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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Ab- und Aussonderungen des Embryo.
terorganismus, das Ei, so dass dieser an Uebergewicht verliert
und wie dieses überall der Fall ist, mehr als dienendes Mittel,
denn als widerstrebendes Individuum erscheint. Es saugt Stoffe
aus dem ihn unmittelbar berührenden Mutterkörper ein, vermischt
diese mit seiner eigenen Substanz, dem Dotter, und bereitet so
seinem eigenen Parasiten, dem Embryo, die reichlichste Nahrung.
Dieser eignet sich, seiner Natur gemäss, diese sogleich an. Jede
wahre Aneignung ist aber keine blosse Aufnahme eines Stoffes,
wie er unmittelbar von aussen dargeboten wird, sondern besteht
in der Reception der tauglichen Theile desselben und der Absto-
ssung und Aussonderung derer, welche von dem individuellen
Organismus nicht gebraucht werden können. Mit der Aufnahme
der durch das Ei dem Embryo von der Mutter zugeführten Stoffe
ist also nothwendig Ausscheidung verbunden und wahrscheinlich
ist dieses Excretum derselben das Fruchtwasser. Allein dieses
besteht auch bei den Säugethieren aus zwei verschiedenen Thei-
len, dem liquor Amnii und Allantoidis. Beide kommen also
darin höchst wahrscheinlich überein, dass sie Auswurssstoffe der
Frucht sind, welche durch die rege Assimilation derselben bedingt
werden. Der kindliche Körper nähret sich also nicht erst von
der Amnions- und Allantoisflüssigkeit, sondern hat sich schon von
denselben genähret, sobald sie frei in dem Eie erscheinen. Wie
aber jeder innerhalb des lebenden Organismus befindliche Theil
entweder unter unglücklichen und selteneren Verhältnissen dem
Faulungsprocesse anheimfällt, oder einen, wenn auch minder leb-
haften Stoffwechsel, von Neuem eingeht, so mag dieses Letztere
auch wohl bei den Eiflüssigkeiten der Fall seyn und der Embryo
wahrscheinlich noch ausziehbare Stoffe von ihnen aufnehmen und
neue an sie abgeben. Wenn nun auf diese Weise durch nüch-
terne Benutzung und Verfolgung der bekannten Erfahrungen sich
wohl Wahrscheinliches über die Bedeutung der Fruchtwasser
überhaupt schliessen lässt, so ist uns die Verschiedenheit der Func-
tion der Amnions- und Allantoisflüssigkeit noch durchaus räthsel-
haft, wiewohl es die verschiedenen Schriftsteller gerade hier nicht
an einer grossen Anzahl von Hypothesen fehlen liessen. Ueber
ihre physikalischen Differenzen haben wir schon oben in dem
Abschnitte vom Eie gehandelt. Hier daher nur einiges über ihre
functionellen Eigenthümlichkeiten. 1. Die Amniosflüssigkeit. Mit
der Entstehung des Amnion findet sich auch, wie die Entwicke-

Ab- und Aussonderungen des Embryo.
terorganismus, das Ei, so daſs dieser an Uebergewicht verliert
und wie dieses überall der Fall ist, mehr als dienendes Mittel,
denn als widerstrebendes Individuum erscheint. Es saugt Stoffe
aus dem ihn unmittelbar berührenden Mutterkörper ein, vermischt
diese mit seiner eigenen Substanz, dem Dotter, und bereitet so
seinem eigenen Parasiten, dem Embryo, die reichlichste Nahrung.
Dieser eignet sich, seiner Natur gemäſs, diese sogleich an. Jede
wahre Aneignung ist aber keine bloſse Aufnahme eines Stoffes,
wie er unmittelbar von auſsen dargeboten wird, sondern besteht
in der Reception der tauglichen Theile desselben und der Absto-
ſsung und Aussonderung derer, welche von dem individuellen
Organismus nicht gebraucht werden können. Mit der Aufnahme
der durch das Ei dem Embryo von der Mutter zugeführten Stoffe
ist also nothwendig Ausscheidung verbunden und wahrscheinlich
ist dieses Excretum derselben das Fruchtwasser. Allein dieses
besteht auch bei den Säugethieren aus zwei verschiedenen Thei-
len, dem liquor Amnii und Allantoidis. Beide kommen also
darin höchst wahrscheinlich überein, daſs sie Auswurſsstoffe der
Frucht sind, welche durch die rege Assimilation derselben bedingt
werden. Der kindliche Körper nähret sich also nicht erst von
der Amnions- und Allantoisflüssigkeit, sondern hat sich schon von
denselben genähret, sobald sie frei in dem Eie erscheinen. Wie
aber jeder innerhalb des lebenden Organismus befindliche Theil
entweder unter unglücklichen und selteneren Verhältnissen dem
Faulungsprocesse anheimfällt, oder einen, wenn auch minder leb-
haften Stoffwechsel, von Neuem eingeht, so mag dieses Letztere
auch wohl bei den Eiflüssigkeiten der Fall seyn und der Embryo
wahrscheinlich noch ausziehbare Stoffe von ihnen aufnehmen und
neue an sie abgeben. Wenn nun auf diese Weise durch nüch-
terne Benutzung und Verfolgung der bekannten Erfahrungen sich
wohl Wahrscheinliches über die Bedeutung der Fruchtwasser
überhaupt schlieſsen läſst, so ist uns die Verschiedenheit der Func-
tion der Amnions- und Allantoisflüssigkeit noch durchaus räthsel-
haft, wiewohl es die verschiedenen Schriftsteller gerade hier nicht
an einer groſsen Anzahl von Hypothesen fehlen lieſsen. Ueber
ihre physikalischen Differenzen haben wir schon oben in dem
Abschnitte vom Eie gehandelt. Hier daher nur einiges über ihre
functionellen Eigenthümlichkeiten. 1. Die Amniosflüssigkeit. Mit
der Entstehung des Amnion findet sich auch, wie die Entwicke-

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[557/0585] Ab- und Aussonderungen des Embryo. terorganismus, das Ei, so daſs dieser an Uebergewicht verliert und wie dieses überall der Fall ist, mehr als dienendes Mittel, denn als widerstrebendes Individuum erscheint. Es saugt Stoffe aus dem ihn unmittelbar berührenden Mutterkörper ein, vermischt diese mit seiner eigenen Substanz, dem Dotter, und bereitet so seinem eigenen Parasiten, dem Embryo, die reichlichste Nahrung. Dieser eignet sich, seiner Natur gemäſs, diese sogleich an. Jede wahre Aneignung ist aber keine bloſse Aufnahme eines Stoffes, wie er unmittelbar von auſsen dargeboten wird, sondern besteht in der Reception der tauglichen Theile desselben und der Absto- ſsung und Aussonderung derer, welche von dem individuellen Organismus nicht gebraucht werden können. Mit der Aufnahme der durch das Ei dem Embryo von der Mutter zugeführten Stoffe ist also nothwendig Ausscheidung verbunden und wahrscheinlich ist dieses Excretum derselben das Fruchtwasser. Allein dieses besteht auch bei den Säugethieren aus zwei verschiedenen Thei- len, dem liquor Amnii und Allantoidis. Beide kommen also darin höchst wahrscheinlich überein, daſs sie Auswurſsstoffe der Frucht sind, welche durch die rege Assimilation derselben bedingt werden. Der kindliche Körper nähret sich also nicht erst von der Amnions- und Allantoisflüssigkeit, sondern hat sich schon von denselben genähret, sobald sie frei in dem Eie erscheinen. Wie aber jeder innerhalb des lebenden Organismus befindliche Theil entweder unter unglücklichen und selteneren Verhältnissen dem Faulungsprocesse anheimfällt, oder einen, wenn auch minder leb- haften Stoffwechsel, von Neuem eingeht, so mag dieses Letztere auch wohl bei den Eiflüssigkeiten der Fall seyn und der Embryo wahrscheinlich noch ausziehbare Stoffe von ihnen aufnehmen und neue an sie abgeben. Wenn nun auf diese Weise durch nüch- terne Benutzung und Verfolgung der bekannten Erfahrungen sich wohl Wahrscheinliches über die Bedeutung der Fruchtwasser überhaupt schlieſsen läſst, so ist uns die Verschiedenheit der Func- tion der Amnions- und Allantoisflüssigkeit noch durchaus räthsel- haft, wiewohl es die verschiedenen Schriftsteller gerade hier nicht an einer groſsen Anzahl von Hypothesen fehlen lieſsen. Ueber ihre physikalischen Differenzen haben wir schon oben in dem Abschnitte vom Eie gehandelt. Hier daher nur einiges über ihre functionellen Eigenthümlichkeiten. 1. Die Amniosflüssigkeit. Mit der Entstehung des Amnion findet sich auch, wie die Entwicke-

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/585>, abgerufen am 01.09.2024.