Uhse, Erdmann: Wohl-informirter Poët. 2. Aufl. Leipzig, 1719.von den Generibus der Verse. Mehr Weitläufftigkeit ist hier nicht von nöthen, deß- Erster Satz. Nun, Schwester, du gehst hin,Und zwar in voller Blüthe, Drum starret mein Gemüthe, Es schwindet Geist und Sinn. Denn, wär' ich gleich von Eisen, Ein Löw' und Tieger-Thier, So muß ich dennoch dir Die Thränen-Pflicht erweisen, Diß eine kan ich nur, Und lehrt mich die Natur, Ach leyder! zu geschwinde, Jndem ich selbst empfinde, Was dir den Stoß gethan, Und zu der Grabes-Bahn Die Thüren aufgeschlossen. Hier wein't dein lieber Mann, Der dich nicht missen kan, Und deiner kaum genossen. O Schmertz, die Eltern weinen auch Gantz wider der Natur Gebrauch. Erster Gegen-Satz. Diß Leben ist gewißEin Rauch, der bald verrauchet, Was unsre Kehle hauchet, Wie bald verschwindet diß; Die Jungen und die Alten Bedecket eine Grufft, Wo sie speißt eine Lufft, Die Runtzeln und die Falten Der E 3
von den Generibus der Verſe. Mehr Weitlaͤufftigkeit iſt hier nicht von noͤthen, deß- Erſter Satz. Nun, Schweſter, du gehſt hin,Und zwar in voller Bluͤthe, Drum ſtarret mein Gemuͤthe, Es ſchwindet Geiſt und Sinn. Denn, waͤr’ ich gleich von Eiſen, Ein Loͤw’ und Tieger-Thier, So muß ich dennoch dir Die Thraͤnen-Pflicht erweiſen, Diß eine kan ich nur, Und lehrt mich die Natur, Ach leyder! zu geſchwinde, Jndem ich ſelbſt empfinde, Was dir den Stoß gethan, Und zu der Grabes-Bahn Die Thuͤren aufgeſchloſſen. Hier wein’t dein lieber Mann, Der dich nicht miſſen kan, Und deiner kaum genoſſen. O Schmertz, die Eltern weinen auch Gantz wider der Natur Gebrauch. Erſter Gegen-Satz. Diß Leben iſt gewißEin Rauch, der bald verrauchet, Was unſre Kehle hauchet, Wie bald verſchwindet diß; Die Jungen und die Alten Bedecket eine Grufft, Wo ſie ſpeißt eine Lufft, Die Runtzeln und die Falten Der E 3
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0071" n="67"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">von den <hi rendition="#aq">Generibus</hi> der Verſe.</hi> </fw><lb/> <p>Mehr Weitlaͤufftigkeit iſt hier nicht von noͤthen, deß-<lb/> halben wollen wir nur eine eintzige Pindariſche Ode<lb/> zur Probe mit nehmen. Es beklaget nemlich ein<lb/> Bruder das Abſterben ſeiner geliebteſten Schwe-<lb/> ſter.</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <head> <hi rendition="#fr">Erſter Satz.</hi> </head><lb/> <l>Nun, Schweſter, du gehſt hin,</l><lb/> <l>Und zwar in voller Bluͤthe,</l><lb/> <l>Drum ſtarret mein Gemuͤthe,</l><lb/> <l>Es ſchwindet Geiſt und Sinn.</l><lb/> <l>Denn, waͤr’ ich gleich von Eiſen,</l><lb/> <l>Ein Loͤw’ und Tieger-Thier,</l><lb/> <l>So muß ich dennoch dir</l><lb/> <l>Die Thraͤnen-Pflicht erweiſen,</l><lb/> <l>Diß eine kan ich nur,</l><lb/> <l>Und lehrt mich die Natur,</l><lb/> <l>Ach leyder! zu geſchwinde,</l><lb/> <l>Jndem ich ſelbſt empfinde,</l><lb/> <l>Was dir den Stoß gethan,</l><lb/> <l>Und zu der Grabes-Bahn</l><lb/> <l>Die Thuͤren aufgeſchloſſen.</l><lb/> <l>Hier wein’t dein lieber Mann,</l><lb/> <l>Der dich nicht miſſen kan,</l><lb/> <l>Und deiner kaum genoſſen.</l><lb/> <l>O Schmertz, die Eltern weinen auch</l><lb/> <l>Gantz wider der Natur Gebrauch.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <head> <hi rendition="#fr">Erſter Gegen-Satz.</hi> </head><lb/> <l>Diß Leben iſt gewiß</l><lb/> <l>Ein Rauch, der bald verrauchet,</l><lb/> <l>Was unſre Kehle hauchet,</l><lb/> <l>Wie bald verſchwindet diß;</l><lb/> <l>Die Jungen und die Alten</l><lb/> <l>Bedecket eine Grufft,</l><lb/> <l>Wo ſie ſpeißt eine Lufft,</l><lb/> <l>Die Runtzeln und die Falten</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig">E 3</fw> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [67/0071]
von den Generibus der Verſe.
Mehr Weitlaͤufftigkeit iſt hier nicht von noͤthen, deß-
halben wollen wir nur eine eintzige Pindariſche Ode
zur Probe mit nehmen. Es beklaget nemlich ein
Bruder das Abſterben ſeiner geliebteſten Schwe-
ſter.
Erſter Satz.
Nun, Schweſter, du gehſt hin,
Und zwar in voller Bluͤthe,
Drum ſtarret mein Gemuͤthe,
Es ſchwindet Geiſt und Sinn.
Denn, waͤr’ ich gleich von Eiſen,
Ein Loͤw’ und Tieger-Thier,
So muß ich dennoch dir
Die Thraͤnen-Pflicht erweiſen,
Diß eine kan ich nur,
Und lehrt mich die Natur,
Ach leyder! zu geſchwinde,
Jndem ich ſelbſt empfinde,
Was dir den Stoß gethan,
Und zu der Grabes-Bahn
Die Thuͤren aufgeſchloſſen.
Hier wein’t dein lieber Mann,
Der dich nicht miſſen kan,
Und deiner kaum genoſſen.
O Schmertz, die Eltern weinen auch
Gantz wider der Natur Gebrauch.
Erſter Gegen-Satz.
Diß Leben iſt gewiß
Ein Rauch, der bald verrauchet,
Was unſre Kehle hauchet,
Wie bald verſchwindet diß;
Die Jungen und die Alten
Bedecket eine Grufft,
Wo ſie ſpeißt eine Lufft,
Die Runtzeln und die Falten
Der
E 3
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719/71 |
Zitationshilfe: | Uhse, Erdmann: Wohl-informirter Poët. 2. Aufl. Leipzig, 1719, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uhse_poet_1719/71>, abgerufen am 16.02.2025. |