Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.O dieser Schmerz! seufzte die Erkrankte, dieses Wühlen im Kopfe! Diese Bangigkeit und dieses Beben im Herzen! Will denn diese Pein nie enden? -- Sie warf sich in die Polster des Lehnsessels zurück und schloß die Augen. Soll ich den Arzt rufen? Adele, theure Adele! rief Emil. Nein; doch gönnen Sie mir einige Minuten Ruhe, mein Freund. Die heftige Migräne, die mich befallen, wird durch Stille und Einsamkeit gehoben. Bleiben Sie hier, bald vielleicht bin ich wieder bei Ihnen. -- Sie entfernte sich, und Emil verweilte in trübem Nachdenken vor dem kleinen Bilde, das die malende Nonne darstellte. Das Leben der merkwürdigen Frau schien ihm jetzt von einer wundersamen Tiefe und Innigkeit, es ward vom Hineinströmen einer ungewöhnlichen Romantik ausgefüllt. Eine Nonne, verführt, dem Kloster entzogen, dann in Glanz und Fülle in der Welt lebend, und trotz dem, daß Liebe und Glück sie umgab, dennoch unglücklich, dennoch vom Stachel einer verborgenen Qual, eines unerklärlichen Leidens verwundet, diese wundersame Erscheinung trat jetzt vor seine Seele, und noch mehr als sein feuriges Herz fühlte sich seine jugendliche Eitelkeit befriedigt durch den Gedanken, daß er dieser Frau angehören dürfe, daß sie ihn ihren Freund genannt, daß in ihrem Auge Zärtlichkeit und Mitgefühl für ihn geleuchtet hatten. Er blieb ein paar Stunden; als die Künstlerin nicht wieder erschien, entfernte er sich mit dem O dieser Schmerz! seufzte die Erkrankte, dieses Wühlen im Kopfe! Diese Bangigkeit und dieses Beben im Herzen! Will denn diese Pein nie enden? — Sie warf sich in die Polster des Lehnsessels zurück und schloß die Augen. Soll ich den Arzt rufen? Adele, theure Adele! rief Emil. Nein; doch gönnen Sie mir einige Minuten Ruhe, mein Freund. Die heftige Migräne, die mich befallen, wird durch Stille und Einsamkeit gehoben. Bleiben Sie hier, bald vielleicht bin ich wieder bei Ihnen. — Sie entfernte sich, und Emil verweilte in trübem Nachdenken vor dem kleinen Bilde, das die malende Nonne darstellte. Das Leben der merkwürdigen Frau schien ihm jetzt von einer wundersamen Tiefe und Innigkeit, es ward vom Hineinströmen einer ungewöhnlichen Romantik ausgefüllt. Eine Nonne, verführt, dem Kloster entzogen, dann in Glanz und Fülle in der Welt lebend, und trotz dem, daß Liebe und Glück sie umgab, dennoch unglücklich, dennoch vom Stachel einer verborgenen Qual, eines unerklärlichen Leidens verwundet, diese wundersame Erscheinung trat jetzt vor seine Seele, und noch mehr als sein feuriges Herz fühlte sich seine jugendliche Eitelkeit befriedigt durch den Gedanken, daß er dieser Frau angehören dürfe, daß sie ihn ihren Freund genannt, daß in ihrem Auge Zärtlichkeit und Mitgefühl für ihn geleuchtet hatten. Er blieb ein paar Stunden; als die Künstlerin nicht wieder erschien, entfernte er sich mit dem <TEI> <text> <body> <div n="3"> <pb facs="#f0091"/> <p>O dieser Schmerz! seufzte die Erkrankte, dieses Wühlen im Kopfe! Diese Bangigkeit und dieses Beben im Herzen! Will denn diese Pein nie enden? — Sie warf sich in die Polster des Lehnsessels zurück und schloß die Augen.</p><lb/> <p>Soll ich den Arzt rufen? Adele, theure Adele! rief Emil.</p><lb/> <p>Nein; doch gönnen Sie mir einige Minuten Ruhe, mein Freund. Die heftige Migräne, die mich befallen, wird durch Stille und Einsamkeit gehoben. Bleiben Sie hier, bald vielleicht bin ich wieder bei Ihnen. — Sie entfernte sich, und Emil verweilte in trübem Nachdenken vor dem kleinen Bilde, das die malende Nonne darstellte. Das Leben der merkwürdigen Frau schien ihm jetzt von einer wundersamen Tiefe und Innigkeit, es ward vom Hineinströmen einer ungewöhnlichen Romantik ausgefüllt. Eine Nonne, verführt, dem Kloster entzogen, dann in Glanz und Fülle in der Welt lebend, und trotz dem, daß Liebe und Glück sie umgab, dennoch unglücklich, dennoch vom Stachel einer verborgenen Qual, eines unerklärlichen Leidens verwundet, diese wundersame Erscheinung trat jetzt vor seine Seele, und noch mehr als sein feuriges Herz fühlte sich seine jugendliche Eitelkeit befriedigt durch den Gedanken, daß er dieser Frau angehören dürfe, daß sie ihn ihren Freund genannt, daß in ihrem Auge Zärtlichkeit und Mitgefühl für ihn geleuchtet hatten. Er blieb ein paar Stunden; als die Künstlerin nicht wieder erschien, entfernte er sich mit dem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
O dieser Schmerz! seufzte die Erkrankte, dieses Wühlen im Kopfe! Diese Bangigkeit und dieses Beben im Herzen! Will denn diese Pein nie enden? — Sie warf sich in die Polster des Lehnsessels zurück und schloß die Augen.
Soll ich den Arzt rufen? Adele, theure Adele! rief Emil.
Nein; doch gönnen Sie mir einige Minuten Ruhe, mein Freund. Die heftige Migräne, die mich befallen, wird durch Stille und Einsamkeit gehoben. Bleiben Sie hier, bald vielleicht bin ich wieder bei Ihnen. — Sie entfernte sich, und Emil verweilte in trübem Nachdenken vor dem kleinen Bilde, das die malende Nonne darstellte. Das Leben der merkwürdigen Frau schien ihm jetzt von einer wundersamen Tiefe und Innigkeit, es ward vom Hineinströmen einer ungewöhnlichen Romantik ausgefüllt. Eine Nonne, verführt, dem Kloster entzogen, dann in Glanz und Fülle in der Welt lebend, und trotz dem, daß Liebe und Glück sie umgab, dennoch unglücklich, dennoch vom Stachel einer verborgenen Qual, eines unerklärlichen Leidens verwundet, diese wundersame Erscheinung trat jetzt vor seine Seele, und noch mehr als sein feuriges Herz fühlte sich seine jugendliche Eitelkeit befriedigt durch den Gedanken, daß er dieser Frau angehören dürfe, daß sie ihn ihren Freund genannt, daß in ihrem Auge Zärtlichkeit und Mitgefühl für ihn geleuchtet hatten. Er blieb ein paar Stunden; als die Künstlerin nicht wieder erschien, entfernte er sich mit dem
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/91>, abgerufen am 27.07.2024. |