Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einem Palmeneiland mit Quellengerausche. Mein Vater, so nannte ich den Trefflichen, Barmherzigen, den Guten, hatte aus den Stürmen der Revolution sein kleines Besitzthum gerettet; seine Frau und eine geliebte Tochter, die sich schon den Rang einer Künstlerin erworben hatte, waren ihm aber von dem Tode geraubt worden, er stand jetzt allein, und in den Pausen, wo die Kunst ihn nicht erwärmte, durfte meine Liebe es. Mein Arbeitsstübchen grenzte dicht an das seine. Es wirkten und strebten zwei einsame Wesen in gleichem Beruf, es arbeiteten sich zwei kleine Lichtgeister mit Mühe empor auf der Leiter der Geschöpfe, die in ewigem Aufwärtssteigen begriffen sind. Nur wenige Zoll, aber wir kamen doch vorwärts. Ich hatte einen schweren Weg. Meine Seele lag zerrissen und zertreten am Wege, sie mußte sich aufrichten und zugleich ihr Gewand, den Körper, neu in Regung und Gesundheit bringen. Wochen, ja Monde lang sah ich keinen Menschen, außer meinen Vater, ich mußte wieder mich mit dem Menschenantlitz aussöhnen, ich mußte wieder Glauben gewinnen, daß darauf auch edle Züge ihre Lichtspiele halten konnten, nicht bloß die dämonischen Schatten, die ich mit gräßlichem Entsetzen in der Zeit meiner Erniedrigung darauf hatte hingleiten sehen. Ach, ich glaubte an kein klares Auge mehr; ich hatte verlernt, auf die Süßigkeit eines unschuldvollen Lächelns meine Zuversicht zu setzen; alles das mußte ich mühsam wieder erobern. Ich that's, indem ich malte, und meine Bilder waren meine Welt. Mein ehrwürdiger Vater sah, was einem Palmeneiland mit Quellengerausche. Mein Vater, so nannte ich den Trefflichen, Barmherzigen, den Guten, hatte aus den Stürmen der Revolution sein kleines Besitzthum gerettet; seine Frau und eine geliebte Tochter, die sich schon den Rang einer Künstlerin erworben hatte, waren ihm aber von dem Tode geraubt worden, er stand jetzt allein, und in den Pausen, wo die Kunst ihn nicht erwärmte, durfte meine Liebe es. Mein Arbeitsstübchen grenzte dicht an das seine. Es wirkten und strebten zwei einsame Wesen in gleichem Beruf, es arbeiteten sich zwei kleine Lichtgeister mit Mühe empor auf der Leiter der Geschöpfe, die in ewigem Aufwärtssteigen begriffen sind. Nur wenige Zoll, aber wir kamen doch vorwärts. Ich hatte einen schweren Weg. Meine Seele lag zerrissen und zertreten am Wege, sie mußte sich aufrichten und zugleich ihr Gewand, den Körper, neu in Regung und Gesundheit bringen. Wochen, ja Monde lang sah ich keinen Menschen, außer meinen Vater, ich mußte wieder mich mit dem Menschenantlitz aussöhnen, ich mußte wieder Glauben gewinnen, daß darauf auch edle Züge ihre Lichtspiele halten konnten, nicht bloß die dämonischen Schatten, die ich mit gräßlichem Entsetzen in der Zeit meiner Erniedrigung darauf hatte hingleiten sehen. Ach, ich glaubte an kein klares Auge mehr; ich hatte verlernt, auf die Süßigkeit eines unschuldvollen Lächelns meine Zuversicht zu setzen; alles das mußte ich mühsam wieder erobern. Ich that's, indem ich malte, und meine Bilder waren meine Welt. Mein ehrwürdiger Vater sah, was <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0089"/> einem Palmeneiland mit Quellengerausche. Mein Vater, so nannte ich den Trefflichen, Barmherzigen, den Guten, hatte aus den Stürmen der Revolution sein kleines Besitzthum gerettet; seine Frau und eine geliebte Tochter, die sich schon den Rang einer Künstlerin erworben hatte, waren ihm aber von dem Tode geraubt worden, er stand jetzt allein, und in den Pausen, wo die Kunst ihn nicht erwärmte, durfte meine Liebe es. Mein Arbeitsstübchen grenzte dicht an das seine. Es wirkten und strebten zwei einsame Wesen in gleichem Beruf, es arbeiteten sich zwei kleine Lichtgeister mit Mühe empor auf der Leiter der Geschöpfe, die in ewigem Aufwärtssteigen begriffen sind. Nur wenige Zoll, aber wir kamen doch vorwärts. Ich hatte einen schweren Weg. Meine Seele lag zerrissen und zertreten am Wege, sie mußte sich aufrichten und zugleich ihr Gewand, den Körper, neu in Regung und Gesundheit bringen. Wochen, ja Monde lang sah ich keinen Menschen, außer meinen Vater, ich mußte wieder mich mit dem Menschenantlitz aussöhnen, ich mußte wieder Glauben gewinnen, daß darauf auch edle Züge ihre Lichtspiele halten konnten, nicht bloß die dämonischen Schatten, die ich mit gräßlichem Entsetzen in der Zeit meiner Erniedrigung darauf hatte hingleiten sehen. Ach, ich glaubte an kein klares Auge mehr; ich hatte verlernt, auf die Süßigkeit eines unschuldvollen Lächelns meine Zuversicht zu setzen; alles das mußte ich mühsam wieder erobern. Ich that's, indem ich malte, und meine Bilder waren meine Welt. Mein ehrwürdiger Vater sah, was<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0089]
einem Palmeneiland mit Quellengerausche. Mein Vater, so nannte ich den Trefflichen, Barmherzigen, den Guten, hatte aus den Stürmen der Revolution sein kleines Besitzthum gerettet; seine Frau und eine geliebte Tochter, die sich schon den Rang einer Künstlerin erworben hatte, waren ihm aber von dem Tode geraubt worden, er stand jetzt allein, und in den Pausen, wo die Kunst ihn nicht erwärmte, durfte meine Liebe es. Mein Arbeitsstübchen grenzte dicht an das seine. Es wirkten und strebten zwei einsame Wesen in gleichem Beruf, es arbeiteten sich zwei kleine Lichtgeister mit Mühe empor auf der Leiter der Geschöpfe, die in ewigem Aufwärtssteigen begriffen sind. Nur wenige Zoll, aber wir kamen doch vorwärts. Ich hatte einen schweren Weg. Meine Seele lag zerrissen und zertreten am Wege, sie mußte sich aufrichten und zugleich ihr Gewand, den Körper, neu in Regung und Gesundheit bringen. Wochen, ja Monde lang sah ich keinen Menschen, außer meinen Vater, ich mußte wieder mich mit dem Menschenantlitz aussöhnen, ich mußte wieder Glauben gewinnen, daß darauf auch edle Züge ihre Lichtspiele halten konnten, nicht bloß die dämonischen Schatten, die ich mit gräßlichem Entsetzen in der Zeit meiner Erniedrigung darauf hatte hingleiten sehen. Ach, ich glaubte an kein klares Auge mehr; ich hatte verlernt, auf die Süßigkeit eines unschuldvollen Lächelns meine Zuversicht zu setzen; alles das mußte ich mühsam wieder erobern. Ich that's, indem ich malte, und meine Bilder waren meine Welt. Mein ehrwürdiger Vater sah, was
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T12:43:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-16T12:43:38Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |