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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Darmkanal.
übrige Höhlung des Darmrohres übrig bleibt. Nun erhebt sich
die Schleimhaut mit ihren beiden Lamellen zuerst in eine oder
mehrere, fast den dritten Theil der Peripherie des Rohres
einnehmenden Falten, welche sich schnell mit dem Wachsthume
des Darmes vermehren, so dass es den Anschein hat, als seyen
die grossen wulstigen, fast das ganze innere Darmrohr ausfüllen-
den Falten die ersten Rudimente der später persistirenden Darm-
zotten. Allein dass dieses nicht so sey, davon kann man sich
leicht überzeugen. Zieht man nämlich die innere dickere Lage
der Schleimhaut ab, welches vorzüglich an solchen Stücken leicht
gelingt, die einige Zeit in Weingeist gelegen, so liegen erst unter
ihr die einzelnen isolirten, kleinen Darmzotten. Offenbar näm-
lich ist der Häutungsprocess der inneren Oberfläche der Schleim-
haut des Darmkanales ein wesentlicher und ein nothwendiger
Vorgang. Schon Rudolphi, vorzüglich aber Joh. Müller (Physiol.
I. S. 254.) sprechen von einer epidermisartigen, mehr oder min-
der leicht abstreifbaren Hülle der Darmzotten, welche der Letz-
tere für eine Mittelform zwischen Epithelium und Schleim hält.
Dieser fortwährende Häutungsprocess, d. h. die Losstossung der
alten und gleichzeitige Bildung einer neuen Hülle findet zwar,
wie ich an einem anderen Orte nachweisen werde, während des
ganzen Lebens Statt. Im Fötus aber ist er von einer hohen und
einflussreichen Wichtigkeit. Die oben genannte, dickere Lage ist
nämlich eine solche erste Abstossungsschicht, welche also zuerst
stärker und dichter ist, als die Darmzotten selbst. Je mehr sich
nämlich diese dickere Lage erhebt, um so mehr folgt ihr anfangs
die untere etwas dünnere Lage nach. Bald jedoch überwächst
diese letztere die erstere, so dass die kleinen wahren Zotten in
ihnen ungefähr eben so liegen, wie die Finger der Hand in einem
Handschuh sich befinden. Hat man ein taugliches Stück der
dünnen Gedärme, z. B. eines menschlichen Embryo aus dem vier-
ten oder dem Anfange des fünften Monates besonders etwas in
Weingeist erhärten lassen, so kann man die obere dichtere Lage
von der unteren abziehen. Die abgezogene Lamelle hat dann,
von der inneren Seite angesehen, ein sehr zierliches, maschenför-
miges Ansehen, welche Maschen von einer mehr oder minder re-
gelmässigen Gestalt und von einer meistens rundlichen Form sind.
Von jedem Maschennetze geht eine cylinderförmige einem Hand-
schuhfinger nicht unähnliche Verlängerung aus, die Scheide der

Darmkanal.
übrige Höhlung des Darmrohres übrig bleibt. Nun erhebt sich
die Schleimhaut mit ihren beiden Lamellen zuerst in eine oder
mehrere, fast den dritten Theil der Peripherie des Rohres
einnehmenden Falten, welche sich schnell mit dem Wachsthume
des Darmes vermehren, so daſs es den Anschein hat, als seyen
die groſsen wulstigen, fast das ganze innere Darmrohr ausfüllen-
den Falten die ersten Rudimente der später persistirenden Darm-
zotten. Allein daſs dieses nicht so sey, davon kann man sich
leicht überzeugen. Zieht man nämlich die innere dickere Lage
der Schleimhaut ab, welches vorzüglich an solchen Stücken leicht
gelingt, die einige Zeit in Weingeist gelegen, so liegen erst unter
ihr die einzelnen isolirten, kleinen Darmzotten. Offenbar näm-
lich ist der Häutungsproceſs der inneren Oberfläche der Schleim-
haut des Darmkanales ein wesentlicher und ein nothwendiger
Vorgang. Schon Rudolphi, vorzüglich aber Joh. Müller (Physiol.
I. S. 254.) sprechen von einer epidermisartigen, mehr oder min-
der leicht abstreifbaren Hülle der Darmzotten, welche der Letz-
tere für eine Mittelform zwischen Epithelium und Schleim hält.
Dieser fortwährende Häutungsproceſs, d. h. die Losstoſsung der
alten und gleichzeitige Bildung einer neuen Hülle findet zwar,
wie ich an einem anderen Orte nachweisen werde, während des
ganzen Lebens Statt. Im Fötus aber ist er von einer hohen und
einfluſsreichen Wichtigkeit. Die oben genannte, dickere Lage ist
nämlich eine solche erste Abstoſsungsschicht, welche also zuerst
stärker und dichter ist, als die Darmzotten selbst. Je mehr sich
nämlich diese dickere Lage erhebt, um so mehr folgt ihr anfangs
die untere etwas dünnere Lage nach. Bald jedoch überwächst
diese letztere die erstere, so daſs die kleinen wahren Zotten in
ihnen ungefähr eben so liegen, wie die Finger der Hand in einem
Handschuh sich befinden. Hat man ein taugliches Stück der
dünnen Gedärme, z. B. eines menschlichen Embryo aus dem vier-
ten oder dem Anfange des fünften Monates besonders etwas in
Weingeist erhärten lassen, so kann man die obere dichtere Lage
von der unteren abziehen. Die abgezogene Lamelle hat dann,
von der inneren Seite angesehen, ein sehr zierliches, maschenför-
miges Ansehen, welche Maschen von einer mehr oder minder re-
gelmäſsigen Gestalt und von einer meistens rundlichen Form sind.
Von jedem Maschennetze geht eine cylinderförmige einem Hand-
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[461/0489] Darmkanal. übrige Höhlung des Darmrohres übrig bleibt. Nun erhebt sich die Schleimhaut mit ihren beiden Lamellen zuerst in eine oder mehrere, fast den dritten Theil der Peripherie des Rohres einnehmenden Falten, welche sich schnell mit dem Wachsthume des Darmes vermehren, so daſs es den Anschein hat, als seyen die groſsen wulstigen, fast das ganze innere Darmrohr ausfüllen- den Falten die ersten Rudimente der später persistirenden Darm- zotten. Allein daſs dieses nicht so sey, davon kann man sich leicht überzeugen. Zieht man nämlich die innere dickere Lage der Schleimhaut ab, welches vorzüglich an solchen Stücken leicht gelingt, die einige Zeit in Weingeist gelegen, so liegen erst unter ihr die einzelnen isolirten, kleinen Darmzotten. Offenbar näm- lich ist der Häutungsproceſs der inneren Oberfläche der Schleim- haut des Darmkanales ein wesentlicher und ein nothwendiger Vorgang. Schon Rudolphi, vorzüglich aber Joh. Müller (Physiol. I. S. 254.) sprechen von einer epidermisartigen, mehr oder min- der leicht abstreifbaren Hülle der Darmzotten, welche der Letz- tere für eine Mittelform zwischen Epithelium und Schleim hält. Dieser fortwährende Häutungsproceſs, d. h. die Losstoſsung der alten und gleichzeitige Bildung einer neuen Hülle findet zwar, wie ich an einem anderen Orte nachweisen werde, während des ganzen Lebens Statt. Im Fötus aber ist er von einer hohen und einfluſsreichen Wichtigkeit. Die oben genannte, dickere Lage ist nämlich eine solche erste Abstoſsungsschicht, welche also zuerst stärker und dichter ist, als die Darmzotten selbst. Je mehr sich nämlich diese dickere Lage erhebt, um so mehr folgt ihr anfangs die untere etwas dünnere Lage nach. Bald jedoch überwächst diese letztere die erstere, so daſs die kleinen wahren Zotten in ihnen ungefähr eben so liegen, wie die Finger der Hand in einem Handschuh sich befinden. Hat man ein taugliches Stück der dünnen Gedärme, z. B. eines menschlichen Embryo aus dem vier- ten oder dem Anfange des fünften Monates besonders etwas in Weingeist erhärten lassen, so kann man die obere dichtere Lage von der unteren abziehen. Die abgezogene Lamelle hat dann, von der inneren Seite angesehen, ein sehr zierliches, maschenför- miges Ansehen, welche Maschen von einer mehr oder minder re- gelmäſsigen Gestalt und von einer meistens rundlichen Form sind. Von jedem Maschennetze geht eine cylinderförmige einem Hand- schuhfinger nicht unähnliche Verlängerung aus, die Scheide der

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 461. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/489>, abgerufen am 30.05.2024.