Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
gert oder verkürzt sind. Diese letztere Abtheilung entspricht dann den Einfurchungsbildungen. In den motorischen Organen wäre der Typus auf diese Weise dahin zu reduciren, dass die Queraxe in kleinere Linien zerfällt. Durch jeden Theilungspunkt gingen parallele Längenaxen. In den sensiblen Organen ginge in dem Centrum, so wie an den beiden Endpunkten der Queraxe eine ideale Längenaxe. Construirt man aber dieses lineare Schema nach stereometrischen Verhältnissen, so entständen hierdurch der Gegensatz eines umschlossenen und eines umschliessenden Körpers, von Contentum und Hülle, ein Gegensatz, welcher der Uridee des Thieres überhaupt angehörend in jedem individuellen Thiere wiederkehrt. -- Alle diese Fortschritte der Bildung sind aber kein Ansetzen einer neuen Linie an die alte Axe, sondern die Vergrösserung jener überhaupt und das Zerfallen der so neu ent- standenen grösseren Linien in differente Theile.
11. Dadurch, dass die Queraxen der Urbildung des Schleim- blattes, des Darmkanales entweder nach beiden Seiten hin sich andauernd verlängern oder nicht, entstehen verschiedene Bildun- gen. Doch ist dieser Unterschied nur scheinbar. Im Urprocesse ist die Verlängerung nach beiden Seiten hin gleich, und da bei einem Cylinder alle Diameter, also alle Queraxen, einander gleich sind, so kommt es dann nur darauf an, die wahre Richtung der Queraxe zu bestimmen. Zu den einseitigen Bildungen scheinen die Lungen, die Leber, das Pankreas, der Blinddarm zu gehören. Allein bei Lungen und Leber geht zuerst die Verdickung der Queraxe gleichmässig vor sich, wenn man diese nicht von der Rücken- nach der Bauchseite, sondern von rechts nach links nimmt. Dass aber zuerst ein doppeltes Pankreas wahrscheinlich sich finde, haben wir schon oben bemerkt. Es ist der Unterschied zwischen secundärer und primärer Bildung, dass die erstere sich selbststän- dig zu machen bestrebt, die letztere dagegen in untergeordnete Theile zerfällt. Dies hat natürlich in Bezug auf die Axen einen wesentlichen Unterschied zur Folge. Bei den secundären Bildun- gen wird im Laufe der Entwickelung die Queraxe möglichst selbstständig und kommt mit der Längenaxe bei veränderter Lage in gar keine Berührung. In der primären Bildung zerfällt die Längenaxe in mehrere Abtheilungen und jede Differenz der Län- genaxe bedingt auch eine grössere oder geringere Differenz der Queraxen, z. B. im Magen, Dünndarm, Colon. In den motorischen
Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
gert oder verkürzt sind. Diese letztere Abtheilung entspricht dann den Einfurchungsbildungen. In den motorischen Organen wäre der Typus auf diese Weise dahin zu reduciren, daſs die Queraxe in kleinere Linien zerfällt. Durch jeden Theilungspunkt gingen parallele Längenaxen. In den sensiblen Organen ginge in dem Centrum, so wie an den beiden Endpunkten der Queraxe eine ideale Längenaxe. Construirt man aber dieses lineare Schema nach stereometrischen Verhältnissen, so entständen hierdurch der Gegensatz eines umschlossenen und eines umschlieſsenden Körpers, von Contentum und Hülle, ein Gegensatz, welcher der Uridee des Thieres überhaupt angehörend in jedem individuellen Thiere wiederkehrt. — Alle diese Fortschritte der Bildung sind aber kein Ansetzen einer neuen Linie an die alte Axe, sondern die Vergröſserung jener überhaupt und das Zerfallen der so neu ent- standenen gröſseren Linien in differente Theile.
11. Dadurch, daſs die Queraxen der Urbildung des Schleim- blattes, des Darmkanales entweder nach beiden Seiten hin sich andauernd verlängern oder nicht, entstehen verschiedene Bildun- gen. Doch ist dieser Unterschied nur scheinbar. Im Urprocesse ist die Verlängerung nach beiden Seiten hin gleich, und da bei einem Cylinder alle Diameter, also alle Queraxen, einander gleich sind, so kommt es dann nur darauf an, die wahre Richtung der Queraxe zu bestimmen. Zu den einseitigen Bildungen scheinen die Lungen, die Leber, das Pankreas, der Blinddarm zu gehören. Allein bei Lungen und Leber geht zuerst die Verdickung der Queraxe gleichmäſsig vor sich, wenn man diese nicht von der Rücken- nach der Bauchseite, sondern von rechts nach links nimmt. Daſs aber zuerst ein doppeltes Pankreas wahrscheinlich sich finde, haben wir schon oben bemerkt. Es ist der Unterschied zwischen secundärer und primärer Bildung, daſs die erstere sich selbststän- dig zu machen bestrebt, die letztere dagegen in untergeordnete Theile zerfällt. Dies hat natürlich in Bezug auf die Axen einen wesentlichen Unterschied zur Folge. Bei den secundären Bildun- gen wird im Laufe der Entwickelung die Queraxe möglichst selbstständig und kommt mit der Längenaxe bei veränderter Lage in gar keine Berührung. In der primären Bildung zerfällt die Längenaxe in mehrere Abtheilungen und jede Differenz der Län- genaxe bedingt auch eine gröſsere oder geringere Differenz der Queraxen, z. B. im Magen, Dünndarm, Colon. In den motorischen
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Fragmente z. Gesetzlehre d. individuellen Entwickelung.
gert oder verkürzt sind. Diese letztere Abtheilung entspricht
dann den Einfurchungsbildungen. In den motorischen Organen
wäre der Typus auf diese Weise dahin zu reduciren, daſs die
Queraxe in kleinere Linien zerfällt. Durch jeden Theilungspunkt
gingen parallele Längenaxen. In den sensiblen Organen ginge
in dem Centrum, so wie an den beiden Endpunkten der Queraxe
eine ideale Längenaxe. Construirt man aber dieses lineare Schema
nach stereometrischen Verhältnissen, so entständen hierdurch der
Gegensatz eines umschlossenen und eines umschlieſsenden Körpers,
von Contentum und Hülle, ein Gegensatz, welcher der Uridee
des Thieres überhaupt angehörend in jedem individuellen Thiere
wiederkehrt. — Alle diese Fortschritte der Bildung sind aber
kein Ansetzen einer neuen Linie an die alte Axe, sondern die
Vergröſserung jener überhaupt und das Zerfallen der so neu ent-
standenen gröſseren Linien in differente Theile.
11. Dadurch, daſs die Queraxen der Urbildung des Schleim-
blattes, des Darmkanales entweder nach beiden Seiten hin sich
andauernd verlängern oder nicht, entstehen verschiedene Bildun-
gen. Doch ist dieser Unterschied nur scheinbar. Im Urprocesse
ist die Verlängerung nach beiden Seiten hin gleich, und da bei
einem Cylinder alle Diameter, also alle Queraxen, einander gleich
sind, so kommt es dann nur darauf an, die wahre Richtung der
Queraxe zu bestimmen. Zu den einseitigen Bildungen scheinen
die Lungen, die Leber, das Pankreas, der Blinddarm zu gehören.
Allein bei Lungen und Leber geht zuerst die Verdickung der
Queraxe gleichmäſsig vor sich, wenn man diese nicht von der
Rücken- nach der Bauchseite, sondern von rechts nach links nimmt.
Daſs aber zuerst ein doppeltes Pankreas wahrscheinlich sich finde,
haben wir schon oben bemerkt. Es ist der Unterschied zwischen
secundärer und primärer Bildung, daſs die erstere sich selbststän-
dig zu machen bestrebt, die letztere dagegen in untergeordnete
Theile zerfällt. Dies hat natürlich in Bezug auf die Axen einen
wesentlichen Unterschied zur Folge. Bei den secundären Bildun-
gen wird im Laufe der Entwickelung die Queraxe möglichst
selbstständig und kommt mit der Längenaxe bei veränderter Lage
in gar keine Berührung. In der primären Bildung zerfällt die
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genaxe bedingt auch eine gröſsere oder geringere Differenz der
Queraxen, z. B. im Magen, Dünndarm, Colon. In den motorischen
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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/646>, abgerufen am 23.11.2024.
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