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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

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geworfen, und man machte ihm aus Schertz
weis, er solte geköpft werden. Der Scharf-
richter verrichtete sein Amt nur mit einer Spiß-
gerte, und nichts destoweniger fiel der Narr zu
Boden und blieb todt liegen. Es hat Leute
gegeben, welche nicht gerochen oder nichts ge-
schmeckt haben. Jm ersten Fall haben die Ge-
ruchsnerven gefehlt, und was das andre betrift,
so hat ein gewisser Mensch, der, weil er gar
keinen Geschmack gehabt, vor Geld allerley ge-
gessen, was man ihm gegeben, die Nerven, wel-
che den Geschmack sonst befördern, hinten im
Nacken gehabt. Wieder ein Beweisgrund
meines 30sten Absatzes. Nur noch ein Exem-
pel. Ein gewisser Mann ist mit einem Auge
Myops und mit dem andern Presbymyops.
Jn der That es ist lustig, wenn man die Sele
dieses Mannes harmonisch betrachtet. Sie
muß auf einer Seite gantz anders aussehen,
als auf der andern. Jch möchte gerne wissen
warum sie sich die weit entfernten Sachen auf
einer Seite klar die nahen aber dunckel, hin-
gegen auf der andern Seite die nahen klar,
die weiten aber dunckel vorstellt. Jch zweifle
ob es viele solche Selen gebe, und wenigstens
muß die Auflösung dieser Begebenheit, ohne
die Beschaffenheit des Auges dabey zu beden-
cken, der Wahrscheinlichkeit eben so nahe kom-
men, als die Begebenheiten eines Donquixote.

§. 42.

geworfen, und man machte ihm aus Schertz
weis, er ſolte gekoͤpft werden. Der Scharf-
richter verrichtete ſein Amt nur mit einer Spiß-
gerte, und nichts deſtoweniger fiel der Narr zu
Boden und blieb todt liegen. Es hat Leute
gegeben, welche nicht gerochen oder nichts ge-
ſchmeckt haben. Jm erſten Fall haben die Ge-
ruchsnerven gefehlt, und was das andre betrift,
ſo hat ein gewiſſer Menſch, der, weil er gar
keinen Geſchmack gehabt, vor Geld allerley ge-
geſſen, was man ihm gegeben, die Nerven, wel-
che den Geſchmack ſonſt befoͤrdern, hinten im
Nacken gehabt. Wieder ein Beweisgrund
meines 30ſten Abſatzes. Nur noch ein Exem-
pel. Ein gewiſſer Mann iſt mit einem Auge
Myops und mit dem andern Presbymyops.
Jn der That es iſt luſtig, wenn man die Sele
dieſes Mannes harmoniſch betrachtet. Sie
muß auf einer Seite gantz anders ausſehen,
als auf der andern. Jch moͤchte gerne wiſſen
warum ſie ſich die weit entfernten Sachen auf
einer Seite klar die nahen aber dunckel, hin-
gegen auf der andern Seite die nahen klar,
die weiten aber dunckel vorſtellt. Jch zweifle
ob es viele ſolche Selen gebe, und wenigſtens
muß die Aufloͤſung dieſer Begebenheit, ohne
die Beſchaffenheit des Auges dabey zu beden-
cken, der Wahrſcheinlichkeit eben ſo nahe kom-
men, als die Begebenheiten eines Donquixote.

§. 42.
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[110/0140] geworfen, und man machte ihm aus Schertz weis, er ſolte gekoͤpft werden. Der Scharf- richter verrichtete ſein Amt nur mit einer Spiß- gerte, und nichts deſtoweniger fiel der Narr zu Boden und blieb todt liegen. Es hat Leute gegeben, welche nicht gerochen oder nichts ge- ſchmeckt haben. Jm erſten Fall haben die Ge- ruchsnerven gefehlt, und was das andre betrift, ſo hat ein gewiſſer Menſch, der, weil er gar keinen Geſchmack gehabt, vor Geld allerley ge- geſſen, was man ihm gegeben, die Nerven, wel- che den Geſchmack ſonſt befoͤrdern, hinten im Nacken gehabt. Wieder ein Beweisgrund meines 30ſten Abſatzes. Nur noch ein Exem- pel. Ein gewiſſer Mann iſt mit einem Auge Myops und mit dem andern Presbymyops. Jn der That es iſt luſtig, wenn man die Sele dieſes Mannes harmoniſch betrachtet. Sie muß auf einer Seite gantz anders ausſehen, als auf der andern. Jch moͤchte gerne wiſſen warum ſie ſich die weit entfernten Sachen auf einer Seite klar die nahen aber dunckel, hin- gegen auf der andern Seite die nahen klar, die weiten aber dunckel vorſtellt. Jch zweifle ob es viele ſolche Selen gebe, und wenigſtens muß die Aufloͤſung dieſer Begebenheit, ohne die Beſchaffenheit des Auges dabey zu beden- cken, der Wahrſcheinlichkeit eben ſo nahe kom- men, als die Begebenheiten eines Donquixote. §. 42.

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/140>, abgerufen am 08.05.2024.