ser beyden Brüder zu ihrem Geliebtesten erkoh- ren. So bald sie nun das Sterbelied höreten, welches bey dem Begräbniß des einen Bru- ders abgesungen worden war; so bekam dieie- nige ein Erbrechen, die diesen Bruder am lieb- sten gehabt hatte. Hingegen ginge es der an- dern eben also, wenn sie das Sterbelied hörte, welches man ihrem Geliebten zu Grabe gesun- gen. Ein Jüngling bekommt allemal Con- vulsionen, wenn er ehe mit andern Leuten re- det oder umgehet, als er zwey Gläser Wein zu sich genommen. Man kan die übrigen Exem- pel an oben angeführten Orte nachlesen, und ich will ietzo meine Leser mit einigen andern unterhalten, welche noch nicht alle so öffentlich bekant gemacht worden. Jch weiß wol, daß man diese Erfahrungen gemeiniglich nur dar- um anführet, um zu zeigen, was die Empfind- lichkeit vor eine Herrschaft über die Menschen führe: allein ich begreiffe auch wohl, daß die- selben eben so geschickt sind meinen Satz zu bestätigen, als ienes zu thun. Wo bleibet doch die Mechanick, wenn man den ersten Fall, den wir ietzo erzählet, auflösen will? Hat et- wan die mit dem weissen Fluß behaftete Schwe- ster solche Effluvia gehabt, welche in den Kör- per der andern übergegangen, und ihr eine gleichmäßige Kranckheit zuwege gebracht; so möchte ich gerne wissen, warum sich der weis- se Fluß nicht alsdenn erst eingestellet, nachdem die beyden Schwestern eine Zeitlang mit ein-
ander
ſer beyden Bruͤder zu ihrem Geliebteſten erkoh- ren. So bald ſie nun das Sterbelied hoͤreten, welches bey dem Begraͤbniß des einen Bru- ders abgeſungen worden war; ſo bekam dieie- nige ein Erbrechen, die dieſen Bruder am lieb- ſten gehabt hatte. Hingegen ginge es der an- dern eben alſo, wenn ſie das Sterbelied hoͤrte, welches man ihrem Geliebten zu Grabe geſun- gen. Ein Juͤngling bekommt allemal Con- vulſionen, wenn er ehe mit andern Leuten re- det oder umgehet, als er zwey Glaͤſer Wein zu ſich genommen. Man kan die uͤbrigen Exem- pel an oben angefuͤhrten Orte nachleſen, und ich will ietzo meine Leſer mit einigen andern unterhalten, welche noch nicht alle ſo oͤffentlich bekant gemacht worden. Jch weiß wol, daß man dieſe Erfahrungen gemeiniglich nur dar- um anfuͤhret, um zu zeigen, was die Empfind- lichkeit vor eine Herrſchaft uͤber die Menſchen fuͤhre: allein ich begreiffe auch wohl, daß die- ſelben eben ſo geſchickt ſind meinen Satz zu beſtaͤtigen, als ienes zu thun. Wo bleibet doch die Mechanick, wenn man den erſten Fall, den wir ietzo erzaͤhlet, aufloͤſen will? Hat et- wan die mit dem weiſſen Fluß behaftete Schwe- ſter ſolche Effluvia gehabt, welche in den Koͤr- per der andern uͤbergegangen, und ihr eine gleichmaͤßige Kranckheit zuwege gebracht; ſo moͤchte ich gerne wiſſen, warum ſich der weiſ- ſe Fluß nicht alsdenn erſt eingeſtellet, nachdem die beyden Schweſtern eine Zeitlang mit ein-
ander
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ſer beyden Bruͤder zu ihrem Geliebteſten erkoh-
ren. So bald ſie nun das Sterbelied hoͤreten,
welches bey dem Begraͤbniß des einen Bru-
ders abgeſungen worden war; ſo bekam dieie-
nige ein Erbrechen, die dieſen Bruder am lieb-
ſten gehabt hatte. Hingegen ginge es der an-
dern eben alſo, wenn ſie das Sterbelied hoͤrte,
welches man ihrem Geliebten zu Grabe geſun-
gen. Ein Juͤngling bekommt allemal Con-
vulſionen, wenn er ehe mit andern Leuten re-
det oder umgehet, als er zwey Glaͤſer Wein zu
ſich genommen. Man kan die uͤbrigen Exem-
pel an oben angefuͤhrten Orte nachleſen, und
ich will ietzo meine Leſer mit einigen andern
unterhalten, welche noch nicht alle ſo oͤffentlich
bekant gemacht worden. Jch weiß wol, daß
man dieſe Erfahrungen gemeiniglich nur dar-
um anfuͤhret, um zu zeigen, was die Empfind-
lichkeit vor eine Herrſchaft uͤber die Menſchen
fuͤhre: allein ich begreiffe auch wohl, daß die-
ſelben eben ſo geſchickt ſind meinen Satz zu
beſtaͤtigen, als ienes zu thun. Wo bleibet doch
die Mechanick, wenn man den erſten Fall,
den wir ietzo erzaͤhlet, aufloͤſen will? Hat et-
wan die mit dem weiſſen Fluß behaftete Schwe-
ſter ſolche Effluvia gehabt, welche in den Koͤr-
per der andern uͤbergegangen, und ihr eine
gleichmaͤßige Kranckheit zuwege gebracht; ſo
moͤchte ich gerne wiſſen, warum ſich der weiſ-
ſe Fluß nicht alsdenn erſt eingeſtellet, nachdem
die beyden Schweſtern eine Zeitlang mit ein-
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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/131>, abgerufen am 22.07.2024.
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