsichtiger. Durch künstliche Behandlung werden die Fä-
den erst dann erzeugt werden können, wenn die verbundenen
Organe schon einen hohen Grad von Selbstständigkeit haben und
ihre Organtheile in weiterer Ausbildung vorgeschritten sind.

So fein auch die Nuancen der einzelnen Urstoffe und ihrer
Metamorphosen zu seyn scheinen, so bestimmt lassen sie sich doch
in der Beobachtung verfolgen und unterscheiden. Ja Beschreibung
und Abbildung müssen hier am Wenigsten genügen können, da
sie nie die feinen Unterschiede und das Charakteristische der
Massen mit der erfoderlichen Bestimmtheit und Genauigkeit aus-
zudrücken vermögen.

Ehe wir nun in dem Versuche, die Gesetze der Histiogenie
zu entwickeln, fortfahren, müssen wir einige Begriffe näher in
das Auge fassen. Man hat nämlich in den bisherigen sogenann-
ten Systemen der Histiologie die verschiedensten morphologi-
schen, physiologischen, chemischen Elemente u. dgl. zusammenge-
worfen und aus diesem Complexe höchst verschiedenartiger Theile
gewisse Gruppen gemacht, welche nicht minder unnatürlich, als
verfehlt zu nennen sind. Auch hat man den Begriff der Gewebe
selbst viel zu wenig fixirt. So spricht man von dem Gewebe der
Drüsen und begreift hierunter das Verhältniss der Drüsengänge
zu den übrigen Theilen der Drüse; bald darauf dagegen spricht
man inconsequent genug wiederum von einem Gewebe dieser
Drüsengänge. Ein solcher Mangel an Distinctionen kann nur
Verwirrung erzeugen, und hat sie auch schon in hinreichendem
Grade erzeugt. -- Jede Geweblehre ist eine morphologische Wis-
senschaft, und eben so wenig als man zur Eintheilung der Or-
gane chemische Merkmahle u. dgl. zu Hülfe nimmt, eben so we-
nig kann und darf dieses in einer Histiographie geschehen. Für
die Geweblehre müssen wir den Begriff festhalten, dass sie nur

VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe.

c. Es bildet eine mehr unbestimmte Masse, welche aus einem
mehr oder minder zähen und durchsichtigen Stoffe und einer grö-
ſseren oder geringeren Anzahl von diesem eingeschlossener Körn-
chen besteht.

Mit der letzteren Form kommt die Masse der Keimhaut und
ihrer secundären Urstoffe noch am Meisten überein, wiewohl Körn-
chen sowohl, als verbindende Masse wesentlich differiren. Die
Körnchen sind der Zahl nach geringer und im Allgemeinen klei-
ner, als in der Keimhaut; die verbindende Masse ist zäher, feiner
und durchsichtiger. Durch künstliche Behandlung werden die Fä-
den erst dann erzeugt werden können, wenn die verbundenen
Organe schon einen hohen Grad von Selbstständigkeit haben und
ihre Organtheile in weiterer Ausbildung vorgeschritten sind.

So fein auch die Nuancen der einzelnen Urstoffe und ihrer
Metamorphosen zu seyn scheinen, so bestimmt lassen sie sich doch
in der Beobachtung verfolgen und unterscheiden. Ja Beschreibung
und Abbildung müssen hier am Wenigsten genügen können, da
sie nie die feinen Unterschiede und das Charakteristische der
Massen mit der erfoderlichen Bestimmtheit und Genauigkeit aus-
zudrücken vermögen.

Ehe wir nun in dem Versuche, die Gesetze der Histiogenie
zu entwickeln, fortfahren, müssen wir einige Begriffe näher in
das Auge fassen. Man hat nämlich in den bisherigen sogenann-
ten Systemen der Histiologie die verschiedensten morphologi-
schen, physiologischen, chemischen Elemente u. dgl. zusammenge-
worfen und aus diesem Complexe höchst verschiedenartiger Theile
gewisse Gruppen gemacht, welche nicht minder unnatürlich, als
verfehlt zu nennen sind. Auch hat man den Begriff der Gewebe
selbst viel zu wenig fixirt. So spricht man von dem Gewebe der
Drüsen und begreift hierunter das Verhältniſs der Drüsengänge
zu den übrigen Theilen der Drüse; bald darauf dagegen spricht
man inconsequent genug wiederum von einem Gewebe dieser
Drüsengänge. Ein solcher Mangel an Distinctionen kann nur
Verwirrung erzeugen, und hat sie auch schon in hinreichendem
Grade erzeugt. — Jede Geweblehre ist eine morphologische Wis-
senschaft, und eben so wenig als man zur Eintheilung der Or-
gane chemische Merkmahle u. dgl. zu Hülfe nimmt, eben so we-
nig kann und darf dieses in einer Histiographie geschehen. Für
die Geweblehre müssen wir den Begriff festhalten, daſs sie nur

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[635/0663] VIII. Entstehung der Organtheile und Gewebe. c. Es bildet eine mehr unbestimmte Masse, welche aus einem mehr oder minder zähen und durchsichtigen Stoffe und einer grö- ſseren oder geringeren Anzahl von diesem eingeschlossener Körn- chen besteht. Mit der letzteren Form kommt die Masse der Keimhaut und ihrer secundären Urstoffe noch am Meisten überein, wiewohl Körn- chen sowohl, als verbindende Masse wesentlich differiren. Die Körnchen sind der Zahl nach geringer und im Allgemeinen klei- ner, als in der Keimhaut; die verbindende Masse ist zäher, feiner und durchsichtiger. Durch künstliche Behandlung werden die Fä- den erst dann erzeugt werden können, wenn die verbundenen Organe schon einen hohen Grad von Selbstständigkeit haben und ihre Organtheile in weiterer Ausbildung vorgeschritten sind. So fein auch die Nuancen der einzelnen Urstoffe und ihrer Metamorphosen zu seyn scheinen, so bestimmt lassen sie sich doch in der Beobachtung verfolgen und unterscheiden. Ja Beschreibung und Abbildung müssen hier am Wenigsten genügen können, da sie nie die feinen Unterschiede und das Charakteristische der Massen mit der erfoderlichen Bestimmtheit und Genauigkeit aus- zudrücken vermögen. Ehe wir nun in dem Versuche, die Gesetze der Histiogenie zu entwickeln, fortfahren, müssen wir einige Begriffe näher in das Auge fassen. Man hat nämlich in den bisherigen sogenann- ten Systemen der Histiologie die verschiedensten morphologi- schen, physiologischen, chemischen Elemente u. dgl. zusammenge- worfen und aus diesem Complexe höchst verschiedenartiger Theile gewisse Gruppen gemacht, welche nicht minder unnatürlich, als verfehlt zu nennen sind. Auch hat man den Begriff der Gewebe selbst viel zu wenig fixirt. So spricht man von dem Gewebe der Drüsen und begreift hierunter das Verhältniſs der Drüsengänge zu den übrigen Theilen der Drüse; bald darauf dagegen spricht man inconsequent genug wiederum von einem Gewebe dieser Drüsengänge. Ein solcher Mangel an Distinctionen kann nur Verwirrung erzeugen, und hat sie auch schon in hinreichendem Grade erzeugt. — Jede Geweblehre ist eine morphologische Wis- senschaft, und eben so wenig als man zur Eintheilung der Or- gane chemische Merkmahle u. dgl. zu Hülfe nimmt, eben so we- nig kann und darf dieses in einer Histiographie geschehen. Für die Geweblehre müssen wir den Begriff festhalten, daſs sie nur

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/663>, abgerufen am 24.11.2024.