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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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erobern, den Glauben und die Liebe, dann würde ich auch von Neuem Bilder malen können, wie ich sie damals malte.

Mit der Erkenntniß, sagte der Greis, geht die Unschuld verloren. Wir müssen uns entschließen, entweder vollendete, den Forderungen der Schönheit, des Geistes entsprechende Werke zu schaffen, oder in jenes Alter der fast noch kindischen Kunst zurückzukehren, wo diese Unschuld eine natürliche, durch die Einsamkeit der Künstler bedingte, durch Entfernung aller Bildungsmittel hervorgerufen war. Bei uns würde diese Unschuld nur eine erkünstelte und erzwungene sein.

Dies bestreite ich! rief Scholastika. Könnte ich Ihnen, mein Vater, einige jener Bilder zeigen, die unsere Nonnen malen, Sie würden mit nur geringer Nachhülfe weltlicher Kunst in ihnen die schönen Zeugnisse der noch vorhandenen Möglichkeit sehen, auch in unserer Zeit christliche Bilder zu schaffen. Jene Kindlichkeit und Seeleninnigkeit ist unumgänglich zur Darstellung unserer christlichen Glaubensgestalten nothwendig, und ein Grad von Ascetik und Weltentfremdung ist ebenfalls Bedingniß. Mit dem Schatze gelehrten Wissens beladen, mit den Bekenntnissen der Bekenner sowie der Zweifler zugleich vertraut, ausgerüstet mit den Waffen geistvollen Spottes und mit dem Bewußtsein der durch Jahrhunderte fortgebauten Skepsis -- wie wollen Sie, daß ein Künstler heutzutage, in der Welt und mit der Welt lebend, jene süßen Urkunden der Demuth und Gottesliebe, wie sie

erobern, den Glauben und die Liebe, dann würde ich auch von Neuem Bilder malen können, wie ich sie damals malte.

Mit der Erkenntniß, sagte der Greis, geht die Unschuld verloren. Wir müssen uns entschließen, entweder vollendete, den Forderungen der Schönheit, des Geistes entsprechende Werke zu schaffen, oder in jenes Alter der fast noch kindischen Kunst zurückzukehren, wo diese Unschuld eine natürliche, durch die Einsamkeit der Künstler bedingte, durch Entfernung aller Bildungsmittel hervorgerufen war. Bei uns würde diese Unschuld nur eine erkünstelte und erzwungene sein.

Dies bestreite ich! rief Scholastika. Könnte ich Ihnen, mein Vater, einige jener Bilder zeigen, die unsere Nonnen malen, Sie würden mit nur geringer Nachhülfe weltlicher Kunst in ihnen die schönen Zeugnisse der noch vorhandenen Möglichkeit sehen, auch in unserer Zeit christliche Bilder zu schaffen. Jene Kindlichkeit und Seeleninnigkeit ist unumgänglich zur Darstellung unserer christlichen Glaubensgestalten nothwendig, und ein Grad von Ascetik und Weltentfremdung ist ebenfalls Bedingniß. Mit dem Schatze gelehrten Wissens beladen, mit den Bekenntnissen der Bekenner sowie der Zweifler zugleich vertraut, ausgerüstet mit den Waffen geistvollen Spottes und mit dem Bewußtsein der durch Jahrhunderte fortgebauten Skepsis — wie wollen Sie, daß ein Künstler heutzutage, in der Welt und mit der Welt lebend, jene süßen Urkunden der Demuth und Gottesliebe, wie sie

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/97>, abgerufen am 05.05.2024.