könne. Aber eben dieses ist leider! der Stein des Anstosses. Wir haben viel zu enge Gren- tzen unsers Verstandes, als daß wir dieses sol- ten zeigen können. Wir wissen nicht einmal recht, was unsre Sele sey, und wie wollten wir es also wol anfangen, wenn wir von denen Empfindungen ein richtiges Urtheil fällen sol- ten. Dieser hält seine Sele vor eine Materie, iener hält sie vor eine Monade, und spricht ihr alles Vermögen ab, in einen Körper würcken zu können. Wer hat nun von diesen beyden Recht? Jn der That diese Frage ist schwer zu beantworten, indem das wahre Urtheil davon wol beyden Partheyen unanständig seyn möch- te. Womit muß es doch unsre Sele versehen haben, daß ihr fast kein Mensch gerne zugeste- hen will, daß sie in ihren Körper würcke? Jst denn alles das untrüglich gewiß, davon wir nicht begreifen können, daß es anders seyn sol- le? Muß denn unsre Sele bloß darum unver- mögend seyn, in ihren Körper zu würcken, weil es niemand begreiffen kan, wie dieses zugehen solte? Ey, warum läugnet man denn nicht auch die Möglichkeit dessen, daß ein Körper den andern in Bewegung setzen könne? Wer kan sich rühmen, daß er begreife wie dieses zu- gehe. Warum läugnet es denn kein Mensch, daß der Magnet das Eisen an sich ziehe, daß sich sein Nordpol beständig gegen Norden, hin- gegen der Süderpol gegen Süden kehre, daß ein Armirter stärcker an sich ziehe, als ein an-
drer,
koͤnne. Aber eben dieſes iſt leider! der Stein des Anſtoſſes. Wir haben viel zu enge Gren- tzen unſers Verſtandes, als daß wir dieſes ſol- ten zeigen koͤnnen. Wir wiſſen nicht einmal recht, was unſre Sele ſey, und wie wollten wir es alſo wol anfangen, wenn wir von denen Empfindungen ein richtiges Urtheil faͤllen ſol- ten. Dieſer haͤlt ſeine Sele vor eine Materie, iener haͤlt ſie vor eine Monade, und ſpricht ihr alles Vermoͤgen ab, in einen Koͤrper wuͤrcken zu koͤnnen. Wer hat nun von dieſen beyden Recht? Jn der That dieſe Frage iſt ſchwer zu beantworten, indem das wahre Urtheil davon wol beyden Partheyen unanſtaͤndig ſeyn moͤch- te. Womit muß es doch unſre Sele verſehen haben, daß ihr faſt kein Menſch gerne zugeſte- hen will, daß ſie in ihren Koͤrper wuͤrcke? Jſt denn alles das untruͤglich gewiß, davon wir nicht begreifen koͤnnen, daß es anders ſeyn ſol- le? Muß denn unſre Sele bloß darum unver- moͤgend ſeyn, in ihren Koͤrper zu wuͤrcken, weil es niemand begreiffen kan, wie dieſes zugehen ſolte? Ey, warum laͤugnet man denn nicht auch die Moͤglichkeit deſſen, daß ein Koͤrper den andern in Bewegung ſetzen koͤnne? Wer kan ſich ruͤhmen, daß er begreife wie dieſes zu- gehe. Warum laͤugnet es denn kein Menſch, daß der Magnet das Eiſen an ſich ziehe, daß ſich ſein Nordpol beſtaͤndig gegen Norden, hin- gegen der Suͤderpol gegen Suͤden kehre, daß ein Armirter ſtaͤrcker an ſich ziehe, als ein an-
drer,
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koͤnne. Aber eben dieſes iſt leider! der Stein
des Anſtoſſes. Wir haben viel zu enge Gren-
tzen unſers Verſtandes, als daß wir dieſes ſol-
ten zeigen koͤnnen. Wir wiſſen nicht einmal
recht, was unſre Sele ſey, und wie wollten wir
es alſo wol anfangen, wenn wir von denen
Empfindungen ein richtiges Urtheil faͤllen ſol-
ten. Dieſer haͤlt ſeine Sele vor eine Materie,
iener haͤlt ſie vor eine Monade, und ſpricht ihr
alles Vermoͤgen ab, in einen Koͤrper wuͤrcken
zu koͤnnen. Wer hat nun von dieſen beyden
Recht? Jn der That dieſe Frage iſt ſchwer zu
beantworten, indem das wahre Urtheil davon
wol beyden Partheyen unanſtaͤndig ſeyn moͤch-
te. Womit muß es doch unſre Sele verſehen
haben, daß ihr faſt kein Menſch gerne zugeſte-
hen will, daß ſie in ihren Koͤrper wuͤrcke? Jſt
denn alles das untruͤglich gewiß, davon wir
nicht begreifen koͤnnen, daß es anders ſeyn ſol-
le? Muß denn unſre Sele bloß darum unver-
moͤgend ſeyn, in ihren Koͤrper zu wuͤrcken, weil
es niemand begreiffen kan, wie dieſes zugehen
ſolte? Ey, warum laͤugnet man denn nicht
auch die Moͤglichkeit deſſen, daß ein Koͤrper
den andern in Bewegung ſetzen koͤnne? Wer
kan ſich ruͤhmen, daß er begreife wie dieſes zu-
gehe. Warum laͤugnet es denn kein Menſch,
daß der Magnet das Eiſen an ſich ziehe, daß
ſich ſein Nordpol beſtaͤndig gegen Norden, hin-
gegen der Suͤderpol gegen Suͤden kehre, daß
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Unzer, Johann August: Gedanken vom Einfluß der Seele in ihren Körper. Halle (Saale), 1746, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_gedanken_1746/100>, abgerufen am 22.07.2024.
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