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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Körpergefässe. Herz.
der sich nach dem Kopfe und von da nach dem Rücken zu wendet,
das System der Kiemengefässe dar. Allein diese centrale Krüm-
mung bedingt so durch ihre höhere Individualisation eine centrale
Strömung, und da der Hauptstrom zugleich von der nach der
Placenta gerichteten Strömung seinen Einfluss erleidet, so entste-
hen zwei in einander gewundene (in Herzen daher spiralige) el-
liptische Ströme, wie zwei in dem Herzen selbst, wie Ketten-
ringe, in einander greifende Ellipsen, eine für den Ober- und für
den Unterkörper nebst Placenta. Die Ellipsen bleiben noch nach
der Geburt in ihrem Wesen dieselben. Nur ändern sie Function
und Organ. Die obere, welche man vielleicht nicht unpassend
Kiemenellipse nennen könnte und die vor der selbstständigen Aus-
bildung der Bauchkiemenfunction, wenn auch vielleicht nicht
functionell, doch morphologisch die Athmungsorgane repräsentirt,
evolvirt sich während des übrigen Fötuslebens fast nur, um nach
der Geburt als Lungenkreislauf auftreten zu können. Die untere
Ellipse dagegen ist, je jünger der Embryo, desto mehr blosser
Athmungsplacentarkreislauf, theilt sich aber bald und mit zuneh-
mendem Alter des Fötus immer mehr in Körper und Athmungs-
kreislauf, bis sie nach der Geburt mit dem Verschwinden der
Placentarathmung Körperkreislauf für das ganze Leben bleibt.
An den Knotenpunkten der Ellipsen entsteht das Herz als selbst-
ständige Fortbildung des früheren Gefässtheiles. Es giebt so zwei
Herzen, weil es zwei Ellipsen giebt, die nur in und mit einander
verwachsen sind. Hier ist dieses immer nur die centrale Umbie-
gungsstelle der Ellipse, welche sich zu dem Herzen individualisirt
und die so mit der Umbiegungsstelle des Capillargefässes von der
einfachen, kleinsten Arterie in die kleinste Vene ihrem höchsten
Wesen, d. h. der Uridee nach durchaus identisch ist, wie in der
Pflanze der Fruchtknoten nur aus dem metamorphosirten Blatte
besteht. Denn, dass auch die der centralen diametral entgegen-
gesetzte Stelle sich in der Reihe der Thierwelt zu einem selbst-
ständigen, hinteren Herzen bisweilen ausbilde, kann nach den
neuesten Erfahrungen mit Wahrscheinlichkeit vermuthet werden.
Carus (Erläut.taf. z. vergl. Anat. Hft. 3. tab. 5. fig. 11.) bildet
aus Cyprinus Dobula eine im Embryo vorkommende Gefäss-
schlinge ab, und merkwürdiger Weise findet sich an der entspre-
chenden Stelle im erwachsenen Aale das von Marschall Hall ent-
deckte Caudalherz, von dessen Richtigkeit sich Jeder leicht mit

Körpergefäſse. Herz.
der sich nach dem Kopfe und von da nach dem Rücken zu wendet,
das System der Kiemengefäſse dar. Allein diese centrale Krüm-
mung bedingt so durch ihre höhere Individualisation eine centrale
Strömung, und da der Hauptstrom zugleich von der nach der
Placenta gerichteten Strömung seinen Einfluſs erleidet, so entste-
hen zwei in einander gewundene (in Herzen daher spiralige) el-
liptische Ströme, wie zwei in dem Herzen selbst, wie Ketten-
ringe, in einander greifende Ellipsen, eine für den Ober- und für
den Unterkörper nebst Placenta. Die Ellipsen bleiben noch nach
der Geburt in ihrem Wesen dieselben. Nur ändern sie Function
und Organ. Die obere, welche man vielleicht nicht unpassend
Kiemenellipse nennen könnte und die vor der selbstständigen Aus-
bildung der Bauchkiemenfunction, wenn auch vielleicht nicht
functionell, doch morphologisch die Athmungsorgane repräsentirt,
evolvirt sich während des übrigen Fötuslebens fast nur, um nach
der Geburt als Lungenkreislauf auftreten zu können. Die untere
Ellipse dagegen ist, je jünger der Embryo, desto mehr bloſser
Athmungsplacentarkreislauf, theilt sich aber bald und mit zuneh-
mendem Alter des Fötus immer mehr in Körper und Athmungs-
kreislauf, bis sie nach der Geburt mit dem Verschwinden der
Placentarathmung Körperkreislauf für das ganze Leben bleibt.
An den Knotenpunkten der Ellipsen entsteht das Herz als selbst-
ständige Fortbildung des früheren Gefäſstheiles. Es giebt so zwei
Herzen, weil es zwei Ellipsen giebt, die nur in und mit einander
verwachsen sind. Hier ist dieses immer nur die centrale Umbie-
gungsstelle der Ellipse, welche sich zu dem Herzen individualisirt
und die so mit der Umbiegungsstelle des Capillargefäſses von der
einfachen, kleinsten Arterie in die kleinste Vene ihrem höchsten
Wesen, d. h. der Uridee nach durchaus identisch ist, wie in der
Pflanze der Fruchtknoten nur aus dem metamorphosirten Blatte
besteht. Denn, daſs auch die der centralen diametral entgegen-
gesetzte Stelle sich in der Reihe der Thierwelt zu einem selbst-
ständigen, hinteren Herzen bisweilen ausbilde, kann nach den
neuesten Erfahrungen mit Wahrscheinlichkeit vermuthet werden.
Carus (Erläut.taf. z. vergl. Anat. Hft. 3. tab. 5. fig. 11.) bildet
aus Cyprinus Dobula eine im Embryo vorkommende Gefäſs-
schlinge ab, und merkwürdiger Weise findet sich an der entspre-
chenden Stelle im erwachsenen Aale das von Marschall Hall ent-
deckte Caudalherz, von dessen Richtigkeit sich Jeder leicht mit

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[349/0377] Körpergefäſse. Herz. der sich nach dem Kopfe und von da nach dem Rücken zu wendet, das System der Kiemengefäſse dar. Allein diese centrale Krüm- mung bedingt so durch ihre höhere Individualisation eine centrale Strömung, und da der Hauptstrom zugleich von der nach der Placenta gerichteten Strömung seinen Einfluſs erleidet, so entste- hen zwei in einander gewundene (in Herzen daher spiralige) el- liptische Ströme, wie zwei in dem Herzen selbst, wie Ketten- ringe, in einander greifende Ellipsen, eine für den Ober- und für den Unterkörper nebst Placenta. Die Ellipsen bleiben noch nach der Geburt in ihrem Wesen dieselben. Nur ändern sie Function und Organ. Die obere, welche man vielleicht nicht unpassend Kiemenellipse nennen könnte und die vor der selbstständigen Aus- bildung der Bauchkiemenfunction, wenn auch vielleicht nicht functionell, doch morphologisch die Athmungsorgane repräsentirt, evolvirt sich während des übrigen Fötuslebens fast nur, um nach der Geburt als Lungenkreislauf auftreten zu können. Die untere Ellipse dagegen ist, je jünger der Embryo, desto mehr bloſser Athmungsplacentarkreislauf, theilt sich aber bald und mit zuneh- mendem Alter des Fötus immer mehr in Körper und Athmungs- kreislauf, bis sie nach der Geburt mit dem Verschwinden der Placentarathmung Körperkreislauf für das ganze Leben bleibt. An den Knotenpunkten der Ellipsen entsteht das Herz als selbst- ständige Fortbildung des früheren Gefäſstheiles. Es giebt so zwei Herzen, weil es zwei Ellipsen giebt, die nur in und mit einander verwachsen sind. Hier ist dieses immer nur die centrale Umbie- gungsstelle der Ellipse, welche sich zu dem Herzen individualisirt und die so mit der Umbiegungsstelle des Capillargefäſses von der einfachen, kleinsten Arterie in die kleinste Vene ihrem höchsten Wesen, d. h. der Uridee nach durchaus identisch ist, wie in der Pflanze der Fruchtknoten nur aus dem metamorphosirten Blatte besteht. Denn, daſs auch die der centralen diametral entgegen- gesetzte Stelle sich in der Reihe der Thierwelt zu einem selbst- ständigen, hinteren Herzen bisweilen ausbilde, kann nach den neuesten Erfahrungen mit Wahrscheinlichkeit vermuthet werden. Carus (Erläut.taf. z. vergl. Anat. Hft. 3. tab. 5. fig. 11.) bildet aus Cyprinus Dobula eine im Embryo vorkommende Gefäſs- schlinge ab, und merkwürdiger Weise findet sich an der entspre- chenden Stelle im erwachsenen Aale das von Marschall Hall ent- deckte Caudalherz, von dessen Richtigkeit sich Jeder leicht mit

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/377>, abgerufen am 23.11.2024.