Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.indem sie niederwärts sahen, nahmen eine einschmeichelnde Sanftmuth, eine an Zärtlichkeit grenzende Weichheit an. Sind Sie da, lieber Emil, rief sie. Warum, wenn ich fragen darf, haben Sie sich die ganze Woche hindurch vergebens erwarten lassen? Was hat Sie von Ihrer Freundin fern gehalten? -- Meine theuere Adele, entgegnete der junge Mann, werden Sie's glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß es der Neid, die Eifersucht, nennen Sie's, wie Sie es wollen -- kurz, ein gehässiges Gefühl war, daß mich in diesen Tagen in meinem einsamen Zimmer zurückhielt. Ganz Paris strömte zu Ihnen, da wollte ich gerade nicht kommen. Sie vermißt dich nicht, rief eine Stimme in mir. Unter den Lobpsalmen, die ihr der Ruhm vorsingt und vorkreischt, ist ein Lobspruch, wie du ihr zollen kannst, ein kärglich Ding, das sich erst gar nicht aus der verschwiegenen Kammer der Brust hervorzustehlen braucht, um draußen von der Menge überhört oder verspottet zu werden. Also Sie sind auf das bischen Ruhm, das ich eingeerntet, eifersüchtig? sagte Adele. Ja, ich bin's; entgegnete er rasch. Adele setzte sich. Das Lächeln, mit dem sie ihren jungen Freund ansah, ging nach und nach in Ernst und Nachdenken über. Den Arm auf den Marmortisch gestützt, legte sie die schöngeformte Hand an die Stirne, und es war, als beschwichtigte sie die Geister vergangener Stunden, die sich zürnend regten. Ihr Busen hob sich, und ein Seufzer machte dem gepreßten Herzen Luft. indem sie niederwärts sahen, nahmen eine einschmeichelnde Sanftmuth, eine an Zärtlichkeit grenzende Weichheit an. Sind Sie da, lieber Emil, rief sie. Warum, wenn ich fragen darf, haben Sie sich die ganze Woche hindurch vergebens erwarten lassen? Was hat Sie von Ihrer Freundin fern gehalten? — Meine theuere Adele, entgegnete der junge Mann, werden Sie's glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß es der Neid, die Eifersucht, nennen Sie's, wie Sie es wollen — kurz, ein gehässiges Gefühl war, daß mich in diesen Tagen in meinem einsamen Zimmer zurückhielt. Ganz Paris strömte zu Ihnen, da wollte ich gerade nicht kommen. Sie vermißt dich nicht, rief eine Stimme in mir. Unter den Lobpsalmen, die ihr der Ruhm vorsingt und vorkreischt, ist ein Lobspruch, wie du ihr zollen kannst, ein kärglich Ding, das sich erst gar nicht aus der verschwiegenen Kammer der Brust hervorzustehlen braucht, um draußen von der Menge überhört oder verspottet zu werden. Also Sie sind auf das bischen Ruhm, das ich eingeerntet, eifersüchtig? sagte Adele. Ja, ich bin's; entgegnete er rasch. Adele setzte sich. Das Lächeln, mit dem sie ihren jungen Freund ansah, ging nach und nach in Ernst und Nachdenken über. Den Arm auf den Marmortisch gestützt, legte sie die schöngeformte Hand an die Stirne, und es war, als beschwichtigte sie die Geister vergangener Stunden, die sich zürnend regten. Ihr Busen hob sich, und ein Seufzer machte dem gepreßten Herzen Luft. <TEI> <text> <body> <div n="3"> <p><pb facs="#f0082"/> indem sie niederwärts sahen, nahmen eine einschmeichelnde Sanftmuth, eine an Zärtlichkeit grenzende Weichheit an. Sind Sie da, lieber Emil, rief sie. Warum, wenn ich fragen darf, haben Sie sich die ganze Woche hindurch vergebens erwarten lassen? Was hat Sie von Ihrer Freundin fern gehalten? — Meine theuere Adele, entgegnete der junge Mann, werden Sie's glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß es der Neid, die Eifersucht, nennen Sie's, wie Sie es wollen — kurz, ein gehässiges Gefühl war, daß mich in diesen Tagen in meinem einsamen Zimmer zurückhielt. Ganz Paris strömte zu Ihnen, da wollte ich gerade nicht kommen. Sie vermißt dich nicht, rief eine Stimme in mir. Unter den Lobpsalmen, die ihr der Ruhm vorsingt und vorkreischt, ist ein Lobspruch, wie du ihr zollen kannst, ein kärglich Ding, das sich erst gar nicht aus der verschwiegenen Kammer der Brust hervorzustehlen braucht, um draußen von der Menge überhört oder verspottet zu werden.</p><lb/> <p>Also Sie sind auf das bischen Ruhm, das ich eingeerntet, eifersüchtig? sagte Adele.</p><lb/> <p>Ja, ich bin's; entgegnete er rasch.</p><lb/> <p>Adele setzte sich. Das Lächeln, mit dem sie ihren jungen Freund ansah, ging nach und nach in Ernst und Nachdenken über. Den Arm auf den Marmortisch gestützt, legte sie die schöngeformte Hand an die Stirne, und es war, als beschwichtigte sie die Geister vergangener Stunden, die sich zürnend regten. Ihr Busen hob sich, und ein Seufzer machte dem gepreßten Herzen Luft.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
indem sie niederwärts sahen, nahmen eine einschmeichelnde Sanftmuth, eine an Zärtlichkeit grenzende Weichheit an. Sind Sie da, lieber Emil, rief sie. Warum, wenn ich fragen darf, haben Sie sich die ganze Woche hindurch vergebens erwarten lassen? Was hat Sie von Ihrer Freundin fern gehalten? — Meine theuere Adele, entgegnete der junge Mann, werden Sie's glauben, wenn ich Ihnen versichere, daß es der Neid, die Eifersucht, nennen Sie's, wie Sie es wollen — kurz, ein gehässiges Gefühl war, daß mich in diesen Tagen in meinem einsamen Zimmer zurückhielt. Ganz Paris strömte zu Ihnen, da wollte ich gerade nicht kommen. Sie vermißt dich nicht, rief eine Stimme in mir. Unter den Lobpsalmen, die ihr der Ruhm vorsingt und vorkreischt, ist ein Lobspruch, wie du ihr zollen kannst, ein kärglich Ding, das sich erst gar nicht aus der verschwiegenen Kammer der Brust hervorzustehlen braucht, um draußen von der Menge überhört oder verspottet zu werden.
Also Sie sind auf das bischen Ruhm, das ich eingeerntet, eifersüchtig? sagte Adele.
Ja, ich bin's; entgegnete er rasch.
Adele setzte sich. Das Lächeln, mit dem sie ihren jungen Freund ansah, ging nach und nach in Ernst und Nachdenken über. Den Arm auf den Marmortisch gestützt, legte sie die schöngeformte Hand an die Stirne, und es war, als beschwichtigte sie die Geister vergangener Stunden, die sich zürnend regten. Ihr Busen hob sich, und ein Seufzer machte dem gepreßten Herzen Luft.
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Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/82>, abgerufen am 27.07.2024. |