Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.die ihre Kinder tödteten, weil sie ihrer Verbindung mit dem Buhlen entgegen waren, Brüder, die durch heimlichen oder gleißnerischen Mord ihre Mitgebornen bei Seite schafften. O, und mit welcher Gier verschlangen sie ihre eignen Thaten! Prachtvolle Blumenvasen standen auf dem Tisch, doch jede Rose zeigte ein blasses Todtenantlitz, aus dem Kelche der Lilien starrten im Todeskampf gebrochene Augen, aus dem Grün der Blätter fuhren kleine zuckende Hände. Ich betrat einen andern Palast, da saßen die Selbstmörder beisammen. Alle Gifte der Erde waren vor ihnen aufgethürmt und in zierliche Schüsseln geordnet; sie verschlangen sie, wanden sich unter Todesqualen, starben und erwachten neu zum Leben, um wiederum das scheußliche Werk der Selbstvernichtung vorzunehmen. So war ihre Pein eine ewige. -- Ich betrat den Palast, wo die Unkeuschen für die kurzen Thorheiten ihres Erdenlebens büßten. Sie hingen mit gierigen Lippen an den Gegenständen ihrer Glut, und diese verwandelten sich während der feurigen Küsse in gräßliche Larven, in Todtenköpfe, in Thiergestalten, und die Lippen, die sich einmal ans Scheusal geschlossen, konnten nicht wieder fort. Endlich betrat ich den Saal, wo jene Unseligen versammelt waren, die gebrochene Schwüre abzubüßen hatten. Es waren Gestalten darunter, die das Mitleid in der Brust des Beschauers bis zur Folter anspannten, Gesichter, so thränenschwer, so gramgebeugt, so hoffnungsleer -- wie sie hienieden nicht zu erschauen. Unsere Trostlosigkeit ist ein rosiges die ihre Kinder tödteten, weil sie ihrer Verbindung mit dem Buhlen entgegen waren, Brüder, die durch heimlichen oder gleißnerischen Mord ihre Mitgebornen bei Seite schafften. O, und mit welcher Gier verschlangen sie ihre eignen Thaten! Prachtvolle Blumenvasen standen auf dem Tisch, doch jede Rose zeigte ein blasses Todtenantlitz, aus dem Kelche der Lilien starrten im Todeskampf gebrochene Augen, aus dem Grün der Blätter fuhren kleine zuckende Hände. Ich betrat einen andern Palast, da saßen die Selbstmörder beisammen. Alle Gifte der Erde waren vor ihnen aufgethürmt und in zierliche Schüsseln geordnet; sie verschlangen sie, wanden sich unter Todesqualen, starben und erwachten neu zum Leben, um wiederum das scheußliche Werk der Selbstvernichtung vorzunehmen. So war ihre Pein eine ewige. — Ich betrat den Palast, wo die Unkeuschen für die kurzen Thorheiten ihres Erdenlebens büßten. Sie hingen mit gierigen Lippen an den Gegenständen ihrer Glut, und diese verwandelten sich während der feurigen Küsse in gräßliche Larven, in Todtenköpfe, in Thiergestalten, und die Lippen, die sich einmal ans Scheusal geschlossen, konnten nicht wieder fort. Endlich betrat ich den Saal, wo jene Unseligen versammelt waren, die gebrochene Schwüre abzubüßen hatten. Es waren Gestalten darunter, die das Mitleid in der Brust des Beschauers bis zur Folter anspannten, Gesichter, so thränenschwer, so gramgebeugt, so hoffnungsleer — wie sie hienieden nicht zu erschauen. Unsere Trostlosigkeit ist ein rosiges <TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0072"/> die ihre Kinder tödteten, weil sie ihrer Verbindung mit dem Buhlen entgegen waren, Brüder, die durch heimlichen oder gleißnerischen Mord ihre Mitgebornen bei Seite schafften. O, und mit welcher Gier verschlangen sie ihre eignen Thaten! Prachtvolle Blumenvasen standen auf dem Tisch, doch jede Rose zeigte ein blasses Todtenantlitz, aus dem Kelche der Lilien starrten im Todeskampf gebrochene Augen, aus dem Grün der Blätter fuhren kleine zuckende Hände. Ich betrat einen andern Palast, da saßen die Selbstmörder beisammen. Alle Gifte der Erde waren vor ihnen aufgethürmt und in zierliche Schüsseln geordnet; sie verschlangen sie, wanden sich unter Todesqualen, starben und erwachten neu zum Leben, um wiederum das scheußliche Werk der Selbstvernichtung vorzunehmen. So war ihre Pein eine ewige. — Ich betrat den Palast, wo die Unkeuschen für die kurzen Thorheiten ihres Erdenlebens büßten. Sie hingen mit gierigen Lippen an den Gegenständen ihrer Glut, und diese verwandelten sich während der feurigen Küsse in gräßliche Larven, in Todtenköpfe, in Thiergestalten, und die Lippen, die sich einmal ans Scheusal geschlossen, konnten nicht wieder fort. Endlich betrat ich den Saal, wo jene Unseligen versammelt waren, die gebrochene Schwüre abzubüßen hatten. Es waren Gestalten darunter, die das Mitleid in der Brust des Beschauers bis zur Folter anspannten, Gesichter, so thränenschwer, so gramgebeugt, so hoffnungsleer — wie sie hienieden nicht zu erschauen. Unsere Trostlosigkeit ist ein rosiges<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
die ihre Kinder tödteten, weil sie ihrer Verbindung mit dem Buhlen entgegen waren, Brüder, die durch heimlichen oder gleißnerischen Mord ihre Mitgebornen bei Seite schafften. O, und mit welcher Gier verschlangen sie ihre eignen Thaten! Prachtvolle Blumenvasen standen auf dem Tisch, doch jede Rose zeigte ein blasses Todtenantlitz, aus dem Kelche der Lilien starrten im Todeskampf gebrochene Augen, aus dem Grün der Blätter fuhren kleine zuckende Hände. Ich betrat einen andern Palast, da saßen die Selbstmörder beisammen. Alle Gifte der Erde waren vor ihnen aufgethürmt und in zierliche Schüsseln geordnet; sie verschlangen sie, wanden sich unter Todesqualen, starben und erwachten neu zum Leben, um wiederum das scheußliche Werk der Selbstvernichtung vorzunehmen. So war ihre Pein eine ewige. — Ich betrat den Palast, wo die Unkeuschen für die kurzen Thorheiten ihres Erdenlebens büßten. Sie hingen mit gierigen Lippen an den Gegenständen ihrer Glut, und diese verwandelten sich während der feurigen Küsse in gräßliche Larven, in Todtenköpfe, in Thiergestalten, und die Lippen, die sich einmal ans Scheusal geschlossen, konnten nicht wieder fort. Endlich betrat ich den Saal, wo jene Unseligen versammelt waren, die gebrochene Schwüre abzubüßen hatten. Es waren Gestalten darunter, die das Mitleid in der Brust des Beschauers bis zur Folter anspannten, Gesichter, so thränenschwer, so gramgebeugt, so hoffnungsleer — wie sie hienieden nicht zu erschauen. Unsere Trostlosigkeit ist ein rosiges
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/72 |
Zitationshilfe: | Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/72>, abgerufen am 16.02.2025. |