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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
sten zunächst die fast das ganze Ei zuletzt umgebende Allantois
und nächst dieser das Amnion. Zwischen diesen beiden Gebil-
den und dem Chorion befindet sich die im Ganzen verhältniss-
mässig kleine Nabelblase. Die Lagerung ist also noch ziemlich
leicht analog, wie bei dem Vogel, zu erkennen. Etwas abwei-
chend aber scheint sie bei dem Menschen zu seyn. Denn hier
findet man jene zwischen Chorion und Amnion oder, wo zwischen
beiden der gallertartige, mit vielen Fäden durchzogene Stoff noch
vorhanden ist, innerhalb dieses Letzteren. Allein dieser Schein trügt.
Denn wenn man bedenkt, dass das Amnion bei dem Menschen sich so
weit ausdehnt, dass es zuletzt das Chorion mittelbar oder fast
unmittelbar berührt, dass die Allantois, wenn auch nicht der glas-
förmige Körper selbst, doch in ihm entfallen ist, und man dann
den Stiel des Nabelbläschens zu der Stelle hingehen sieht, wo
die Nabelgefässe aus der Höhlung des Amnion hervortreten, so
nimmt man leicht wahr, dass die Lagerung der Nabelblase für
sich durchaus dieselbe ist, wie in den Säugethieren und Vögeln,
dass nur die verschiedene Grösse der Nebengebilde, wie des Am-
nion und der Allantois, eine Verschiedenheit zu bedingen scheint,
ohne in der That eine Differenz zu zeigen.

Dadurch, dass das kleine Nabelbläschen des Menschen früh-
zeitig von dem Embryo entfernt und zwischen Chorion und Am-
nion oder in der gallertartigen Substanz gleichsam versteckt wird,
blieb seine Erkenntniss natürlich weit länger verborgen, als die
des Amnion und der anderen Gebilde. Ja man hielt es sogar
eben seiner Kleinheit, seiner später isolirten Stellung wegen
u. dgl. bisweilen für ein krankhaftes Product, welches in gesun-
den Eiern nie vorkommen könne, und so wurde gerade das Wich-
tigste, ohne dessen Daseyn keine Entwickelung des Embryo mög-
lich ist, für etwas Unwesentliches und Accessorisches gehalten.
-- Die Bestimmung, welcher Anatom die Nabelblase zuerst gese-
hen und beschrieben habe, ist besonderer Schwierigkeit unter-
worfen, da die früheren Naturforscher sie zum Theil mit der Al-
lantois verwechselten oder dafür ausgaben, ihre Ausdrücke zu
kurz, zu unbestimmt und oft zu undeutlich sind, als dass sich
mit Sicherheit aus ihnen etwas entnehmen liesse. Oken hat in
dieser Hinsicht, als ihm die freieste Benutzung der Göttingschen
Bibliothek zu Gebote stand, Ausgezeichnetes geleistet (Beiträge
zur vergl. Anatomie etc. Hft. 2.). Doch bedürfen manche seiner

An-

III. Das Ei während der Fruchtentwickelung.
sten zunächst die fast das ganze Ei zuletzt umgebende Allantois
und nächst dieser das Amnion. Zwischen diesen beiden Gebil-
den und dem Chorion befindet sich die im Ganzen verhältniſs-
mäſsig kleine Nabelblase. Die Lagerung ist also noch ziemlich
leicht analog, wie bei dem Vogel, zu erkennen. Etwas abwei-
chend aber scheint sie bei dem Menschen zu seyn. Denn hier
findet man jene zwischen Chorion und Amnion oder, wo zwischen
beiden der gallertartige, mit vielen Fäden durchzogene Stoff noch
vorhanden ist, innerhalb dieses Letzteren. Allein dieser Schein trügt.
Denn wenn man bedenkt, daſs das Amnion bei dem Menschen sich so
weit ausdehnt, daſs es zuletzt das Chorion mittelbar oder fast
unmittelbar berührt, daſs die Allantois, wenn auch nicht der glas-
förmige Körper selbst, doch in ihm entfallen ist, und man dann
den Stiel des Nabelbläschens zu der Stelle hingehen sieht, wo
die Nabelgefäſse aus der Höhlung des Amnion hervortreten, so
nimmt man leicht wahr, daſs die Lagerung der Nabelblase für
sich durchaus dieselbe ist, wie in den Säugethieren und Vögeln,
daſs nur die verschiedene Gröſse der Nebengebilde, wie des Am-
nion und der Allantois, eine Verschiedenheit zu bedingen scheint,
ohne in der That eine Differenz zu zeigen.

Dadurch, daſs das kleine Nabelbläschen des Menschen früh-
zeitig von dem Embryo entfernt und zwischen Chorion und Am-
nion oder in der gallertartigen Substanz gleichsam versteckt wird,
blieb seine Erkenntniſs natürlich weit länger verborgen, als die
des Amnion und der anderen Gebilde. Ja man hielt es sogar
eben seiner Kleinheit, seiner später isolirten Stellung wegen
u. dgl. bisweilen für ein krankhaftes Product, welches in gesun-
den Eiern nie vorkommen könne, und so wurde gerade das Wich-
tigste, ohne dessen Daseyn keine Entwickelung des Embryo mög-
lich ist, für etwas Unwesentliches und Accessorisches gehalten.
— Die Bestimmung, welcher Anatom die Nabelblase zuerst gese-
hen und beschrieben habe, ist besonderer Schwierigkeit unter-
worfen, da die früheren Naturforscher sie zum Theil mit der Al-
lantois verwechselten oder dafür ausgaben, ihre Ausdrücke zu
kurz, zu unbestimmt und oft zu undeutlich sind, als daſs sich
mit Sicherheit aus ihnen etwas entnehmen lieſse. Oken hat in
dieser Hinsicht, als ihm die freieste Benutzung der Göttingschen
Bibliothek zu Gebote stand, Ausgezeichnetes geleistet (Beiträge
zur vergl. Anatomie etc. Hft. 2.). Doch bedürfen manche seiner

An-
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[96/0124] III. Das Ei während der Fruchtentwickelung. sten zunächst die fast das ganze Ei zuletzt umgebende Allantois und nächst dieser das Amnion. Zwischen diesen beiden Gebil- den und dem Chorion befindet sich die im Ganzen verhältniſs- mäſsig kleine Nabelblase. Die Lagerung ist also noch ziemlich leicht analog, wie bei dem Vogel, zu erkennen. Etwas abwei- chend aber scheint sie bei dem Menschen zu seyn. Denn hier findet man jene zwischen Chorion und Amnion oder, wo zwischen beiden der gallertartige, mit vielen Fäden durchzogene Stoff noch vorhanden ist, innerhalb dieses Letzteren. Allein dieser Schein trügt. Denn wenn man bedenkt, daſs das Amnion bei dem Menschen sich so weit ausdehnt, daſs es zuletzt das Chorion mittelbar oder fast unmittelbar berührt, daſs die Allantois, wenn auch nicht der glas- förmige Körper selbst, doch in ihm entfallen ist, und man dann den Stiel des Nabelbläschens zu der Stelle hingehen sieht, wo die Nabelgefäſse aus der Höhlung des Amnion hervortreten, so nimmt man leicht wahr, daſs die Lagerung der Nabelblase für sich durchaus dieselbe ist, wie in den Säugethieren und Vögeln, daſs nur die verschiedene Gröſse der Nebengebilde, wie des Am- nion und der Allantois, eine Verschiedenheit zu bedingen scheint, ohne in der That eine Differenz zu zeigen. Dadurch, daſs das kleine Nabelbläschen des Menschen früh- zeitig von dem Embryo entfernt und zwischen Chorion und Am- nion oder in der gallertartigen Substanz gleichsam versteckt wird, blieb seine Erkenntniſs natürlich weit länger verborgen, als die des Amnion und der anderen Gebilde. Ja man hielt es sogar eben seiner Kleinheit, seiner später isolirten Stellung wegen u. dgl. bisweilen für ein krankhaftes Product, welches in gesun- den Eiern nie vorkommen könne, und so wurde gerade das Wich- tigste, ohne dessen Daseyn keine Entwickelung des Embryo mög- lich ist, für etwas Unwesentliches und Accessorisches gehalten. — Die Bestimmung, welcher Anatom die Nabelblase zuerst gese- hen und beschrieben habe, ist besonderer Schwierigkeit unter- worfen, da die früheren Naturforscher sie zum Theil mit der Al- lantois verwechselten oder dafür ausgaben, ihre Ausdrücke zu kurz, zu unbestimmt und oft zu undeutlich sind, als daſs sich mit Sicherheit aus ihnen etwas entnehmen lieſse. Oken hat in dieser Hinsicht, als ihm die freieste Benutzung der Göttingschen Bibliothek zu Gebote stand, Ausgezeichnetes geleistet (Beiträge zur vergl. Anatomie etc. Hft. 2.). Doch bedürfen manche seiner An-

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/124>, abgerufen am 27.04.2024.