Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

und es war zwischen ihm und einen kleinen Kin-
de weiter kein Unterschied, als daß er alles et-
was leichter lernete, als die Kinder. Dieses
sind die Veränderungen, welche in seiner Sele
vorgingen. Was den Körper betrift; so ver-
lohr er die erste Haut über den gantzen Leib,
und bekam eine neue. Die Nägel gingen ihm
von denen Händen und Füssen und wuchsen
neue an deren statt. Die Hare fielen ihm aus
und fingen ihm an andre zu wachsen. Mit ei-
nem Wort: er behielt nichts mehr von seiner
vorigen Sele und dem Körper, als die innern
Theile des letztern: das übrige aber war alles
neu an ihm geworden. Von denen Mutter-
mählern will ich kein Wort sagen; denn die
Sache ist mehr als zu sehr bekandt. Allein was
wird man sagen, wenn ich erweise, daß durch
die Muttermilch die Neigungen derienigen, die
das Kind säuget, auf das Kind kommen. Und
es ist doch in der That nichts gewisser als die-
ses. Ein Kind, welches an einer diebischen
Amme sauget, ist zur Dieberey geneigt. Wenn
die Amme eine geile Person ist, so hat das Kind
eine Neigung zur Hurerey: und dieses ist so
gewiß, als daß es einen Menschen gegeben,
welcher da er schon erwachsen war, dennoch des
Nachts den Urin in das Bette gelassen, wel-
ches man von keiner andern Ursach herzuleiten
weiß, als weil seine Amme diesen Fehler an sich
gehabt. Auch hiervon will ich nichts mehr sa-
gen. Jede Familie wird davon ein neues Ex-

empel

und es war zwiſchen ihm und einen kleinen Kin-
de weiter kein Unterſchied, als daß er alles et-
was leichter lernete, als die Kinder. Dieſes
ſind die Veraͤnderungen, welche in ſeiner Sele
vorgingen. Was den Koͤrper betrift; ſo ver-
lohr er die erſte Haut uͤber den gantzen Leib,
und bekam eine neue. Die Naͤgel gingen ihm
von denen Haͤnden und Fuͤſſen und wuchſen
neue an deren ſtatt. Die Hare fielen ihm aus
und fingen ihm an andre zu wachſen. Mit ei-
nem Wort: er behielt nichts mehr von ſeiner
vorigen Sele und dem Koͤrper, als die innern
Theile des letztern: das uͤbrige aber war alles
neu an ihm geworden. Von denen Mutter-
maͤhlern will ich kein Wort ſagen; denn die
Sache iſt mehr als zu ſehr bekandt. Allein was
wird man ſagen, wenn ich erweiſe, daß durch
die Muttermilch die Neigungen derienigen, die
das Kind ſaͤuget, auf das Kind kommen. Und
es iſt doch in der That nichts gewiſſer als die-
ſes. Ein Kind, welches an einer diebiſchen
Amme ſauget, iſt zur Dieberey geneigt. Wenn
die Amme eine geile Perſon iſt, ſo hat das Kind
eine Neigung zur Hurerey: und dieſes iſt ſo
gewiß, als daß es einen Menſchen gegeben,
welcher da er ſchon erwachſen war, dennoch des
Nachts den Urin in das Bette gelaſſen, wel-
ches man von keiner andern Urſach herzuleiten
weiß, als weil ſeine Amme dieſen Fehler an ſich
gehabt. Auch hiervon will ich nichts mehr ſa-
gen. Jede Familie wird davon ein neues Ex-

empel
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0138" n="108"/>
und es war zwi&#x017F;chen ihm und einen kleinen Kin-<lb/>
de weiter kein Unter&#x017F;chied, als daß er alles et-<lb/>
was leichter lernete, als die Kinder. Die&#x017F;es<lb/>
&#x017F;ind die Vera&#x0364;nderungen, welche in &#x017F;einer Sele<lb/>
vorgingen. Was den Ko&#x0364;rper betrift; &#x017F;o ver-<lb/>
lohr er die er&#x017F;te Haut u&#x0364;ber den gantzen Leib,<lb/>
und bekam eine neue. Die Na&#x0364;gel gingen ihm<lb/>
von denen Ha&#x0364;nden und Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en und wuch&#x017F;en<lb/>
neue an deren &#x017F;tatt. Die Hare fielen ihm aus<lb/>
und fingen ihm an andre zu wach&#x017F;en. Mit ei-<lb/>
nem Wort: er behielt nichts mehr von &#x017F;einer<lb/>
vorigen Sele und dem Ko&#x0364;rper, als die innern<lb/>
Theile des letztern: das u&#x0364;brige aber war alles<lb/>
neu an ihm geworden. Von denen Mutter-<lb/>
ma&#x0364;hlern will ich kein Wort &#x017F;agen; denn die<lb/>
Sache i&#x017F;t mehr als zu &#x017F;ehr bekandt. Allein was<lb/>
wird man &#x017F;agen, wenn ich erwei&#x017F;e, daß durch<lb/>
die Muttermilch die Neigungen derienigen, die<lb/>
das Kind &#x017F;a&#x0364;uget, auf das Kind kommen. Und<lb/>
es i&#x017F;t doch in der That nichts gewi&#x017F;&#x017F;er als die-<lb/>
&#x017F;es. Ein Kind, welches an einer diebi&#x017F;chen<lb/>
Amme &#x017F;auget, i&#x017F;t zur Dieberey geneigt. Wenn<lb/>
die Amme eine geile Per&#x017F;on i&#x017F;t, &#x017F;o hat das Kind<lb/>
eine Neigung zur Hurerey: und die&#x017F;es i&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
gewiß, als daß es einen Men&#x017F;chen gegeben,<lb/>
welcher da er &#x017F;chon erwach&#x017F;en war, dennoch des<lb/>
Nachts den Urin in das Bette gela&#x017F;&#x017F;en, wel-<lb/>
ches man von keiner andern Ur&#x017F;ach herzuleiten<lb/>
weiß, als weil &#x017F;eine Amme die&#x017F;en Fehler an &#x017F;ich<lb/>
gehabt. Auch hiervon will ich nichts mehr &#x017F;a-<lb/>
gen. Jede Familie wird davon ein neues Ex-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">empel</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0138] und es war zwiſchen ihm und einen kleinen Kin- de weiter kein Unterſchied, als daß er alles et- was leichter lernete, als die Kinder. Dieſes ſind die Veraͤnderungen, welche in ſeiner Sele vorgingen. Was den Koͤrper betrift; ſo ver- lohr er die erſte Haut uͤber den gantzen Leib, und bekam eine neue. Die Naͤgel gingen ihm von denen Haͤnden und Fuͤſſen und wuchſen neue an deren ſtatt. Die Hare fielen ihm aus und fingen ihm an andre zu wachſen. Mit ei- nem Wort: er behielt nichts mehr von ſeiner vorigen Sele und dem Koͤrper, als die innern Theile des letztern: das uͤbrige aber war alles neu an ihm geworden. Von denen Mutter- maͤhlern will ich kein Wort ſagen; denn die Sache iſt mehr als zu ſehr bekandt. Allein was wird man ſagen, wenn ich erweiſe, daß durch die Muttermilch die Neigungen derienigen, die das Kind ſaͤuget, auf das Kind kommen. Und es iſt doch in der That nichts gewiſſer als die- ſes. Ein Kind, welches an einer diebiſchen Amme ſauget, iſt zur Dieberey geneigt. Wenn die Amme eine geile Perſon iſt, ſo hat das Kind eine Neigung zur Hurerey: und dieſes iſt ſo gewiß, als daß es einen Menſchen gegeben, welcher da er ſchon erwachſen war, dennoch des Nachts den Urin in das Bette gelaſſen, wel- ches man von keiner andern Urſach herzuleiten weiß, als weil ſeine Amme dieſen Fehler an ſich gehabt. Auch hiervon will ich nichts mehr ſa- gen. Jede Familie wird davon ein neues Ex- empel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/138
Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/138>, abgerufen am 08.05.2024.