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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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2 Kap. Hauptgattungen existirender Thiere.
unbekannten Beschaffenheit der Seele für diese Meynung
anführen, aber auch keine solche dawider beantworten: denn
was ließe sich wohl in so großer Unwissenheit entscheiden?
Es ist einerley Schwierigkeit, zu erklären, wie eine einfa-
che Seele thierische Bewegungen hervorbringe, es mag der
Körper, durch den sie sie wirken soll, dazu einer künstlichen
Strucktur bedürfen, oder er mag nur eine rohe Materie zu
seyn brauchen. Die Natur hat ihr dieses Gesetz aus uns
völlig unbekannten Gründen vorgeschrieben, und bey ihr
stund es auch lediglich, alle, oder nur einige Thiere zu be-
seelen. Blos aus dem, was uns die Thiere durch ihren
Körper und dessen Handlungen verrathen, können wir schlie-
ßen, was wirklich geschehen sey. Wir haben oben hin-
länglich bewiesen, §. 610. 611. daß Thiere, die gar keine
Seele erhalten hätten, gleichwohl durch ihre bloße Ner-
venkräfte überflüßig vermögend wären, ein thierisches Le-
ben, bis auf einige Handlungen, die auszunehmen sind,
beynahe in eben der Vollkommenheit, wie ziemlich voll-
kommne beseelte, zu führen. Die Natur war also nicht
genöthiget, alle Thiere zu beseelen, wenn sie sich, unter al-
len, auch mit solchen begnügen wollte, die nur nicht alle
einem beseelten Thiere mögliche Handlungen im höchsten
Grade der Vollkommenheit, aber doch hinlänglich viele
verrichten könnten, um nach ihrer Art für sich selbst zu be-
stehen, und zu den natürlichen Bedingungen ihrer Ernäh-
rung, Beschützung, Rettung und Fortpflanzung, sich selbst
hinreichend zu seyn. Giebt es nun solche Thiere, denen
diese Grade der Vollkommenheit der Handlungen mangeln,
z. E. die Wirkungen der höhern Leidenschaften, des Ver-
standes und des freyen Willens; die das eigentliche Werk-
zeug der Vorstellungskraft beseelter Thiere nicht besitzen,
deren ganzes Leben, seinem Plane nach, so einfach, gleich-
förmig und unthätig geführet wird, daß sie dazu bey wei-
tem nicht einmal so vieler und vollkommner Nervenkräfte
bedürfen, als einem enthaupteten beseelten Thiere noch übrig
bleiben, und die sogar ihr Leben fast in gleicher Vollkom-

menheit
R r 5

2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
unbekannten Beſchaffenheit der Seele fuͤr dieſe Meynung
anfuͤhren, aber auch keine ſolche dawider beantworten: denn
was ließe ſich wohl in ſo großer Unwiſſenheit entſcheiden?
Es iſt einerley Schwierigkeit, zu erklaͤren, wie eine einfa-
che Seele thieriſche Bewegungen hervorbringe, es mag der
Koͤrper, durch den ſie ſie wirken ſoll, dazu einer kuͤnſtlichen
Strucktur beduͤrfen, oder er mag nur eine rohe Materie zu
ſeyn brauchen. Die Natur hat ihr dieſes Geſetz aus uns
voͤllig unbekannten Gruͤnden vorgeſchrieben, und bey ihr
ſtund es auch lediglich, alle, oder nur einige Thiere zu be-
ſeelen. Blos aus dem, was uns die Thiere durch ihren
Koͤrper und deſſen Handlungen verrathen, koͤnnen wir ſchlie-
ßen, was wirklich geſchehen ſey. Wir haben oben hin-
laͤnglich bewieſen, §. 610. 611. daß Thiere, die gar keine
Seele erhalten haͤtten, gleichwohl durch ihre bloße Ner-
venkraͤfte uͤberfluͤßig vermoͤgend waͤren, ein thieriſches Le-
ben, bis auf einige Handlungen, die auszunehmen ſind,
beynahe in eben der Vollkommenheit, wie ziemlich voll-
kommne beſeelte, zu fuͤhren. Die Natur war alſo nicht
genoͤthiget, alle Thiere zu beſeelen, wenn ſie ſich, unter al-
len, auch mit ſolchen begnuͤgen wollte, die nur nicht alle
einem beſeelten Thiere moͤgliche Handlungen im hoͤchſten
Grade der Vollkommenheit, aber doch hinlaͤnglich viele
verrichten koͤnnten, um nach ihrer Art fuͤr ſich ſelbſt zu be-
ſtehen, und zu den natuͤrlichen Bedingungen ihrer Ernaͤh-
rung, Beſchuͤtzung, Rettung und Fortpflanzung, ſich ſelbſt
hinreichend zu ſeyn. Giebt es nun ſolche Thiere, denen
dieſe Grade der Vollkommenheit der Handlungen mangeln,
z. E. die Wirkungen der hoͤhern Leidenſchaften, des Ver-
ſtandes und des freyen Willens; die das eigentliche Werk-
zeug der Vorſtellungskraft beſeelter Thiere nicht beſitzen,
deren ganzes Leben, ſeinem Plane nach, ſo einfach, gleich-
foͤrmig und unthaͤtig gefuͤhret wird, daß ſie dazu bey wei-
tem nicht einmal ſo vieler und vollkommner Nervenkraͤfte
beduͤrfen, als einem enthaupteten beſeelten Thiere noch uͤbrig
bleiben, und die ſogar ihr Leben faſt in gleicher Vollkom-

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[633/0657] 2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere. unbekannten Beſchaffenheit der Seele fuͤr dieſe Meynung anfuͤhren, aber auch keine ſolche dawider beantworten: denn was ließe ſich wohl in ſo großer Unwiſſenheit entſcheiden? Es iſt einerley Schwierigkeit, zu erklaͤren, wie eine einfa- che Seele thieriſche Bewegungen hervorbringe, es mag der Koͤrper, durch den ſie ſie wirken ſoll, dazu einer kuͤnſtlichen Strucktur beduͤrfen, oder er mag nur eine rohe Materie zu ſeyn brauchen. Die Natur hat ihr dieſes Geſetz aus uns voͤllig unbekannten Gruͤnden vorgeſchrieben, und bey ihr ſtund es auch lediglich, alle, oder nur einige Thiere zu be- ſeelen. Blos aus dem, was uns die Thiere durch ihren Koͤrper und deſſen Handlungen verrathen, koͤnnen wir ſchlie- ßen, was wirklich geſchehen ſey. Wir haben oben hin- laͤnglich bewieſen, §. 610. 611. daß Thiere, die gar keine Seele erhalten haͤtten, gleichwohl durch ihre bloße Ner- venkraͤfte uͤberfluͤßig vermoͤgend waͤren, ein thieriſches Le- ben, bis auf einige Handlungen, die auszunehmen ſind, beynahe in eben der Vollkommenheit, wie ziemlich voll- kommne beſeelte, zu fuͤhren. Die Natur war alſo nicht genoͤthiget, alle Thiere zu beſeelen, wenn ſie ſich, unter al- len, auch mit ſolchen begnuͤgen wollte, die nur nicht alle einem beſeelten Thiere moͤgliche Handlungen im hoͤchſten Grade der Vollkommenheit, aber doch hinlaͤnglich viele verrichten koͤnnten, um nach ihrer Art fuͤr ſich ſelbſt zu be- ſtehen, und zu den natuͤrlichen Bedingungen ihrer Ernaͤh- rung, Beſchuͤtzung, Rettung und Fortpflanzung, ſich ſelbſt hinreichend zu ſeyn. Giebt es nun ſolche Thiere, denen dieſe Grade der Vollkommenheit der Handlungen mangeln, z. E. die Wirkungen der hoͤhern Leidenſchaften, des Ver- ſtandes und des freyen Willens; die das eigentliche Werk- zeug der Vorſtellungskraft beſeelter Thiere nicht beſitzen, deren ganzes Leben, ſeinem Plane nach, ſo einfach, gleich- foͤrmig und unthaͤtig gefuͤhret wird, daß ſie dazu bey wei- tem nicht einmal ſo vieler und vollkommner Nervenkraͤfte beduͤrfen, als einem enthaupteten beſeelten Thiere noch uͤbrig bleiben, und die ſogar ihr Leben faſt in gleicher Vollkom- menheit R r 5

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 633. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/657>, abgerufen am 22.11.2024.