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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Von dem Embryo.
wand überhaupt oder eine Bildung neuer Masse oberhalb der Vis-
ceralwand sey. Nach der Analogie mit den oberen Extremitäten
zu schliessen, wäre das Letztere der Fall. Liesse es sich aber
durch genaue Beobachtung nachweisen, so wäre jedes Bedenken
aus der Annahme entfernt, dass die Beckenknochen keine ver-
schmolzenen Rippen, sondern ein eigener Knochengürtel, wie
Schlüsselbein und Schulterblatt sind. Die Beweise aus der späteren
Zeit, die für diese Ansicht streiten, hat schon v. Bär (üb. Entw.
gesch. S. 185 -- 188.) speciell angeführt. Aus dem hier Erzählten
erhellt jedoch so viel, dass der Typus der Entwickelung der Ex-
tremitäten zuerst als einfache lineare Austrahlung der scheiden-
den Mittellinie sich zeige. Von dieser gehen später seitliche,
gürtelartige Fortsätze aus, welche oben und unten getrennt sind,
später unten in ihrer Knorpelgrundlage, oben dagegen durch ge-
wisse muskulöse Schichten mit einander verschmelzen. -- Die
Extremitäten bekommen nun eine Biegung, welche in die Grenze
zwischen Rumpf- und Endglied fällt, aber weder bestimmt, noch
scharf genug ist, um ein unterschiedenes Mittelglied zu setzen.
Bald jedoch verlängert sich zuerst die obere, dann die untere
Extremität und an die Stelle der einfachen Biegung tritt eine
doppelte Einknickung oder, genauer betrachtet, eine in eine dop-
pelte Einknickung nach abweichenden Richtungen übergehende
Biegung. Hierdurch wird an jeder Extremität ein Mittelglied be-
stimmt geschieden, nämlich der Vorderarm an der oberen und der
Unterschenkel an der unteren. Ob auch Hand- und Fusswurzel
schon dadurch gebildet sey, lässt sich durch Nichts mit Gewissheit
entscheiden. -- Was nun die relative Lage der einzelnen Extremi-
tätenabtheilungen betrifft, so tritt das Rumpfglied allmählig mehr
hervor, sondert sich durch eine immer tiefer gehende Furche von
der Leibeswand ab und erscheint so grösser und verhältnissmässig
am längsten. Das Mittelglied ist anfangs noch etwas kleiner, als
das Endglied, und dieses Verhältniss wird am Ende des vierten
Monates erst zu dem des ausgebildeten Menschen ausgeglichen,
während die letztgenannten Veränderungen überhaupt in die neunte
bis zehnte Woche fallen. Alle Extremitäten sind in Form und Lage
zuerst einander ganz gleich. Doch während die oberen mit ihrer
Innenfläche gegen die Rumpfwand gekehrt bleiben und in ihrer
wenig schiefen Direction auf dieser zu liegen kommen, treten bald
die unteren in eine relativ entgegengesetzte Drehung, so nämlich,

Von dem Embryo.
wand überhaupt oder eine Bildung neuer Masse oberhalb der Vis-
ceralwand sey. Nach der Analogie mit den oberen Extremitäten
zu schlieſsen, wäre das Letztere der Fall. Lieſse es sich aber
durch genaue Beobachtung nachweisen, so wäre jedes Bedenken
aus der Annahme entfernt, daſs die Beckenknochen keine ver-
schmolzenen Rippen, sondern ein eigener Knochengürtel, wie
Schlüsselbein und Schulterblatt sind. Die Beweise aus der späteren
Zeit, die für diese Ansicht streiten, hat schon v. Bär (üb. Entw.
gesch. S. 185 — 188.) speciell angeführt. Aus dem hier Erzählten
erhellt jedoch so viel, daſs der Typus der Entwickelung der Ex-
tremitäten zuerst als einfache lineare Austrahlung der scheiden-
den Mittellinie sich zeige. Von dieser gehen später seitliche,
gürtelartige Fortsätze aus, welche oben und unten getrennt sind,
später unten in ihrer Knorpelgrundlage, oben dagegen durch ge-
wisse muskulöse Schichten mit einander verschmelzen. — Die
Extremitäten bekommen nun eine Biegung, welche in die Grenze
zwischen Rumpf- und Endglied fällt, aber weder bestimmt, noch
scharf genug ist, um ein unterschiedenes Mittelglied zu setzen.
Bald jedoch verlängert sich zuerst die obere, dann die untere
Extremität und an die Stelle der einfachen Biegung tritt eine
doppelte Einknickung oder, genauer betrachtet, eine in eine dop-
pelte Einknickung nach abweichenden Richtungen übergehende
Biegung. Hierdurch wird an jeder Extremität ein Mittelglied be-
stimmt geschieden, nämlich der Vorderarm an der oberen und der
Unterschenkel an der unteren. Ob auch Hand- und Fuſswurzel
schon dadurch gebildet sey, läſst sich durch Nichts mit Gewiſsheit
entscheiden. — Was nun die relative Lage der einzelnen Extremi-
tätenabtheilungen betrifft, so tritt das Rumpfglied allmählig mehr
hervor, sondert sich durch eine immer tiefer gehende Furche von
der Leibeswand ab und erscheint so gröſser und verhältniſsmäſsig
am längsten. Das Mittelglied ist anfangs noch etwas kleiner, als
das Endglied, und dieses Verhältniſs wird am Ende des vierten
Monates erst zu dem des ausgebildeten Menschen ausgeglichen,
während die letztgenannten Veränderungen überhaupt in die neunte
bis zehnte Woche fallen. Alle Extremitäten sind in Form und Lage
zuerst einander ganz gleich. Doch während die oberen mit ihrer
Innenfläche gegen die Rumpfwand gekehrt bleiben und in ihrer
wenig schiefen Direction auf dieser zu liegen kommen, treten bald
die unteren in eine relativ entgegengesetzte Drehung, so nämlich,

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[248/0276] Von dem Embryo. wand überhaupt oder eine Bildung neuer Masse oberhalb der Vis- ceralwand sey. Nach der Analogie mit den oberen Extremitäten zu schlieſsen, wäre das Letztere der Fall. Lieſse es sich aber durch genaue Beobachtung nachweisen, so wäre jedes Bedenken aus der Annahme entfernt, daſs die Beckenknochen keine ver- schmolzenen Rippen, sondern ein eigener Knochengürtel, wie Schlüsselbein und Schulterblatt sind. Die Beweise aus der späteren Zeit, die für diese Ansicht streiten, hat schon v. Bär (üb. Entw. gesch. S. 185 — 188.) speciell angeführt. Aus dem hier Erzählten erhellt jedoch so viel, daſs der Typus der Entwickelung der Ex- tremitäten zuerst als einfache lineare Austrahlung der scheiden- den Mittellinie sich zeige. Von dieser gehen später seitliche, gürtelartige Fortsätze aus, welche oben und unten getrennt sind, später unten in ihrer Knorpelgrundlage, oben dagegen durch ge- wisse muskulöse Schichten mit einander verschmelzen. — Die Extremitäten bekommen nun eine Biegung, welche in die Grenze zwischen Rumpf- und Endglied fällt, aber weder bestimmt, noch scharf genug ist, um ein unterschiedenes Mittelglied zu setzen. Bald jedoch verlängert sich zuerst die obere, dann die untere Extremität und an die Stelle der einfachen Biegung tritt eine doppelte Einknickung oder, genauer betrachtet, eine in eine dop- pelte Einknickung nach abweichenden Richtungen übergehende Biegung. Hierdurch wird an jeder Extremität ein Mittelglied be- stimmt geschieden, nämlich der Vorderarm an der oberen und der Unterschenkel an der unteren. Ob auch Hand- und Fuſswurzel schon dadurch gebildet sey, läſst sich durch Nichts mit Gewiſsheit entscheiden. — Was nun die relative Lage der einzelnen Extremi- tätenabtheilungen betrifft, so tritt das Rumpfglied allmählig mehr hervor, sondert sich durch eine immer tiefer gehende Furche von der Leibeswand ab und erscheint so gröſser und verhältniſsmäſsig am längsten. Das Mittelglied ist anfangs noch etwas kleiner, als das Endglied, und dieses Verhältniſs wird am Ende des vierten Monates erst zu dem des ausgebildeten Menschen ausgeglichen, während die letztgenannten Veränderungen überhaupt in die neunte bis zehnte Woche fallen. Alle Extremitäten sind in Form und Lage zuerst einander ganz gleich. Doch während die oberen mit ihrer Innenfläche gegen die Rumpfwand gekehrt bleiben und in ihrer wenig schiefen Direction auf dieser zu liegen kommen, treten bald die unteren in eine relativ entgegengesetzte Drehung, so nämlich,

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/276>, abgerufen am 22.11.2024.