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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771.

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der sinnlichen Begehrungskräfte.
stand versetzet, als ob wir die Erscheinung wirklich gehabt
hätten, u. a.

3. Daß, nach §. 258. in allen Trieben und Leiden-
schaften, so, wie in allen Begierden und Verabscheuun-
gen, die Lebensbewegungen verändert werden, ist ebenfalls
eine ganz allgemeine und unstreitige Erfahrung. Der
Zorn, die Freude, die Traurigkeit, die Wollust, der Schreck,
und kurz, alle Triebe und Leidenschaften verändern ganz
augenscheinlich die Bewegung des Herzens, den Puls, den
Umlauf des Geblüts und das Athemholen, und diese Ver-
änderung ist desto merklicher und größer, je stärker die
Triebe und Leidenschaften wirken. Bald erheben sie sich zu
einer Heftigkeit, welche die Kräfte der Natur zu übertref-
fen scheint, bald scheinen sie zu ersterben, oder sie werden
unterbrochen und gerathen in die größte Unordnung.

4. Daß aber diese Veränderung der Lebensbewegun-
gen und alle Seelenwirkungen der Triebe und Leidenschaf-
ten durch die Nerven in der thierischen Oeconomie, nach
§. 259. in den angenehmen der Natur und Gesundheit ge-
mäß, in den unangenehmen aber widernatürlich sind, er-
hellet überhaupt aus der Gesundheit der angenehmen, und
Schädlichkeit der unangenehmen Triebe und Leidenschaften,
da nach jedermanns Erfahrung die Freude, Frölichkeit,
Hoffnung, die freundschaftliche Liebe, die Zufriedenheit u.
s. w. der Gesundheit vortheilhaft, hingegen Schrecken,
Furcht, Angst, Zorn, Rachgier, Neid, Haß, ihr nach-
theilig sind. H. P. §. 565. Weil aber die Triebe und Lei-
denschaften, ob sie gleich angenehm sind, dennoch durch ih-
re Heftigkeit der Gesundheit leicht schädlich werden, §. 259.
so erhellet diese Verschiedenheit beyder Arten insbesondre
am deutlichsten aus den vortheilhaften Einflüssen in die
Gesundheit und ins Alter, welche eine Gemüthsverfassung
hat, worinn stets sanftere Begierden, die keine ungestü-
men Seelenwirkungen verrichten, herrschen, dahingegen
ein Zustand anhaltender, obgleich nicht heftiger Verab-
scheuungen, als Leid, Gram, Sorge, Eifersucht, Haß,

Neid,

der ſinnlichen Begehrungskraͤfte.
ſtand verſetzet, als ob wir die Erſcheinung wirklich gehabt
haͤtten, u. a.

3. Daß, nach §. 258. in allen Trieben und Leiden-
ſchaften, ſo, wie in allen Begierden und Verabſcheuun-
gen, die Lebensbewegungen veraͤndert werden, iſt ebenfalls
eine ganz allgemeine und unſtreitige Erfahrung. Der
Zorn, die Freude, die Traurigkeit, die Wolluſt, der Schreck,
und kurz, alle Triebe und Leidenſchaften veraͤndern ganz
augenſcheinlich die Bewegung des Herzens, den Puls, den
Umlauf des Gebluͤts und das Athemholen, und dieſe Ver-
aͤnderung iſt deſto merklicher und groͤßer, je ſtaͤrker die
Triebe und Leidenſchaften wirken. Bald erheben ſie ſich zu
einer Heftigkeit, welche die Kraͤfte der Natur zu uͤbertref-
fen ſcheint, bald ſcheinen ſie zu erſterben, oder ſie werden
unterbrochen und gerathen in die groͤßte Unordnung.

4. Daß aber dieſe Veraͤnderung der Lebensbewegun-
gen und alle Seelenwirkungen der Triebe und Leidenſchaf-
ten durch die Nerven in der thieriſchen Oeconomie, nach
§. 259. in den angenehmen der Natur und Geſundheit ge-
maͤß, in den unangenehmen aber widernatuͤrlich ſind, er-
hellet uͤberhaupt aus der Geſundheit der angenehmen, und
Schaͤdlichkeit der unangenehmen Triebe und Leidenſchaften,
da nach jedermanns Erfahrung die Freude, Froͤlichkeit,
Hoffnung, die freundſchaftliche Liebe, die Zufriedenheit u.
ſ. w. der Geſundheit vortheilhaft, hingegen Schrecken,
Furcht, Angſt, Zorn, Rachgier, Neid, Haß, ihr nach-
theilig ſind. H. P. §. 565. Weil aber die Triebe und Lei-
denſchaften, ob ſie gleich angenehm ſind, dennoch durch ih-
re Heftigkeit der Geſundheit leicht ſchaͤdlich werden, §. 259.
ſo erhellet dieſe Verſchiedenheit beyder Arten insbeſondre
am deutlichſten aus den vortheilhaften Einfluͤſſen in die
Geſundheit und ins Alter, welche eine Gemuͤthsverfaſſung
hat, worinn ſtets ſanftere Begierden, die keine ungeſtuͤ-
men Seelenwirkungen verrichten, herrſchen, dahingegen
ein Zuſtand anhaltender, obgleich nicht heftiger Verab-
ſcheuungen, als Leid, Gram, Sorge, Eiferſucht, Haß,

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[239/0263] der ſinnlichen Begehrungskraͤfte. ſtand verſetzet, als ob wir die Erſcheinung wirklich gehabt haͤtten, u. a. 3. Daß, nach §. 258. in allen Trieben und Leiden- ſchaften, ſo, wie in allen Begierden und Verabſcheuun- gen, die Lebensbewegungen veraͤndert werden, iſt ebenfalls eine ganz allgemeine und unſtreitige Erfahrung. Der Zorn, die Freude, die Traurigkeit, die Wolluſt, der Schreck, und kurz, alle Triebe und Leidenſchaften veraͤndern ganz augenſcheinlich die Bewegung des Herzens, den Puls, den Umlauf des Gebluͤts und das Athemholen, und dieſe Ver- aͤnderung iſt deſto merklicher und groͤßer, je ſtaͤrker die Triebe und Leidenſchaften wirken. Bald erheben ſie ſich zu einer Heftigkeit, welche die Kraͤfte der Natur zu uͤbertref- fen ſcheint, bald ſcheinen ſie zu erſterben, oder ſie werden unterbrochen und gerathen in die groͤßte Unordnung. 4. Daß aber dieſe Veraͤnderung der Lebensbewegun- gen und alle Seelenwirkungen der Triebe und Leidenſchaf- ten durch die Nerven in der thieriſchen Oeconomie, nach §. 259. in den angenehmen der Natur und Geſundheit ge- maͤß, in den unangenehmen aber widernatuͤrlich ſind, er- hellet uͤberhaupt aus der Geſundheit der angenehmen, und Schaͤdlichkeit der unangenehmen Triebe und Leidenſchaften, da nach jedermanns Erfahrung die Freude, Froͤlichkeit, Hoffnung, die freundſchaftliche Liebe, die Zufriedenheit u. ſ. w. der Geſundheit vortheilhaft, hingegen Schrecken, Furcht, Angſt, Zorn, Rachgier, Neid, Haß, ihr nach- theilig ſind. H. P. §. 565. Weil aber die Triebe und Lei- denſchaften, ob ſie gleich angenehm ſind, dennoch durch ih- re Heftigkeit der Geſundheit leicht ſchaͤdlich werden, §. 259. ſo erhellet dieſe Verſchiedenheit beyder Arten insbeſondre am deutlichſten aus den vortheilhaften Einfluͤſſen in die Geſundheit und ins Alter, welche eine Gemuͤthsverfaſſung hat, worinn ſtets ſanftere Begierden, die keine ungeſtuͤ- men Seelenwirkungen verrichten, herrſchen, dahingegen ein Zuſtand anhaltender, obgleich nicht heftiger Verab- ſcheuungen, als Leid, Gram, Sorge, Eiferſucht, Haß, Neid,

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Zitationshilfe: Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/263>, abgerufen am 18.06.2024.