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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Putzmacherin dir gebracht hat, sei, wozu du geschaffen wurdest, eine hübsche, junge Frau, voll Phantasie, Geist und Leben, und laß uns in die Welt hinausziehen, in eine Welt, die dich fortan bewundern und lieben soll!

Amen! sagte Gregor und neigte in verstellter Demuth und spöttisch lächelnd das Haupt. Dimitri schloß seine Braut mit stürmischer Zärtlichkeit in die Arme.

Wir übergehen einen Zeitraum von zehn Jahren und führen den Leser nach Paris in die Straße Vivienne vor ein elegantes Hotel. Es ist elf Uhr Morgens; ein junger Mann, den sein Aeußeres als Künstler bezeichnet, tritt eben in die Portierloge und fragt, ob Madame Dorval zu sprechen. Sie ist ausgefahren, mein Herr, und noch nicht heimgekehrt, giebt der Gefragte zur Antwort; allein sie hat den Befehl zurückgelassen, daß man Sie ins Atelier einlasse; wollen Sie mir daher folgen. Der junge Mann empfängt diese Weisung mit sichtlichem Vergnügen. Während er die breite Stiege hinaufsteigt, ordnet er die Locken seines üppig blonden Haares und betrachtet mit Wohlgefallen die Umgebungen der Treppe und des Vorsaales, wie es Einer thun mag, dem Nichts gering und unbedeutend erscheint, was den Raum einschließt, den ein geliebtes Wesen bewohnt. Eine hohe, eichene Thür zu einem großen, lichthellen Saale wird geöffnet, und der Eintretende sieht sich in dem Heilig-

Putzmacherin dir gebracht hat, sei, wozu du geschaffen wurdest, eine hübsche, junge Frau, voll Phantasie, Geist und Leben, und laß uns in die Welt hinausziehen, in eine Welt, die dich fortan bewundern und lieben soll!

Amen! sagte Gregor und neigte in verstellter Demuth und spöttisch lächelnd das Haupt. Dimitri schloß seine Braut mit stürmischer Zärtlichkeit in die Arme.

Wir übergehen einen Zeitraum von zehn Jahren und führen den Leser nach Paris in die Straße Vivienne vor ein elegantes Hotel. Es ist elf Uhr Morgens; ein junger Mann, den sein Aeußeres als Künstler bezeichnet, tritt eben in die Portierloge und fragt, ob Madame Dorval zu sprechen. Sie ist ausgefahren, mein Herr, und noch nicht heimgekehrt, giebt der Gefragte zur Antwort; allein sie hat den Befehl zurückgelassen, daß man Sie ins Atelier einlasse; wollen Sie mir daher folgen. Der junge Mann empfängt diese Weisung mit sichtlichem Vergnügen. Während er die breite Stiege hinaufsteigt, ordnet er die Locken seines üppig blonden Haares und betrachtet mit Wohlgefallen die Umgebungen der Treppe und des Vorsaales, wie es Einer thun mag, dem Nichts gering und unbedeutend erscheint, was den Raum einschließt, den ein geliebtes Wesen bewohnt. Eine hohe, eichene Thür zu einem großen, lichthellen Saale wird geöffnet, und der Eintretende sieht sich in dem Heilig-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/80>, abgerufen am 05.05.2024.