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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
abgesonderten Kopf, oder irgend einen Theil, welchem in
der Bewegung alle übrige gewöhnlich nachzufolgen pflegen,
haben. §. 15. N. 2. Dieser Grund ist von der äußersten
Wichtigkeit. Bey allen Thieren, wovon niemand zwei-
felt, daß sie beseelt sind, ist ein beträchtliches, ausgebaue-
tes Gehirn anzutreffen, und in diesem Gehirne wohnet ih-
re Seele. §. 10. Alles, was wir an ihnen beobachten,
bestätiget diesen Sitz der Seele in der geheimnißvollen thie-
rischen Maschine des Gehirns; nichts widerspricht ihm,
nichts machet ihn auch nur zweifelhaft. Aber dieser un-
streitige Wohnplatz der Seele ist nicht ein Antheil aller
Thiere, gehöret nicht wesentlich zur thierischen Natur; wird
bey den Thieren nicht gesunden, bey welchen die Weltwei-
sen, ohne diesen Mangel zu wissen, von je her Zweifel ge-
äußert haben, ob sie denken und empfinden, und deren
künstliche Handlungen sich nicht von denen unterscheiden,
die durch bloße Nervenkräfte sinnlicher Eindrücke bewerk-
stelliget werden können, und die sogar die unstreitig beseel-
ten Thiere insgesammt, ja sogar in eben der Ordnung,
in eben dem Zusammenhange, wie vor der Entseelung, auch
nach der völligen Entseelung, durch eben dieselben sinnli-
chen Eindrücke in die Nerven bewerkstelligen, die sie zuvor
empfanden, oder die zuvor von Vorstellungen gemachet
wurden. Schon ein einziges Thier, das uns einen solchen
Erfolg zeigete, wäre hinlänglich, den Satz über den Hau-
fen zu stoßen, daß ein jedes thierisches Leben nothwendig
eine Vorstellungskraft, eine Seele, ein Gehirn zu seiner
Fortdauer erfodere. Aber ihrer sind in der Natur Millio-
nen. Es sind die zahlreichsten Gattungen von Thieren,
die auch nicht eine Spur oder Aehnlichkeit eines Gehirns
besitzen. Die ganze Schöpfung ist davon erfüllet. Jeder
Wassertropfen wimmelt von ihnen. §. 15. N. 2. Alle ih-
re Handlungen können, sogar bey beseelten, bloße Nerven-
wirkungen seyn: die Anlage ihrer Körper ist so gemachet,
daß sie es ohne alle Mitwirkung einer Vorstellungskraft
bey ihnen seyn können: denn das Gehirn ist ihnen entzo-

gen.

III Th. Natur der Thiere im Ganzen.
abgeſonderten Kopf, oder irgend einen Theil, welchem in
der Bewegung alle uͤbrige gewoͤhnlich nachzufolgen pflegen,
haben. §. 15. N. 2. Dieſer Grund iſt von der aͤußerſten
Wichtigkeit. Bey allen Thieren, wovon niemand zwei-
felt, daß ſie beſeelt ſind, iſt ein betraͤchtliches, ausgebaue-
tes Gehirn anzutreffen, und in dieſem Gehirne wohnet ih-
re Seele. §. 10. Alles, was wir an ihnen beobachten,
beſtaͤtiget dieſen Sitz der Seele in der geheimnißvollen thie-
riſchen Maſchine des Gehirns; nichts widerſpricht ihm,
nichts machet ihn auch nur zweifelhaft. Aber dieſer un-
ſtreitige Wohnplatz der Seele iſt nicht ein Antheil aller
Thiere, gehoͤret nicht weſentlich zur thieriſchen Natur; wird
bey den Thieren nicht geſunden, bey welchen die Weltwei-
ſen, ohne dieſen Mangel zu wiſſen, von je her Zweifel ge-
aͤußert haben, ob ſie denken und empfinden, und deren
kuͤnſtliche Handlungen ſich nicht von denen unterſcheiden,
die durch bloße Nervenkraͤfte ſinnlicher Eindruͤcke bewerk-
ſtelliget werden koͤnnen, und die ſogar die unſtreitig beſeel-
ten Thiere insgeſammt, ja ſogar in eben der Ordnung,
in eben dem Zuſammenhange, wie vor der Entſeelung, auch
nach der voͤlligen Entſeelung, durch eben dieſelben ſinnli-
chen Eindruͤcke in die Nerven bewerkſtelligen, die ſie zuvor
empfanden, oder die zuvor von Vorſtellungen gemachet
wurden. Schon ein einziges Thier, das uns einen ſolchen
Erfolg zeigete, waͤre hinlaͤnglich, den Satz uͤber den Hau-
fen zu ſtoßen, daß ein jedes thieriſches Leben nothwendig
eine Vorſtellungskraft, eine Seele, ein Gehirn zu ſeiner
Fortdauer erfodere. Aber ihrer ſind in der Natur Millio-
nen. Es ſind die zahlreichſten Gattungen von Thieren,
die auch nicht eine Spur oder Aehnlichkeit eines Gehirns
beſitzen. Die ganze Schoͤpfung iſt davon erfuͤllet. Jeder
Waſſertropfen wimmelt von ihnen. §. 15. N. 2. Alle ih-
re Handlungen koͤnnen, ſogar bey beſeelten, bloße Nerven-
wirkungen ſeyn: die Anlage ihrer Koͤrper iſt ſo gemachet,
daß ſie es ohne alle Mitwirkung einer Vorſtellungskraft
bey ihnen ſeyn koͤnnen: denn das Gehirn iſt ihnen entzo-

gen.
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[628/0652] III Th. Natur der Thiere im Ganzen. abgeſonderten Kopf, oder irgend einen Theil, welchem in der Bewegung alle uͤbrige gewoͤhnlich nachzufolgen pflegen, haben. §. 15. N. 2. Dieſer Grund iſt von der aͤußerſten Wichtigkeit. Bey allen Thieren, wovon niemand zwei- felt, daß ſie beſeelt ſind, iſt ein betraͤchtliches, ausgebaue- tes Gehirn anzutreffen, und in dieſem Gehirne wohnet ih- re Seele. §. 10. Alles, was wir an ihnen beobachten, beſtaͤtiget dieſen Sitz der Seele in der geheimnißvollen thie- riſchen Maſchine des Gehirns; nichts widerſpricht ihm, nichts machet ihn auch nur zweifelhaft. Aber dieſer un- ſtreitige Wohnplatz der Seele iſt nicht ein Antheil aller Thiere, gehoͤret nicht weſentlich zur thieriſchen Natur; wird bey den Thieren nicht geſunden, bey welchen die Weltwei- ſen, ohne dieſen Mangel zu wiſſen, von je her Zweifel ge- aͤußert haben, ob ſie denken und empfinden, und deren kuͤnſtliche Handlungen ſich nicht von denen unterſcheiden, die durch bloße Nervenkraͤfte ſinnlicher Eindruͤcke bewerk- ſtelliget werden koͤnnen, und die ſogar die unſtreitig beſeel- ten Thiere insgeſammt, ja ſogar in eben der Ordnung, in eben dem Zuſammenhange, wie vor der Entſeelung, auch nach der voͤlligen Entſeelung, durch eben dieſelben ſinnli- chen Eindruͤcke in die Nerven bewerkſtelligen, die ſie zuvor empfanden, oder die zuvor von Vorſtellungen gemachet wurden. Schon ein einziges Thier, das uns einen ſolchen Erfolg zeigete, waͤre hinlaͤnglich, den Satz uͤber den Hau- fen zu ſtoßen, daß ein jedes thieriſches Leben nothwendig eine Vorſtellungskraft, eine Seele, ein Gehirn zu ſeiner Fortdauer erfodere. Aber ihrer ſind in der Natur Millio- nen. Es ſind die zahlreichſten Gattungen von Thieren, die auch nicht eine Spur oder Aehnlichkeit eines Gehirns beſitzen. Die ganze Schoͤpfung iſt davon erfuͤllet. Jeder Waſſertropfen wimmelt von ihnen. §. 15. N. 2. Alle ih- re Handlungen koͤnnen, ſogar bey beſeelten, bloße Nerven- wirkungen ſeyn: die Anlage ihrer Koͤrper iſt ſo gemachet, daß ſie es ohne alle Mitwirkung einer Vorſtellungskraft bey ihnen ſeyn koͤnnen: denn das Gehirn iſt ihnen entzo- gen.

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/652>, abgerufen am 23.11.2024.