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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746.

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bald er denselben mercket? Jch habe es aus dem
eigenen Worten, eines gewissen Mannes, daß
er allemal in Ohnmacht fällt, wenn er die Re-
gentropfen von denen Dächern herabfallen sie-
het, und ich selbst habe ihn zur Regenzeit auf
der Strasse in Ohnmacht liegen gesehen. Leu-
te welche allzuviel gefastet haben, fangen end-
lich an zu fantasiren und verlieren den Ge-
brauch ihrer Vernunft. Wenn man allzuviel
hinter einander wachet; so vergehen einem nach
und nach die Gedancken, oder man wird trau-
rig, fällt in eine Schwermüthigkeit, verlieret
den Verstand; man verfällt endlich in einen
Schlaf und stirbt ohne zu wissen wie? Was
hat doch das Wachen mit der Ausübung der
Selenkräfte zu thun? Die Franzosen gewöhn-
ten sich einstmals daran beständig etwas im
Munde zu kauen, weil sich der König, wegen
stinckenden Athem hierzu genöthiget sahe. Sie
versahen es aber, und warfen dabey dergestalt
viel Speichel aus, daß ihrer viele davon me-
lancholisch wurden. Jch sage mit Willen,
daß dieses die Ursach gewesen sey: denn daß
das allzuhäufige Auswerfen des Speichels der-
gleichen üble Folgen nach sich ziehen könne, be-
stätiget das Exempel dererienigen Personen, die
die Salivations-Cur gebrauchen müssen. Jch
will ietzo einmal in den Augen dererienigen,
welche ihre Keuschheit bloß in die Worte setzen,
die Grentzen der Ehrbarkeit überschreiten, und
ein Exempel anführen, welches viel zu über-

zeugend

bald er denſelben mercket? Jch habe es aus dem
eigenen Worten, eines gewiſſen Mannes, daß
er allemal in Ohnmacht faͤllt, wenn er die Re-
gentropfen von denen Daͤchern herabfallen ſie-
het, und ich ſelbſt habe ihn zur Regenzeit auf
der Straſſe in Ohnmacht liegen geſehen. Leu-
te welche allzuviel gefaſtet haben, fangen end-
lich an zu fantaſiren und verlieren den Ge-
brauch ihrer Vernunft. Wenn man allzuviel
hinter einander wachet; ſo vergehen einem nach
und nach die Gedancken, oder man wird trau-
rig, faͤllt in eine Schwermuͤthigkeit, verlieret
den Verſtand; man verfaͤllt endlich in einen
Schlaf und ſtirbt ohne zu wiſſen wie? Was
hat doch das Wachen mit der Ausuͤbung der
Selenkraͤfte zu thun? Die Franzoſen gewoͤhn-
ten ſich einſtmals daran beſtaͤndig etwas im
Munde zu kauen, weil ſich der Koͤnig, wegen
ſtinckenden Athem hierzu genoͤthiget ſahe. Sie
verſahen es aber, und warfen dabey dergeſtalt
viel Speichel aus, daß ihrer viele davon me-
lancholiſch wurden. Jch ſage mit Willen,
daß dieſes die Urſach geweſen ſey: denn daß
das allzuhaͤufige Auswerfen des Speichels der-
gleichen uͤble Folgen nach ſich ziehen koͤnne, be-
ſtaͤtiget das Exempel dererienigen Perſonen, die
die Salivations-Cur gebrauchen muͤſſen. Jch
will ietzo einmal in den Augen dererienigen,
welche ihre Keuſchheit bloß in die Worte ſetzen,
die Grentzen der Ehrbarkeit uͤberſchreiten, und
ein Exempel anfuͤhren, welches viel zu uͤber-

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[104/0134] bald er denſelben mercket? Jch habe es aus dem eigenen Worten, eines gewiſſen Mannes, daß er allemal in Ohnmacht faͤllt, wenn er die Re- gentropfen von denen Daͤchern herabfallen ſie- het, und ich ſelbſt habe ihn zur Regenzeit auf der Straſſe in Ohnmacht liegen geſehen. Leu- te welche allzuviel gefaſtet haben, fangen end- lich an zu fantaſiren und verlieren den Ge- brauch ihrer Vernunft. Wenn man allzuviel hinter einander wachet; ſo vergehen einem nach und nach die Gedancken, oder man wird trau- rig, faͤllt in eine Schwermuͤthigkeit, verlieret den Verſtand; man verfaͤllt endlich in einen Schlaf und ſtirbt ohne zu wiſſen wie? Was hat doch das Wachen mit der Ausuͤbung der Selenkraͤfte zu thun? Die Franzoſen gewoͤhn- ten ſich einſtmals daran beſtaͤndig etwas im Munde zu kauen, weil ſich der Koͤnig, wegen ſtinckenden Athem hierzu genoͤthiget ſahe. Sie verſahen es aber, und warfen dabey dergeſtalt viel Speichel aus, daß ihrer viele davon me- lancholiſch wurden. Jch ſage mit Willen, daß dieſes die Urſach geweſen ſey: denn daß das allzuhaͤufige Auswerfen des Speichels der- gleichen uͤble Folgen nach ſich ziehen koͤnne, be- ſtaͤtiget das Exempel dererienigen Perſonen, die die Salivations-Cur gebrauchen muͤſſen. Jch will ietzo einmal in den Augen dererienigen, welche ihre Keuſchheit bloß in die Worte ſetzen, die Grentzen der Ehrbarkeit uͤberſchreiten, und ein Exempel anfuͤhren, welches viel zu uͤber- zeugend

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/134>, abgerufen am 21.11.2024.