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Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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um jene Worte zu verstehen. Ein jungfräulicher Busen voll sanfter, aufblühender Rosen in milchweißem Lichte, voll Lilien in rosigem Schimmer, ein Busen, durch den ein weicher, warmer Flügelschlag der Gottheit Kühlung weht, in einem solchen Busen sind jene Worte so schlecht gebettet, wie der harte, kleine, runde Ball des Knaben in einem Spinnengewebe. Die sanften Fäden zerreißen, sie lassen den Eindringling schnell durch, und die Spinne geht daran, ihren zarten Flor von Neuem zu weben. So ersetzte und erneute Scholastika's Seele rasch und eifrig die Schleierhüllen ihres jungfräulichen Geistes, nachdem ein solcher Wurf sie momentan beschädigt hatte. Aber Dimitri warf nicht immer so epigrammatische Aphorismen, solche sibyllinischen Welterfahrungssätze hin, er sprach oft mit jenem schönen Enthusiasmus, der erwärmt und mit sich fortreißt, von dem, was er auf seinen Reisen erschaut. Mit stürmender Hand riß er die goldnen Thore der Welt vor den Blicken des keusch und einsam erzogenen Mädchens auf und ergötzte sich an dem blendenden Lichtglanz, der über Haupt und Schultern der froh Erschreckten fiel. Er ließ den Schimmer und das Geräusch großer Städte vor ihr erstehen, Triumphbogen baute er auf, wölbte kühne Brücken, hob den granitnen Schaft köstlicher Säulen hoch in die Lüfte. Dann wieder, wenn der Tumult der Städte sie betäubte, öffnete er ihren Blicken ein stilles Schweizerthal und ließ sie den Gipfel der Alpen in der Glut der Morgensonne sehen. Ueber die brausenden Wellen des sturmgepeitsch-

um jene Worte zu verstehen. Ein jungfräulicher Busen voll sanfter, aufblühender Rosen in milchweißem Lichte, voll Lilien in rosigem Schimmer, ein Busen, durch den ein weicher, warmer Flügelschlag der Gottheit Kühlung weht, in einem solchen Busen sind jene Worte so schlecht gebettet, wie der harte, kleine, runde Ball des Knaben in einem Spinnengewebe. Die sanften Fäden zerreißen, sie lassen den Eindringling schnell durch, und die Spinne geht daran, ihren zarten Flor von Neuem zu weben. So ersetzte und erneute Scholastika's Seele rasch und eifrig die Schleierhüllen ihres jungfräulichen Geistes, nachdem ein solcher Wurf sie momentan beschädigt hatte. Aber Dimitri warf nicht immer so epigrammatische Aphorismen, solche sibyllinischen Welterfahrungssätze hin, er sprach oft mit jenem schönen Enthusiasmus, der erwärmt und mit sich fortreißt, von dem, was er auf seinen Reisen erschaut. Mit stürmender Hand riß er die goldnen Thore der Welt vor den Blicken des keusch und einsam erzogenen Mädchens auf und ergötzte sich an dem blendenden Lichtglanz, der über Haupt und Schultern der froh Erschreckten fiel. Er ließ den Schimmer und das Geräusch großer Städte vor ihr erstehen, Triumphbogen baute er auf, wölbte kühne Brücken, hob den granitnen Schaft köstlicher Säulen hoch in die Lüfte. Dann wieder, wenn der Tumult der Städte sie betäubte, öffnete er ihren Blicken ein stilles Schweizerthal und ließ sie den Gipfel der Alpen in der Glut der Morgensonne sehen. Ueber die brausenden Wellen des sturmgepeitsch-

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[0058] um jene Worte zu verstehen. Ein jungfräulicher Busen voll sanfter, aufblühender Rosen in milchweißem Lichte, voll Lilien in rosigem Schimmer, ein Busen, durch den ein weicher, warmer Flügelschlag der Gottheit Kühlung weht, in einem solchen Busen sind jene Worte so schlecht gebettet, wie der harte, kleine, runde Ball des Knaben in einem Spinnengewebe. Die sanften Fäden zerreißen, sie lassen den Eindringling schnell durch, und die Spinne geht daran, ihren zarten Flor von Neuem zu weben. So ersetzte und erneute Scholastika's Seele rasch und eifrig die Schleierhüllen ihres jungfräulichen Geistes, nachdem ein solcher Wurf sie momentan beschädigt hatte. Aber Dimitri warf nicht immer so epigrammatische Aphorismen, solche sibyllinischen Welterfahrungssätze hin, er sprach oft mit jenem schönen Enthusiasmus, der erwärmt und mit sich fortreißt, von dem, was er auf seinen Reisen erschaut. Mit stürmender Hand riß er die goldnen Thore der Welt vor den Blicken des keusch und einsam erzogenen Mädchens auf und ergötzte sich an dem blendenden Lichtglanz, der über Haupt und Schultern der froh Erschreckten fiel. Er ließ den Schimmer und das Geräusch großer Städte vor ihr erstehen, Triumphbogen baute er auf, wölbte kühne Brücken, hob den granitnen Schaft köstlicher Säulen hoch in die Lüfte. Dann wieder, wenn der Tumult der Städte sie betäubte, öffnete er ihren Blicken ein stilles Schweizerthal und ließ sie den Gipfel der Alpen in der Glut der Morgensonne sehen. Ueber die brausenden Wellen des sturmgepeitsch-

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T12:43:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T12:43:38Z)

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Zitationshilfe: Ungern-Sternberg, Alexander von: Scholastika. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–102. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ungern_scholastika_1910/58>, abgerufen am 05.05.2024.