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Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

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Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
gel, welches durch vielfache Untersuchung schon bestättigt wor-
den, so dürfte es wohl erlaubt seyn, durch die Geschichte des
Vogels auch hier die in der Geschichte der Säugethiere vorhan-
denen Lücken zu completiren. So entsteht auch der Säugethier-
embryo als eine Wucherung der Mitte der Keimhaut, welche
sich von dem Dotter abschnürt und oder mehr oder minder ent-
fernt. Bei dem Vogel bleibt die Distanz des Embryo von dem
Dotter gering, so dass der Verbindungsgang kurz ist. Bei den Säuge-
thieren dagegen scheint diese Entfernung nicht bloss sehr früh,
sondern auch auf eine äusserst energische Weise zu erfolgen. Der
Communicationscanal zieht sich sehr lang aus, wird immer dünner
und zuletzt fadenförmig. Da dieser Hergang sich schon in den
ersten Wochen nach der Entwickelung der Frucht ereignet, so
erscheint die Nabelblase in der Regel in secundärer Form, d. h.
als eine Blase mit einem mehr oder minder langen, vollständig
oder unvollständig zum Embryo hinlaufenden Stiele. Es finden
sich aber noch mehrere Unterschiede zwischen der Nabelblase
der Säugethiere und dem Dotter der Vögel. Diese letzteren Thiere,
welche ihre Eier ausserhalb des mütterlichen Körpers brüten, müs-
sen nothwendig eine grössere Quantität von Nahrungsstoffen in
dem Eie haben, als die Säugethiere, deren Ei innerhalb des Mut-
terkörpers seinen Embryo entwickelt und Stoffe für denselben
fortwährend aus dem mütterlichen Organismus entnimmt. Daher
ist auch der Dotter oder die Nabelblase bei den Säugethieren
klein und unansehnlich, functionirt nur in der allerfrühesten Zeit
des Fruchtlebens, wird als ein wenig nothwendiges oder wenig-
stens bald unnöthiges Gebilde weit von dem Körper des Embryo
abgestossen und schwindet zuletzt entweder ganz oder tritt ausser
Verbindung mit der Frucht, während der Dotter der Vögel im
Verlaufe der ganzen Entwickelungszeit von grossem Umfange ist,
eng an dem Embryonalkörper angeschlossen bleibt, ja zuletzt in
denselben aufgenommen wird. Diese verschiedenen Verhält-
nisse scheinen sogar bei den Säugethieren und den Vögeln eine
Verschiedenheit der Lage der Nabelblase zu bedingen. Denn bei
den Vögeln ist die Alles umschliessende Hülle die Eischaale und
Eischaalenhaut, und es füllen einerseits Amnion und Allantois, ander-
seits die Nabelblase den durch jene gebildeten Raum mehr gleich-
mässig aus. In dem Eie der Säugethiere bildet das Chorion die
äussere Umschliessung, und innerhalb derselben liegt bei den Mei-

Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen.
gel, welches durch vielfache Untersuchung schon bestättigt wor-
den, so dürfte es wohl erlaubt seyn, durch die Geschichte des
Vogels auch hier die in der Geschichte der Säugethiere vorhan-
denen Lücken zu completiren. So entsteht auch der Säugethier-
embryo als eine Wucherung der Mitte der Keimhaut, welche
sich von dem Dotter abschnürt und oder mehr oder minder ent-
fernt. Bei dem Vogel bleibt die Distanz des Embryo von dem
Dotter gering, so daſs der Verbindungsgang kurz ist. Bei den Säuge-
thieren dagegen scheint diese Entfernung nicht bloſs sehr früh,
sondern auch auf eine äuſserst energische Weise zu erfolgen. Der
Communicationscanal zieht sich sehr lang aus, wird immer dünner
und zuletzt fadenförmig. Da dieser Hergang sich schon in den
ersten Wochen nach der Entwickelung der Frucht ereignet, so
erscheint die Nabelblase in der Regel in secundärer Form, d. h.
als eine Blase mit einem mehr oder minder langen, vollständig
oder unvollständig zum Embryo hinlaufenden Stiele. Es finden
sich aber noch mehrere Unterschiede zwischen der Nabelblase
der Säugethiere und dem Dotter der Vögel. Diese letzteren Thiere,
welche ihre Eier auſserhalb des mütterlichen Körpers brüten, müs-
sen nothwendig eine gröſsere Quantität von Nahrungsstoffen in
dem Eie haben, als die Säugethiere, deren Ei innerhalb des Mut-
terkörpers seinen Embryo entwickelt und Stoffe für denselben
fortwährend aus dem mütterlichen Organismus entnimmt. Daher
ist auch der Dotter oder die Nabelblase bei den Säugethieren
klein und unansehnlich, functionirt nur in der allerfrühesten Zeit
des Fruchtlebens, wird als ein wenig nothwendiges oder wenig-
stens bald unnöthiges Gebilde weit von dem Körper des Embryo
abgestoſsen und schwindet zuletzt entweder ganz oder tritt auſser
Verbindung mit der Frucht, während der Dotter der Vögel im
Verlaufe der ganzen Entwickelungszeit von groſsem Umfange ist,
eng an dem Embryonalkörper angeschlossen bleibt, ja zuletzt in
denselben aufgenommen wird. Diese verschiedenen Verhält-
nisse scheinen sogar bei den Säugethieren und den Vögeln eine
Verschiedenheit der Lage der Nabelblase zu bedingen. Denn bei
den Vögeln ist die Alles umschlieſsende Hülle die Eischaale und
Eischaalenhaut, und es füllen einerseits Amnion und Allantois, ander-
seits die Nabelblase den durch jene gebildeten Raum mehr gleich-
mäſsig aus. In dem Eie der Säugethiere bildet das Chorion die
äuſsere Umschlieſsung, und innerhalb derselben liegt bei den Mei-

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[95/0123] Eitheile d. m. d. Embryonalkörper in Verbindung stehen. gel, welches durch vielfache Untersuchung schon bestättigt wor- den, so dürfte es wohl erlaubt seyn, durch die Geschichte des Vogels auch hier die in der Geschichte der Säugethiere vorhan- denen Lücken zu completiren. So entsteht auch der Säugethier- embryo als eine Wucherung der Mitte der Keimhaut, welche sich von dem Dotter abschnürt und oder mehr oder minder ent- fernt. Bei dem Vogel bleibt die Distanz des Embryo von dem Dotter gering, so daſs der Verbindungsgang kurz ist. Bei den Säuge- thieren dagegen scheint diese Entfernung nicht bloſs sehr früh, sondern auch auf eine äuſserst energische Weise zu erfolgen. Der Communicationscanal zieht sich sehr lang aus, wird immer dünner und zuletzt fadenförmig. Da dieser Hergang sich schon in den ersten Wochen nach der Entwickelung der Frucht ereignet, so erscheint die Nabelblase in der Regel in secundärer Form, d. h. als eine Blase mit einem mehr oder minder langen, vollständig oder unvollständig zum Embryo hinlaufenden Stiele. Es finden sich aber noch mehrere Unterschiede zwischen der Nabelblase der Säugethiere und dem Dotter der Vögel. Diese letzteren Thiere, welche ihre Eier auſserhalb des mütterlichen Körpers brüten, müs- sen nothwendig eine gröſsere Quantität von Nahrungsstoffen in dem Eie haben, als die Säugethiere, deren Ei innerhalb des Mut- terkörpers seinen Embryo entwickelt und Stoffe für denselben fortwährend aus dem mütterlichen Organismus entnimmt. Daher ist auch der Dotter oder die Nabelblase bei den Säugethieren klein und unansehnlich, functionirt nur in der allerfrühesten Zeit des Fruchtlebens, wird als ein wenig nothwendiges oder wenig- stens bald unnöthiges Gebilde weit von dem Körper des Embryo abgestoſsen und schwindet zuletzt entweder ganz oder tritt auſser Verbindung mit der Frucht, während der Dotter der Vögel im Verlaufe der ganzen Entwickelungszeit von groſsem Umfange ist, eng an dem Embryonalkörper angeschlossen bleibt, ja zuletzt in denselben aufgenommen wird. Diese verschiedenen Verhält- nisse scheinen sogar bei den Säugethieren und den Vögeln eine Verschiedenheit der Lage der Nabelblase zu bedingen. Denn bei den Vögeln ist die Alles umschlieſsende Hülle die Eischaale und Eischaalenhaut, und es füllen einerseits Amnion und Allantois, ander- seits die Nabelblase den durch jene gebildeten Raum mehr gleich- mäſsig aus. In dem Eie der Säugethiere bildet das Chorion die äuſsere Umschlieſsung, und innerhalb derselben liegt bei den Mei-

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Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/123>, abgerufen am 27.04.2024.